Fundamentalistin oder nicht?

Zum Streit um die diesjährige Friedenspreisträgerin des deutschen Buchhandels, die Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel

Der bundesdeutsche Kulturbetrieb schmückt sich derzeit eifrig mit Auseinandersetzungen um die schreibende Zunft. Nach dem Trara um Günter Grass‘ „weites Feld“ (wir berichteten in der Ausgabe 17-18/95) hat sich nun eine mit ebenso harten Bandagen ausgefochtene Auseinandersetzung um die Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel entwickelt, die im Rahmen der Frankfurter Buchmesse mit dem diesjährigen Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet werden soll.

Den Stein ins Rollen gebracht hat der Freiburger Ahriman-Verlag. In einem Fax vom 31.8. an alle Mitgliedsverlage des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels (der den Friedenspreis vergibt) ruft Ahriman zum Votum gegen die Verleihung an Schimmel auf, Motto: „In unserem Namen nicht!“. Schon vor Absendung des bewußten Faxes hatten sich namhafte AutorInnen wie u.a. Johannes Mario Simmel, Taslima Nasrin, Ralph Giordano, Alice Schwarzer, Elfriede Jelinek, Günter Wallraff sowie Schimmels Kollege Bassam Tibi gegen die Verleihung ausgesprochen. Das Echo auf Ahrimans Fax war groß. Bis zum 11.9. hatten 271 Verlage den Aufruf unterzeichnet, bis zum 19.9. bereits über 520 Mitglieder des Börsenvereins.

Warum der Aufruhr? „Frau Schimmel“, so Ahriman in seinem Rund-Fax, „ist innerhalb der Fachwelt seit Jahren als Verfechterin eines moslemischen Fundamentalismus bekannt. In den letzten Jahren hat sie sich mitnichten durch die Verteidigung des freien Wortes in der Welt, sondern im Gegenteil durch Angriffe auf die Opfer fundamentalistischen Terrors hervorgetan.“ Gemeint sind die ihr vorgeworfene Verteidigung der Todesstrafe für „Gotteslästerer“, der Klitorisverstümmelung an Mädchen und der Scharia in ihren Schriften. Ferner habe sich Schimmel – als Gewährsmann an Eides Statt wird ein Aachener Buchhändler genannt – in einem persönlichen Gespräch mit ihm „vorbehaltlos für die Fatwa gegen Salman Rushdie ausgesprochen“. Wie das so mit persönlichen Gesprächen ist – Frau Schimmel bestreitet das, wenngleich sie einräumt, sie habe in dem bewußten Gespräch „möglicherweise einige burschikose Ausdrücke verwendet“. Aber: „Lassen Sie mich nochmals sagen, wie unglücklich ich über die sicher verständliche Reaktion auf eine dumme, schnoddrige Bemerkung von mir bin, die keine Anerkennung der Fatwa und der Morddrohung (gegen Salman Rushdie, jm) darstellte!“

Weiteren Treibstoff für die Auseinandersetzung lieferte ein offener Brief an Bundespräsident Herzog, in dem auf Initiative von Ralph Giordano, Günter Wallraff und Alice Schwarzer rund 75 SchriftstellerInnen das Staatsoberhaupt auffordern, den Preis nicht an Annemarie Schimmel zu übergeben. Insbesondere große Teile der konservativ-bürgerlichen Presse war darob enorm empört. So werden die UnterzeichnerInnen des offenen Briefes in einem Kommentar der „Welt“ als „Schriftsteller – darunter vor allem die der Gescheiterten Linken“ denunziert. Ihr Brief sei „töricht“.

