Betrieb & Gewerkschaft

Schluß mit Ladenschluß?

Der Dauerbrenner Ladenschlußzeiten erhitzt derzeit wiedermal die Gemüter - mit ganz unterschiedlichem Ergebnis. Schuld ist die von der Bundesregierung in Auftrag gegebene und am 11.8. vorgestellte Studie des Münchner Ifo-Institutes. Darin steht genau das, was die Anti-Ladenschluß-Lobby hören will, und die BefürworterInnen der bestehenden Ladenöffnungszeiten schon immer befürchtet haben. Kurzum: Argumentefutter für jede und jeden.

Empfehlungen der Ifo-Studie

Die 500 Seiten starken Empfehlungen der Ifo-Gutachter lauten wie folgt:

1. Geschäfte sollen Mo-Fr von 6 bis 22 Uhr öffnen, samstags (jeden!) bis 18 Uhr.

2. Rund-um-die-Uhr-Öffnungen und Nachtverkauf sollen ebenfalls möglich werden, allerdings nur mit einer besonderen Lizenz.
3. Das Limit einer maximalen Wochenöffnungszeit von 68,5 Stunden, bisher selbst im Fall von zur Regel gewordenen Ausnahmen, die absolute Grenze, soll ersatzlos gestrichen werden. Damit ist der Verkauf 24 Stunden lang im Prinzip möglich.

4. Von den erweiterten Öffnungszeiten würden nach Ansicht der Ifo-Studie besonders große Kaufhausketten profitieren (die, wen wundert‘s, somit zu den Befürwortern der Ladenschluß-„Deform“ zählen), ebenso kleine, innovative Geschäfte (also nicht der „Tante-Emma-Laden“, sondern das Multi-Media-Computer-Geschäft). Die Umsatzsteigerung für solche EinzelhändlerInnen werde innerhalb von 3 Jahren 2-3% betragen. Wirtschaftsminister Rexrodt erwartet gar ein Umsatzplus von 20 Mrd. DM pro Jahr. Lediglich mittlere und kleine Einzelhändler (mit nicht „innovativem“ Angebot) hätten leichte Umsatzeinbußen zu verzeichnen. Somit sprechen sich eben diese Mittelständler gegen die „Deform“ des Ladenschlußgesetzes aus.

5. Bis zu 50.000 neue Arbeitsplätze erwartet das Ifo-Gutachten bei Durchsetzung der neuen Ladenschlüsse (die kaum noch welche sind).

Seltsame Koalitionen

Ob mensch gegen oder für die Ifo-Ladenschlüsse ist, erweist sich, verfolgt man die Reaktionen auf die Studie, als Folge einer komplizierten Gemengelage von Interessen. So sind die Arbeitgeber im Handel durchaus gespalten. Wer von den neuen  Laden- schlußzeiten Profitsteigerungen und die Beseitigung lästiger Konkurrenten erwartet, bejubelt die Ifo-Studie als längst fällige Schlachtung einer senil gewordenen heiligen Kuh. Jene MittelständlerInnen hingegen, die aus Kostengründen keine weiteren ArbeitnehmerInnen einstellen können oder wollen, sind strikt dagegen. So verweigerte der Präsident des Hauptverbands des Deutschen Einzelhandels (HDE), Hermann Franzen, gar die Teilnahme an den von Bundeskanzler Kohl noch im August anberaumten Gesprächen über die Umsetzung der Ifo-Studie. Die Bundesregierung selbst hingegen hat das Gutachten bekommen, welches sie wollte. Sie schielt wieder einmal auf die „Sicherung des Standorts Deutschland“, denn in Großbritannien und Frankreich gibt es schon längst nur noch rudimentäre Reglementierungen der Ladenschlüsse.

Die F.D.P. ist selbstverständlich für eine Lockerung der Ladenschlußzeiten, als Partei der Wirtschaft kein Wunder, aber wohl auch im Hinblick auf die Wählerklientel der „Besserverdienenden“, die sich am Stammtisch schon immer darüber aufregten, daß der  Fein- schmeckerladen an der Ecke schon zu hat, wenn sie um 18 Uhr aus ihren Büros stolpern, schließlich arbeiteten sie ja auch mehr als 40 Stunden ... Allerdings gibt es in der Partei jener noch ein kleines Scharmützel darüber, ob die 68,5-Stunden-Grenze fallen soll oder nicht. Hermann Otto Solms ist für diese Grenze, Parteichef Wolfgang Gerhardt ist für grenzenlosen freien Einkauf für freie Bürger. In der SPD gibt es zwar einigen Widerstand gegen den Fall der Ladenschlußmauer, jedoch mindestens ebenso viele „Mauerspechte“. Bei den Grünen ist das Thema umstritten (wahrscheinlich, weil es ja auch den Ökoladen in der Nachbarschaft betrifft).

