Am 10. November wird es wieder geschehen. Bereits zum vierten Mal nach
Ausbruch der großen Finanzkrise werden sich die Regierungschefs der
G20-Staaten zu ihrem Weltgipfel versammeln, diesmal in Seoul, Südkorea.
Erneut werden sie dort ihre „feste Entschlossenheit” bekunden, die Finanzbranche
künftig weltweit einer strengen Regulierung zu unterwerfen, „damit
sich eine solche Krise nicht wiederholt”, wie Deutschlands Kanzlerin Angela
Merkel verhieß. Und wieder wird es ein leeres Versprechen sein.
Frankfurt am Main Denn gut zwei Jahre nach dem Beinahe-Zusammenbruch
des globalen Finanzsystems zeichnet sich ab, dass den Regierungen der USA
und der Europäischen Union die politische Kraft fehlt, die notwendigen
Veränderungen gegen den Willen der großen Finanzkonzerne durchzusetzen.
Zwar haben der US-Kongress und das Europäische Parlament zuletzt umfangreiche
Gesetzespakete zur Reform der Finanzaufsicht verabschiedet. Auch haben
die Aufsichtsbehörden der G20-Staaten verabredet, dass Banken in aller
Welt künftig etwa doppelt so viel Eigenkapital für Krisenzeiten
vorhalten sollen wie bisher.
Doch mit all dem werde nur „das alte System notdürftig repariert”,
befand jüngst der New Yorker Ökonom Nouriel Roubini, der schon
2006 vor dem drohenden Kollaps gewarnt hatte. Auch Simon Johnson, der in
Finanzkrisen erfahrene frühere Chef-Ökonom des Internationalen
Währungsfonds, mahnte, die bisherigen Reformen seien völlig unzureichend
und würden alsbald neue Krisen heraufbeschwören. Mehr zum Thema
Webseite der G20 Kampagne
Insbesondere die Tatsache, dass weiterhin globale Finanzkonzerne wie
Goldman Sachs, Barclays, BNP Parisbas oder die Deutsche Bank mit Bilanzsummen
von 1000 Milliarden Dollar und mehr uneingeschränkt operieren dürfen,
werten unabhängige Fachleute als gefährliche Fehlentwicklung.
Diese etwa 40 weltweit operierenden Unternehmen mit ihren Tausenden von
Tochtergesellschaften sind so komplex und über Kreditbeziehungen so
mit der übrigen Finanzbranche vernetzt, dass keine Regierung deren
Konkurs zulassen könnte, ohne zugleich den Zusammenbruch des Zahlungssystems
und mit ihm der Wirtschaft zu riskieren. Damit genießen diese Konzerne
eine implizite Staatsgarantie, und das Management kann – anders als kleinere
Wettbewerber – fast beliebig hohe Mengen Kredit zum Niedrigzins aufnehmen
und damit extreme Risiken eingehen, ohne die Insolvenz und die Strafe des
Marktes fürchten zu müssen. Darum sei es nur eine Frage der Zeit,
bis diese Unternehmen die nächste Krise verursachen, warnt Johnson.
Aber bisher verschafft die schiere Größe der Geldkonzerne deren leitenden Managern auch so viel politischen Einfluss, dass sie alle Regulierungsversuche erfolgreich abwehren konnten. Als im vergangenen Juni mehrere US-Senatoren die Aufteilung der Megabanken in kleinere Einheiten vorschlugen, wurden sie von Kollegen aus der eigenen Partei überstimmt, die von den Wahlkampfspenden der Finanzindustrie abhängig sind. Selbst die von Präsident Barack Obama und dem früheren Notenbank-Chef Paul Volcker geforderte Trennung des staatlich versicherten Bankgeschäfts vom spekulativen Handel mit Wertpapieren und Fondsunternehmen wurde zu Fall gebracht.
Derweil gab es in Europa nicht einmal den Versuch, die Dominanz der Großbanken zu brechen. Zwar hatte Kanzlerin Merkel noch im September 2009 erklärt, „keine Bank” dürfe mehr „so groß sein, dass sie wieder Staaten erpressen kann” und betont, das sei „der wichtigste Punkt”. Doch über Klagen solcher Art kam die EU-Politik nicht hinaus. Im Zuge der Überschuldung Griechenlands erfahren die EU-Bürger nun, dass ihre Regierungen sich ein weiteres Mal von der Finanzindustrie erpressen lassen und diese nicht für ihre Fehlinvestitionen haften muss.
Erneut drohte die Bankenbranche, eine Insolvenz eines ihrer großen Schuldner – dieses Mal die des griechischen Staates – würde das europäische Finanzsystem gefährden. Und wieder übernahmen die Regierungen die Haftung für mehr als 100 Milliarden Euro ausstehende Schulden. Dabei haben die Gläubiger, vorrangig Banken und Vermögensverwalter, jahrelang „Risikoprämien” in Form hoher Zinsen von Griechenland erhoben. Nun, wo das Risiko tatsächlich eingetreten ist, wird es auf die Steuerzahler der übrigen EU übertragen – ein Vorgang jenseits aller marktwirtschaftlichen Logik. Dabei ist Griechenland selbst keineswegs geholfen. Nach Ablauf des dreijährigen Programms wird die Staatsverschuldung sogar nach den offiziellen EU-Prognosen höher sein als zuvor und ein Schuldenerlass voraussichtlich unvermeidlich. Bluten müssen dann jedoch kaum noch die privaten Gläubiger, sondern die Staatshaushalte der übrigen EU.