„Vorwärts und vergessen ...?“
 

Veranstaltung der PDS zur DGB-Programmdiskussion

Die Veranstaltung hat am 1.9. mit 23 Teilnehmern in Kiel stattgefunden. Referent war Harald Werner, gewerkschaftspolitischer Sprecher der PDS aus dem Parteivorstand und in der AG Betrieb und Gewerkschaften der PDS.

In der Einladung hieß es: „Die DGB-Programmdiskussion läuft – und kaum einer merkt es. Spätestens seit dem 18. Juli 95 ist klar: Es gibt ein Grundgerüst (Thesen) für ein neues DGB-Grundsatzprogramm, das 1996 auf einem außerordentlichen DGB-Bundeskongreß in Dresden verabschiedet werden soll.“

Zuerst ging das Referat darauf ein, welche Bereiche und Anforderungen ein neues DGB Programm beinhalten müßte bzw. welche Veränderungen zu der Notwendigkeit eines neuen Programms führen würden; in Stichworten: – Umbrüche in den Betrieben, neue Betriebsweisen, Aufsplittung der Betriebe – das Betriebsverfassungsgesetz wird dem nicht mehr gerecht. – Das Sozialsystem wird in Frage gestellt, nicht nur durch die Angriffe der Regierung sondern auch weil es den Veränderungen in der Gesellschaft nicht angepaßt ist (Frauenarbeit, Phasen von Arbeitslosigkeit ...). – Arbeitslosigkeit nicht konjunkturbedingt, sondern strukturell auf einem hohen Stand, und es ist nicht zu erwarten das sie sinkt. – Deregulierungen finden statt wegen der internationalen Konkurrenz – „Standortfrage“.

Zu den Thesen heißt es dann: „Was die Schwerpunkte betrifft, so sind die Thesen ein konsequenter Schritt zur Aneignung der neuen Problemstellungen, mit denen sich die Gewerkschaften in den vergangenen zwei Jahrzehnten häufig schwer taten: Die Ökologie kommt zu ihrem Recht, und das Wort Umbau genießt den Häufigkeitsgrad, den der Zeitgeist mittlerweile allen Programmen abverlangt. Insofern sind die Thesen ein Schritt nach vorne. Was die Richtung angeht, sind Zweifel erlaubt.

Die Thesen gliedern sich in fünf sogenannte Leitbilder zur „Gestaltung der Ökonomie“, „Zukunft der Arbeit“, „Zukunft des Sozialstaates“, zur „Sozialen Einheit Deutschlands“ und zur „Gestaltng des Bildungswesens“. Grundsätzlich sind an den Leitbildern weniger die Forderungen zu kritisieren, als vielmehr was nicht oder nicht mehr gefordert wird und an welches Gesellschaftsverständnis die AutorInnen anknüpfen ...

Gegenüber der bisherigen Programmatik fällt nicht nur die dem Zeitgeist angepaßte Sprachregelung auf, sondern der weitgehende Verzicht auf die Beschreibung gesellschaftlicher Ursachenzusammenhänge ... Daß all das, was das Grundsatz- und Aktionsprogramm des DGB von 1963, beziehungsweise von 1972 kritisiert hat, sich inzwischen noch dramatischer dastellt, wird mit keinem Satz erwähnt.

1963 hieß es noch im DGB-Grundsatzprogramm: „Die Entwicklung der Bundesrepublick hat zu einer Wiederherstellung alter Besitz- und Machtverhältnisse geführt. Die Großunternehmen sind erstarkt, die Konzentration des Kapitals schreitet ständig fort.“ Heute heißt es nur noch, ohne Bezug auf die historische Tendenz und ohne Benennung der Nutznießer: „In den Industrieländern wächst der wirtschafliche Reichtum, doch zugleich gibt es Massenarbeitslosigkeit und Armut. Einkommens- und Lebenschancen sind ungerecht und ungleich verteilt.“ ... Allein die empirischen Tatsachen, die das WSI regelmäßig verbreitet, hätten zu der Aussage verleiten müssen, daß immer weniger immer mehr besitzen, daß die Lohnquote auf den Stand der 60er Jahre zurückgekrebst ist und in den vergangenen zwölf Jahren eine Explosion der Geldvermögen beim oberen Zehntel dieser Gesellschaft stattgefunden hat, die nicht nur eine Wiederholung der Programmaussage von 1963, sondern eine Zuspitzung notwendig gemacht hätte ...

Häufig beschönigen die Thesen aber nicht nur soziale Tatsachen, sie verdrehen auch ihre Ursachen und reproduzieren das ideologische Selbstbild der neoliberalen Ökonomie. So heißt es etwa: „Individuelle Leistung allein darf nicht das einzige Kriterium der Einkommensverteilung sein. Ein weiterer Maßstab ist soziale Gerechtigkeit.“

Keine Erinnerung mehr an die Einsicht, daß nicht der ungerechte Lohn, sondern die Lohnarbeit Ungerechtigkeit schafft, egal wie hoch oder niedrig die Entlohnung auch sein mag. Folglich ist auch der Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital gänzlich aus der Programmatik verschwunden und löst sich in eine Formulierung auf, die es allen recht machen will und jedem Unrecht tut: „Eine solche Gestaltung zukünftiger Entwicklungen erfordert bei divergierenden Interessen gesellschaftliche Vernunft. Sie ist daher in hohem Maße abhängig von der Dialogfähigkeit und Kompromißbereitschaft gesellschaftlicher Gruppen ...“