Auf völlige Ablehnung stoßen die Vorschläge der Ifo-Studie lediglich bei den Gewerkschaften DAG und hbv. Sie sind die einzigen, die in der Diskussion die Probleme der im Einzelhandel abhängig Beschäftigten thematisieren. Schon jetzt, durch den „langen Donnerstag“ und die schleichende Aufweichung des bestehenden Ladenschlußgesetzes durch zahllose und zunehmend unübersichtliche Sonderregelungen, seien gewachsene Lebensstrukturen und -zusammenhänge in Gefahr, wenn auch in den Beruf der Verkäuferin oder des Verkäufers die Schichtarbeit Einzug hält. Besonders Frauen mit der Doppelbelastung der Familie wären von noch längeren Abendöffnungszeiten betroffen.

Doch stehen offenbar nur ein Teil der ArbeitnehmerInnen hinter ihren InteressenvertreterInnen. Laut Ifo-Gutachten sind 27% (von 554 Befragten) bereit, auch bis 20 Uhr zu arbeiten. 23% knüpfen diese Bereitschaft an bestimmte Bedingungen, 40% würden samstags länger hinter der Kasse stehen, 44% täten dieses bei Erfüllung bestimmter Bedingungen. So erscheint Franziska Wietholds (hbv) Drohung, „3 Millionen Verkäuferinnen werden für ihren Feierabend kämpfen!“ nicht sehr realistisch. Schon den Kampf gegen den langen Donnerstag vor 6 Jahren verloren hbv und DAG. Dieser Stachel sitzt tief.

Heide Mosers Salami-Taktik

Auch Schleswig-Holsteins Sozial- und Arbeitsministerin Heide Moser (SPD) will länger einkaufen. Das Ladenschlußgesetz in seiner gegenwärtigen Fassung sei überholt. Warum? Es gewähre keinen zeitgemäßen Ausgleich zwischen Arbeitnehmerschutz,  Verbraucher- interessen und Wettbewerbsrecht mehr, heißt es in einer Pressemitteilung vom 10.8. Typisch SPD: Statt Interessen der  Arbeitnehmer- Innen zu vertreten, wird der „Ausgleich“ gesucht. Auf das Ganze wird dann noch das jeweils fällige „progressive“ Etikett gepappt, à la „Verbraucherinteressen“, denn auch die ArbeitnehmerInnen im Einzelhandel sind ja letztendlich VerbraucherInnen. So kriegt alles sein Teil. Die notwendige Flexibilisierung der Ladenschlüsse sei nur bei einer entsprechenden Verbesserung des Arbeitszeitrechtsgesetzes mitzutragen - das mit den Stimmen der in S.-H. regierenden SPD gerade erst mit erheblichen Verschlechterungen verabschiedet wurde (siehe Artikel von brg in den Lokalberichten 10/95).

Besonders perfide wirkt diese Salami-Taktik, wenn mensch Heide Mosers „Njet“ bedenkt, als sich die hbv S.-H. im Februar an sie wandte, um im Zusammenhang mit „flexibilisierten“ Ladenschlußzeiten bei der Bäderregelung zu erreichen, daß die  Sonderge- nehmigungen nach §§ 14-16 LSchlG wieder vom Land vergeben werden und nicht, wie seit einiger Zeit praktiziert, per „Ordre de Mufti“ der örtlichen BürgermeisterInnen. Die Delegierung „nach unten“ wurde von Heide Moser sinngemäß als dezentralisierende Verlagerung von Entscheidungskompetenz in die Kommunen verteidigt. Mensch kennt das: das ist alles „für unsere Bürgerinnen und Bürger“ ... Vor diesem Hintergrund erscheint Heide Mosers in der Pressemitteilung vom 10.8. dokumentierter Ausspruch „Ich fordere den für Ladenschluß zuständigen Arbeitsminister Blüm auf, jetzt endlich den Fuß in die Ladentür des Arbeitnehmerschutzdiscounters Rexrodt und Co. zu setzen!“ als bloßer Papiertiger. (jm)