Klassen an einen Tisch?

Kieler PDS-Gruppe diskutierte das Strategiepapier „Politische Aufgaben der PDS bis 1998“

Seit der 1. Tagung des 4. Parteitages der PDS im Januar des Jahres wird in der PDS verstärkt über den weiteren Kurs der Partei diskutiert. Diverse Papiere dienten dabei als Grundlage – und für viele als Stein des Anstoßes. Da waren zum einen die „10 Thesen“, ein Grundsatz- und Richtungspapier von Mitgliedern des Parteivorstands, das auf besagtem Parteitag gründlich durchfiel. Es folgten „5 Standpunkte zum weiteren Weg der PDS“, nicht minder umstritten, dennoch in abgewandelter Form vom Parteitag beschlossen. Das Sommerloch füllte der Aufruf „In großer Sorge“ von 38 PDS-Prominenten.

Der Parteitag hatte nach Ablehnung der „10 Thesen“ den Parteivorstand beauftragt, ein weiteres Strategiepapier zu entwickeln und der Basis zur Diskussion zu stellen, das die politischen Schwerpunkte der PDS bis zur nächsten Bundestagswahl festlegen sollte. Dazu gab es in Berlin mehrere Treffen zwischen der vom PV eingerichteten Redaktionskommission und VertreterInnen von AGs, Landesverbänden und Basisorganisationen. Herausgekommen ist jetzt ein Papier mit dem Titel „Politische Aufgaben der PDS 1996 bis 1998“, das sich in zwei Teile gliedert, einen ersten, der eine Analyse des status quo der Gesellschaft und der politischen Kräfteverhältnisse versucht, und einen zweiten, in dem darauf basierend schwerpunktmäßig politische Aufgabenfelder der nächsten Jahre genannt werden. Die Kieler Gruppe der PDS diskutierte dieses Papier im Oktober und kam mehrheitlich zu einer eher kritischen Einschätzung insbesondere des ersten Teils, die hier skizzenhaft wiedergegeben werden soll.

Das vermeintliche „Gemeinwohl“

Die Lageanalyse des Papiers gehe, so eine Mehrheit in der Kieler Gruppe, von einem nebulösen „allgemein menschlichem Interesse“ an „gesellschaftlichem Fortschritt“ bzw. einem „Gemeinwohl“ aus. Weder werde benannt, an welchen „Fortschritt“ konkret gedacht ist, noch werde eine Erklärung dafür geboten, warum denn, wenn es ein „allgemeines Interesse“ an der nachhaltigen Lösung der sozialen und ökologischen Probleme „der Menschheit“ gebe, die Große Koalition der Herrschenden sich nicht danach richte. Zu sehr versteife sich das Papier auf einen systemimmanenten Reformansatz, wenn es z.B. darin heißt: „Ökologische und soziale Zielstellungen sind nicht mehr zu trennen und müssen gesellschaftliche und wirtschaftliche Priorität erhalten. Eine Politik der Steuerung und Regulierung der Marktwirtschaften (Hervorhebung, jm) mit sozialen und ökologischen Zielen ist unverzichtbar für gesellschaftlichen Fortschritt.“ Die Analyse gehe davon aus, daß in einem vernünftigen Diskurs diese Probleme lösbar seien, daß also die Herrschenden schon ein Interesse an der Lösung dieser Probleme hätten, aber die falschen Wege zur Lösung beschritten. Die Kieler PDS-Gruppe kam hingegen zu dem Ergebnis, daß die Herrschenden kein Interesse an wirklicher Lösung der anstehenden globalen Probleme haben, das zeige ihre Politik mehr als deutlich. Es bestünden vielmehr grundsätzliche und antagonistische Interessengegensätze zwischen den Lobbyisten des Kapitals und einer derzeit kleinen linken Opposition. Der Kapitalismus sei nicht nur durch zeitweilige „Ideenlosigkeit“, sondern prinzipiell strukturell nicht in der Lage, die sozialen und ökologischen Probleme zu lösen.

