Parlament muss verfassungswidriges Landeswahlrecht zügig ändern

Erscheinungsdatum:     30.08.2010

 Das Schleswig-Holsteinische Landesverfassungsgericht hat heute entschieden, dass die Wahl zum 17. Schleswig-Holsteinischen Landtag vom 27. September 2009 in Anwendung eines verfassungswidrigen Wahlgesetzes durchgeführt wurde. Es hat den Gesetzgeber deshalb verpflichtet, die erforderlichen Neuregelungen zeitnah vorzunehmen. Überdies hat es die laufende Legislaturperiode zeitlich beschränkt.

Für die Schaffung einer mit der Landesverfassung übereinstimmenden Rechtslage hat das Gericht dem Parlament eine Frist bis spätestens zum 31. Mai 2011 gesetzt. Im Anschluss daran sind in Anwendung des dann verfassungskonformen Wahlgesetzes spätestens bis zum 30. September 2012 Neuwahlen herbeizuführen. Die damit einhergehende Verkürzung der Legislaturperiode sei geboten, um den Bestand des auf verfassungswidriger Grundlage gewählten Landtags nicht länger als erforderlich andauern zu lassen.

Nach dem im Wahlprüfungsverfahren (LVerfG 1/10) angegriffenen Ergebnis der Landtagswahl vom 27. September 2009 hatte die CDU über die Erststimmen 34 von 40 Wahlkreise und damit elf Sitze mehr gewonnen, als ihr nach dem Zweitstimmenanteil zugestanden hätten (Überhangmandate). Die daraufhin zum Zwecke des Ausgleichs vergebenen 22 weiteren Sitze führten zu einer Vergrößerung des Landtags von 69 auf schließlich 95 Abgeordnete, reichten aber dennoch nicht aus, um sämtliche Überhangmandate durch den verhältnismäßigen Sitzanteil zu decken. Die zulasten der anderen Parteien vorgenommene Begrenzung des Sitzausgleichs beruht auf § 3 Abs. 5 Satz 3 des Landeswahlgesetzes (LWahlG) und war wesentlicher Kritikpunkt sowohl der Wahlprüfungsbeschwerden als auch des gleichzeitig entschiedenen abstrakten Normenkontrollverfahrens (LVerfG 3/09). Bei einem vollen Ausgleich der Überhangmandate wäre es zu anderen Mehrheiten im Landtag gekommen.

Die durch die Landeswahlleiterin und den Landtag vorgenommene Auslegung und Anwendung des § 3 Abs. 5 Satz 3 LWahlG hat das Gericht als rechtmäßig erachtet.

Im Übrigen hat es seine Entscheidung vor allem an den Vorgaben des Art. 10 Absatz 2 der Landesverfassung (LV) ausgerichtet. Die Vorschrift setzt zunächst die regelmäßige Zahl der Abgeordneten auf 69 fest und verpflichtet den Gesetzgeber, ein Wahlrecht zu schaffen, das eine Erhöhung der Abgeordnetenzahl durch Überhang- und Ausgleichsmandate so weit wie möglich verhindert. Des Weiteren wird das Wahlsystem zum Schleswig-Holsteinischen Landtag in Art. 10 Abs. 2 LV als personalisierte Verhältniswahl ausgestaltet. Der für dieses Wahlsystem geltende Grundsatz der Wahlgleichheit des Art. 3 Abs. 1 LV wird noch durch das Gebot verstärkt, dass im Falle des Entstehens von Überhangmandaten Ausgleichsmandate vorzusehen sind.

Von diesem Prüfungsmaßstab ausgehend hat das Gericht all diejenigen Vorschriften in den verfassungsrechtlichen Fokus gestellt, die in ihrem Zusammenspiel zu einer übermäßigen Zahl von Überhang- und Ausgleichsmandaten führen und gleichzeitig das Risiko des Entstehens ungedeckter Mehrsitze (Überhangmandate) erhöhen. Hierzu zählen die Regelungen über die Bildung, die Größe und Anzahl der Wahlkreise, die Bestimmung des Zweistimmenwahlrechts und die Regelung über den Mehrsitzausgleich (§ 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 3 Abs. 5 und § 16 LWahlG). Durch das Zusammenspiel dieser Normen werden sowohl die Vorgabe, die Regelgröße von 69 Abgeordneten möglichst nicht zu überschreiten, als auch der Grundsatz der Wahlgleichheit verfehlt.

Das Gericht hat deshalb die Unvereinbarkeit der genannten Normen mit der Landesverfassung festgestellt und dem Gesetzgeber eine zeitnahe Neufassung des Wahlrechts aufgegeben. Bis zur geforderten Neufassung dürfen die genannten Normen des Landeswahlgesetzes in ihrer Gesamtheit nicht mehr angewendet werden. Eine Neuwahl soll erst nach Änderung des Gesetzes und – annehmbar – Neuschneidung der Wahlkreise erfolgen. So wird sichergestellt, dass die nächste Wahl auf verfassungskonformer Grundlage erfolgt. Bis zu diesem Zeitpunkt behält der Landtag seine volle Handlungs- und Arbeitsfähigkeit.

 Die Urteile sind einstimmig ergangen.
 

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