Weiter wurde auf den Abschnitt Zukunft der Arbeit eingegangen. „Es herrscht Standortfrieden, Marktwirtschaft und erhöhte Anstrengung, denn „in Marktwirtschaftssystemen sind Kriterien der Wirtschaftlichkeit und Effizienz vorherrschend und notwendig“. Und damit den Faulenzern in den immer noch nicht privatisierten Amtsstuben und Müllautos gleich klar wird, wo Bartels den Most holt, heißt es gleich hinterher: „Diese Kriterien dürfen auch für den öffentlichen Dienst nicht vernachlässigt werden ... Die Bedürfnisse der Arbeitenden auf der einen Seite und der ökonomische und betriebliche Strukturwandel auf der anderen Seite führen zu einem Interessen- und Zielkonflikt.“ Da haben wir es wieder, was die neue Linie ausmacht ... Aber es naht Hilfe, in Gestalt der „betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessenvertretung“, die „diese Konflikte zu zivilisieren und zu minimieren“ hat ...

An dieser Stelle hätte es gut getan, wie noch im Programm von 1981, etwas über den „Mißbrauch wirtschaftlicher Macht“ oder die Notwendigkeit „sozialer Gestaltung der Wirtschaft“ zu lesen. Auch die damalige Einsicht, daß „die technische Entwicklung und der organisatorische Wandel ... nicht zwangsläufig zu humanen Arbeits- und Lebensbedingungen“ führen, hätte dort als erstes stehen können. Angesichts der sozialen Vewüstung, die der gegenwärtige Modernisierungsweg verursacht, wäre ein wenig mehr Kritik durchaus verträglich gewesen. Stattdessen lesen wir: „Mit der Entwicklung der modernen Technologien, den neuen Organisations- und Produktionskozepten des Managements ... haben sich die Chancen verbessert, Produktivitäts- und Humanisierungsziele zu verwirklichen.“ Zwar wird eingeräumt, daß hier Gefahren lauern und „starke Kräfte bei den Arbeitgebern und die konservativ liberale Regierungskoalition den Abbau sozialer Standards fordern“, aber die Grundlage geht völlig an der Tatsache vorbei, daß die neuen Konzepte genau den „Abbau sozialer Standards“ zum Ziel haben.“

Soweit zitiert aus dem Beitrag von Harald Werner, um auch denjenigen, die diese Thesen nicht kennen (was übrigens auch bei den meisten Veranstaltungsteilnehmern der Fall war) einen kleinen Eindruck zu vermitteln. (Die Kritik von Harald Werner an den Thesen findet sich in dem Heft „Betrieb und Gewerkschaft“ von der PDS, ab Heft Nr. 24/ 1995 in Fortsetzung.)

Am konkreten Beispiel der Forderung nach „Senkung der Lohnnebenkosten“, wie es auch gleichermaßen von den Gewerkschaften gefordert wird, stellte Harald Werner vor, wie sich die PDS die Richtung vorstellt. Und zwar sollen Betriebe nach ihrem Betriebseinkommen Abgaben in einen Fond zahlen statt nach der Lohnsumme. Damit würden personalintensive Kleinbetriebe entlastet werden und durchrationalisierte, personalarme Großbetriebe mehr belastet. Das würde sogar mehr einbringen als die bisherige Art der Zahlung, und es könnte etwas verwendet werden für die Verbesserung der Basisstrukturen (örtliche Versorgung, Freizeit) und für gesellschaftliche notwendige Arbeit(-splätze).

Insgesamt wurde es für nötig erachtet, eine Vision von einer sozialeren Gesellschaft zu erarbeiten damit die Menschen ein Ziel haben, für das sie noch um etwas kämpfen. In der Diskussion entwickelte sich unter TeilnehmerInnen, die in Gewerkschaft und Betriebsrat tätig sind, eine Debatte: Auf der einen Seite: „Die Debatte um das Programm und das Programm an sich sind für die Arbeit in den Betrieben völlig unwichtig – dort geht es um andere Probleme.“ Die andere Seite (zum Schluß die Mehrheit) vetrat: Zwar ist im Moment den Leuten die Debatte egal, aber das Ergebnis hat extreme Auswirkungen auf die Betriebspolitik, die sich jetzt schon in weiten Teilen gezeigt haben. Betriebsräte finden angesichts der „schlechten Bilanzen“ in den Betrieben kaum noch Argumente gegen Entlassungen, auch wenn der Personalstand schon so niedrig ist, daß die Arbeit nicht mehr vernünftig zu schaffen ist. Betriebsräte „zerbrechen sich den Kopf“ der Unternehmensleitung, statt nachzudenken, welches die Interessen der Beschäftigten sind, und diese einzufordern. Der Betriebsrat verteidigt die Existenz „seines“ Betriebes gegenüber der Konkurrenz. (Mögen dann deren Arbeitsplätze flöten gehen, aber nicht unsere).

Weitere Fragen und Diskussion gab es darum, wie denn Einfluß zu nehmen ist auf den Kapitalfluß, auf den Markt. Wie kann Kapital umgelenkt werden auf das Gemeinwesen? Gefördert werden sollen „regionale Märkte“, regionales Wirtschaften. Die Ausrichtung der Wirtschaft auf den Export läßt auch unser Land „verrotten“. Es gibt jedenfalls viele Fragen und wenige, meist unzureichende Antworten – aber es wird daran gearbeitet.

So hat am 16./17. Sept. ein Seminar der PDS stattgefunden: „Gewerkschaften zwischen Co-Management und Gegenmacht“. In Kiel arbeitet eine AG Betrieb und Gewerkschaft der PDS. Sie trifft sich das nächste Mal am 11. Oktober im „Storchnest“ in der Gutenbergstraße. Sie ist für alle Interessierten offen! (brg)