Reformen als Minimalforderung

Andererseits, so wurde eingewandt, handele es sich bei dem Papier um eine kurzfristige Perspektivenentwicklung für die Politik der PDS. Von einem Papier, das Schwerpunkte der Arbeit bis 1998 aufzeigen wolle, dürfe man nicht erwarten, daß es bis hin zu einer revolutionären Veränderung der Verhältnisse visiere. Diesem Einwand wurde insoweit zugestimmt, als in der Tat unter den gegenwärtigen Bedingungen der Schwäche der Linken und des außerparlamentarischen Widerstands Vorstöße nur in Richtung eines Abwehrkampfes gegen die einseitige Aufkündigung bestehender gesellschaftlicher Kompromisse gehen könnten. Auch Reformansätze und -vorschläge seien sicher nicht verkehrt. Jedoch, und das vermisse man nicht nur in dem gegenwärtig diskutierten Strategiepapier, müßten solche Vorschläge stets als unter den gegenwärtigen Bedingungen minimale Forderungen formuliert werden. Sie müßten stets eingebettet sein in eine Forderung nach einer generellen, revolutionären Veränderung der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Macht- und Eigentumsverhältnisse.

Daß diese Einbettung in einen sozialistischen Anspruch dem Papier offenbar nicht ganz zufällig fehle, so die Diskussion in der Kieler Gruppe, mache das „neue“ Oppositionsverständnis deutlich, das im Papier, abweichend zu bisherigen (u.a. im Parteiprogramm), eindeutigen Absagen an Regierungsbeteiligungen und -tolerierungen, zutage trete. Obwohl richtig festgestellt werde, daß das Beispiel Nordrhein-Westfalen zeige, daß der rosa-grüne „Reformaufbruch“ keiner sei, biedere sich das Papier einige Absätze weiter an die „Oppositionskräfte“ in SPD und Grünen an. Die Einschätzung, daß nur rosa-grüne Regierungen ein positives Klima für auch weitergehende Reformansätze ermöglichten, sei völlig illusorisch und durch deren Praxis gründlich widerlegt.

Die weitere Diskussion beschäftigte sich mit der Frage nach den AkteurInnen linker Politik. Es wurde festgestellt, daß man eben nicht davon ausgehen könne, daß sich die „allgemein menschlichen Interessen“ irgendwie gesetzmäßig oder notwendig durchsetzen werden, eben weil sie vernünftig seien. Vielmehr bedürfe es zu deren Durchsetzung einer Gruppe oder Klasse, die diese Interessen nicht nur formuliert, sondern auch einfordert und erkämpft. Auch wenn die konservative Hegemonie fortschreite und auch große Teile von Schichten und Klassen erfaßt habe, die früher linke Interessen vertraten, z.B. die ArbeiterInnen, gebe es dennoch Gruppen, die Widerstand leisten. Auf diese müsse die PDS sich orientieren, nicht – auf dem Wege zur „Volkspartei – auf vermeintliche Reformkräfte bei den ehemals linken Parteien wie SPD und Grünen. Die politische Praxis müsse unterstützend die im Widerstand formulierten Interessen aufgreifen. Dazu gebe es immerhin einige Ansätze im zweiten Teil des Papiers „Politische Aufgaben der PDS bis 1998“.

Nicht profitkräftige Arbeit fördern

Diesem zweiten Teil wandte sich die PDS Kiel am Ende der Diskussion zu, insbesondere dem Abschnitt über die gesellschaftliche Organisation der Arbeit. Hier komme es besonders darauf an zu fordern, daß nicht profitkräftige Bereiche der Arbeit gefördert werden, insbesondere der Reproduktionssektor. Wie bei den vermeintlichen „allgemein menschlichen Interessen“ werde man aber auch hier auf den entschiedenen Widerstand des Kapitals stoßen. Es komme jedoch zunächst darauf an, daß eine solche Forderung auch reales Interesse von breiteren Bevölkerungsschichten werde. Dies lasse sich u.a. realisieren durch eine Regionalisierung der Wirtschaftskreisläufe. Solche Kreisläufe seien nämlich überschaubar, wodurch wiederum der Wunsch, sie mit zu gestalten, geweckt werden könnte. Ähnlich hatte es das diskutierte Papier formuliert, so daß ihm in diesem Punkt zugestimmt werden konnte.

Die Diskussion um die „Politischen Aufgaben der PDS“ soll in der Kieler Gruppe fortgesetzt werden. Dabei sind auch Interessierte außerhalb der PDS willkommen. Auf der nächsten Landesversammlung der PDS S.-H., am 12.11. in der Pumpe, sollen die vorläufigen Diskussionsergebnisse dem Landesverband vorgestellt werden; zum einen, um die Diskussion in anderen schleswig-holsteinischen BOs anzustoßen, zum anderen um einen Änderungsantrag für die nächste Tagung des 4. Parteitages (im Januar) zu erarbeiten. (jm)