Nukleare Horrorstory
Atomdeal: Profitinteresse durchgesetzt
Von Wolfgang Pomrehn
Strahlende Stimmung an der Börse, Triumphalismus in den Hauszeitungen
des Kapitals. Die Kurse von E.on, RWE und EnBW legten zu Beginn der Woche
kräftig zu, nachdem die Spitzen der Berliner Koalition sich auf die
Verlängerung der AKW-Laufzeiten geeinigt hatten. Das Handelsblatt
sieht in der Lobbyarbeit der Energiekonzerne ein Beispiel für andere
Branchen. Die Zeit der Diplomatie sei vorbei. Soll heißen: Kapitalinteressen
werden jetzt mit noch mehr Härte durchgesetzt. Ob die Stuttgarter
Polizeiführung das Blatt der Bosse liest? Dort wurde in der Nacht
zum Dienstag mit dem martialischen Aufgebot einer ganzen Hundertschaft
und eines Sondereinsatzkommandos ein Baumhaus der »Stuttgart 21«-Gegner
geräumt und zerstört. Wegen eines Verstoßes gegen die Grünflächenordnung,
einer Ordnungswidrigkeit also.
Die Botschaft aus Stuttgart wie aus Berlin ist die gleiche: Wenn es ums große Geschäft geht, dann wird auf Stimmungen in der Bevölkerung keine Rücksicht mehr genommen. Daß eine ganze Stadt gegen ihre Verwüstung und die Vergeudung von Steuermilliarden aufsteht, daß die große Mehrheit der Bevölkerung AKW sofort oder doch zumindest spätestens 2021, wie einst versprochen, stillgelegt sehen will, interessiert nicht. Es wird durchregiert.
Und getrickst: Die Koalition spricht zwar von acht bis zwölf Jahren Laufzeitverlängerung, aber wie schon ihre grün-sozialdemokratischen Vorvorgänger legt sie keine Fristen fest, sondern Reststrommengen. Doch die können notfalls gestreckt werden, wie wir in den letzten Jahren gesehen haben. So kann es gut sein, daß die letzten Meiler erst kurz vor Mitte des Jahrhunderts abgeschaltet werden, nach einer Laufzeit von über 60 Jahren.
Man darf gespannt sein, ob die Reaktordruckbehälter, in denen der Stahl durch die ionisierende Wirkung der radioaktiven Strahlung versprödet, also bruchanfällig wird, das überhaupt aushalten. Aber um die Sicherheit müssen sich die Betreiber nicht allzu viele Gedanken machen, hat doch der Gesetzgeber dafür gesorgt, daß ihre Haftung auch im schlimmsten Fall auf einige Milliarden Euro beschränkt bleibt. Das sind angesichts der möglichen Zusatzprofite von etwa 90 Milliarden Euro – nach Abzug der geplanten Feigenblattsteuer – eher Peanuts.
Ähnlich verantwortungslos wie dieses russische Roulette mit der
AKW-Sicherheit, sind die energiepolitischen Weichenstellungen: Die stärkere
Nutzung der erneuerbaren Energieträger wird massiv behindert, was
nicht nur für das Klimas sondern auch für unsere Versorgungssicherheit
eine katastrophale Nachricht ist. Beim Öl treibt die sich abzeichnende
Knappheit bereits die Preise nach oben, bei der Kohle gibt es erste Anzeichen
für eine ähnliche Entwicklung, und das Uran wird in wenigen Jahren
folgen. Bereits seit rund 20 Jahren wird weltweit deutlich mehr Uran verbraucht
als gefördert. Das Märchen vom billigen Atomstrom könnte
sich schon bald als Horrorstory entpuppen.