Vertane Chance

Kroatien:

Erklärung der Antikriegskampagne Kroatien ARK zur Militäraktion "Sturm"

Die Chance für eine friedliche Integration der ehemaligen "Krajina" mitsamt EinwohnerInnen ist vertan: Das Konzept eines ethnisch gesäuberten Staates - durch die Eroberung kroatischer Teilgebiete vor vier Jahren angekündigt - wurde jetzt von der kroatischen Seite durch militärisches Vorgehen vollendet. Die kroatische Armee hat auf beinahe dem ganzen Territorium einen ethnisch gesäuberten Staat errichtet. Voraussetzung dafür war die Militäraktion "Sturm", welche einigen hunderttausend vertriebenen KroatInnen die Rückkehr in ihre Häuser ermöglicht. Ihre seit vier Jahren dauernde Leidenszeit geht zu Ende.

Die Aktion schloá aber kroatische BürgerInnen serbischer Nationalität nur insofern ein, als ihre Evakuierung zugesichert wurde. Von 1991 bis heute haben mehr als 70 Prozent der SerbInnen Kroatien verlassen. Noch während die letzten SerbInnen die "Krajina" verlassen, folgt bereits der Gegenschlag - die Vertreibung von KroatInnen aus der Vojvodina/Serbien und aus Bosnien. Es wird erwartet, dass in den nächsten Monaten rund 30.000 Menschen ihre Heimat verlassen werden. Die Vertreibung von SerbInnen aus Kroatien ist unteilbar verknüpft mit der Vertreibung von MuslimInnen und KroatInnen aus Bosnien. Hunderttausende Menschen wurden in den vier Kriegsjahren in Bosnien und in Kroatien getötet. Vier Millionen Menschen wurden vertrieben. Materielle und kulturelle Werte wurden zerstört, und das Gefühl von Sicherheit in unserer multikulturellen Gemeinschaft wurde zerschlagen. Der Krieg hier hat den Menschen keinen anderen Ausweg als die Flucht gelassen.

Heute stehen wir in diesem Krieg an einem entscheidenden Punkt. Nach den militärischen Erfolgen Kroatiens werden die Herrschenden anderer ethnisch gesäuberter Staaten diesem Beispiel folgen. Dies wird aber nicht zu einem dauerhafen und und gerechten Frieden führen, sondern die politische Unstabilität verstärken. Selbst wenn sie für den Ausbruch des Krieges nicht verantwortlich sind, so tragen doch alle Beteiligten in diesem Konflikt eine Verantwortung für dessen Ergebnis - die ethnischen Säuberungen.

Auch die so genannten Vermittler, die internationalen Organisationen und die Weltmächte, sind davon nicht ausgenommen. Wie gewohnt stehen die mächtigen Staaten auf der Seite der Stärkeren. Als Serbien stärker war, wurden seine Aktionen unterstützt. Heute wo Kroatien stärker ist, unterstützen sie Kroatien. Die BürgerInnen Kroatiens müssen ihren Anteil an der Verantwortung für diese Tragödie annehmen. Jeder von uns hat die Verantwortung, in diesem Land Sicherheit und Menschenrechte für alle hier Lebenden zu sichern, um so die Schaffung eines ethnisch "gesäuberten" und intoleranten Staates zu verhindern.

Wir wollen keine Privilegien, nur weil wir als KroatInnen geboren wurden. Deshalb wollen wir während der jetzigen "Siegesfeiern" daran erinnern, dass es diesem Staat noch nicht einmal gelungen ist, seine bewaffneten Vertreter in Friedenszeiten zu kontrollieren und Gewalttaten und Menschenrechtsverletzungen zu verhindern.

Wir protestieren dagegen, dass während der Aktion in der "Krajina" die Bewegungsfreiheit der VertreterInnen internationaler Organisationen, der Medien und der BeobachterInnen eingeschränkt wurde. Die kroatischen Behörden können nicht vom Verdacht entlastet werden, dass sie Plünderungen und das Niederbrennen von Häusern der Flüchtenden tolerierten oder zumindest nicht einschritten, um dies zu verhindern.

Der laut verkündete Wille der kroatischen Behörden, kroatische BürgerInnen serbischer Nationalität aus der "Krajina" zu akzeptieren, kann nur ernstgenommen werden, wenn Programme für die Rückkehr der Flüchtlinge vorgelegt und durchgeführt werden, wie dies auch für Westslovenien versprochen wurde. Die kroatischen Behörden und die internationalen Organisationen müssen die permanente Anwesenheit internationaler Institutionen garantieren, damit diese als Überwacherinnen und aktiv Beteiligte die Planung und Finanzierung von Rückkehr-Programmen für Flüchtlinge durchführen, und anschließend die Überwachung der Menschenrechtssituation in allen Teilen Kroatiens absichern können.

Die Friedensorganisationen der Antikriegskampagne Kroatien werden weiterhin ihren Beitrag leisten zum sozialen und materiellen Wiederaufbau, die Rückkehr der Vertriebenen und der Flüchtlinge unterstützen und zu internationaler und interreligiöser Toleranz in der Republik Kroatien und in der ganzen Region des Balkan beitragen.

Zagreb, August 18, 1995

Antikriegskampagne Kroatien, Netzwerk von Friedens- und Frauenorganisationen, Menschenrechtsgruppen, BürgerInnen-Initiativen und -Projekten; B.a.b.e. - Gruppe für Menschenrechte von Frauen, Zagreb; Zentrum für Frieden, Gewaltfreiheit und Menschenrechte in Osijek; Zentrum für Frieden und Gewaltfreiheit in Karlovac; Zentrum für Frauen-Kriegsopfer, Zagreb; BürgerInnenkomitee für Menschenrechte; Porec, Gruppe für den direkten Schutz der Menschenrechte; Zagreb HOMO; Pula, Humanitäre Friedensbewegung; "Rijeka- Sonnenblume"; Rijeka KLEINE SCHRITTE - Zentrum für Friedenskultur und Gewaltfreiheit, Zagreb; Freiwilligenprojekt Pakrac.