Und noch mehr Zündstoff: Die konservative Journaille wühlte in ihrem Archiv der sonst von ihnen als „linksradikales, stalinistisches Kampfblatt“ geschmähten „konkret“ und fanden eine alte Auseinandersetzung um die Beziehungen des Ahriman-Verlags zu dem in der Tat als nicht ganz lupenrein zu bezeichnenden „Bund gegen Anpassung“ (BgA). Das im Umfeld der ehemaligen „Marxistisch-Reichistischen Initiative“ entstandene Konglomerat ideologischer Berserker hatte sich im Rahmen der Mitte der 80er grassierenden AIDS-Phobie für Reihenuntersuchungen und Zwangstätowierung von AIDS-Infizierten ausgesprochen. Zudem, wie schon „konkret“ ermittelt hatte, hatten verschiedene Mitglieder des BgA deutliche Affinitäten zu den Republikanern. Sicher ist dies ein „dunkles“ Kapitel der „Ahrimänner“, das der Erhellung bedürfte, zumal jetzt wieder aktuell, weil der erfolgreiche „Kruzifix-Kläger“ in Karlsruhe, Ernst Seler, aus dem Umfeld des BgA zu stammen scheint und von Ahriman offenbar protegiert wird, weil er ins anti-klerikale Konzept der Freiburger paßt. Unklar bleibt bei diesen berechtigten Vorwürfen gegen Ahriman jedoch, was die mit der Warnung vor Frau Schimmels Schriften und Äußerungen zu tun haben. Die jetzt angelaufene Konter-Kampagne gegen den Boten Ahriman, der für die Nachricht geköpft werden soll, riecht allzu deutlich nach blindem Aufrechnen der Konservativen, um die KritikerInnen Schimmels ins Zwielicht zu rücken.

Ziemlich gewiß scheint, daß Annemarie Schimmel keine islamische Fundamentalistin ist. Ob sie indes, wie u.a. KollegInnen meinen, eine Islamwissenschaftlerin ist, die sich in schwärmerisch-verklärter Weise mit ihrem Forschungsgegenstand allzu sehr identifiziert, ob sie ferner ihre umstrittenen Äußerungen alle nicht so gemeint hat, sei hier offen gelassen. Interessant ist vielmehr, mit welcher Vehemenz sich die konservative Seite des Kulturbetriebs für ihre Preisträgerin einsetzt und die Gelegenheit nutzt, linke Kritik zu denunzieren. Dabei schmücken sich die plötzlichen Islamfreunde mit dem Feigenblatt des Multikulturalismus, wobei Blüten zutage treten, die das, was Annemarie Schimmel „etwas burschikos“ gesagt oder geschrieben hat oder haben soll, leicht in den Schatten stellen. Dazu nur ein besonders frapantes Beispiel aus einem Kommentar von Peter Scholl-Latour im Börsenblatt (Nr. 77, 26.9., S. 13). Über Salman Rushdie lesen wir aus Scholl-Latours Feder: „Vielen deutschen Intellektuellen muß wohl jeder Sinn für Religion und Gottesverehrung abhanden gekommen sein. Wie sonst könnten sie sich darüber verwundern, daß fromme Muslime den blasphemischen Schmähungen des indisch-englischen Autors mit Trauer, Wut und „Weinen“ begegnen. (...) Wenn er (...) den heiligsten Pilgerort des Islam (...) mit einem Bordell vergleicht und die Frauen des Propheten als Huren verunglimpft, vollbringt er wahrhaftig keine aufklärerische Tat.“ Im nächsten Satz kommt‘s dann ganz dicke – „natürlich“ liegt es auch Scholl-Latour fern, Rushdies Tod zu fordern. Jedoch: „Die koreanische Gesetzgebung sieht für Gotteslästerung und Glaubensabfall die Todesstrafe vor, und um die zu bestätigen (!, jm), bedurfte es gar keiner „Fatwa“ des Ayatollah Komeini.“ Im folgenden Schlußsatz schließlich wird die „Fatwa“ für die deutschen Anti-Christen auf leisen Sohlen schon mal ins Auge gefaßt: „Man muß diese Unerbittlichkeit verurteilen, wie Frau Schimmel es getan hat, aber die Deutschen können sich ihrerseits kaum etwas darauf einbilden, daß bei ihnen in Kabaretts, in Fernsehsendungen, in frivolen Zeitungsglossen die eigene christliche Tradition und deren sittliche Postulate widerspruchslos in den Dreck gezogen werden.“ Dem ist wohl kaum noch etwas hinzuzufügen. (jm)

(Anmerkung: Der Autor dieses Artikels hat als Verlagsleiter des Körner Verlags Kiel den Aufruf von Ahriman mit unterzeichnet.)