Dokumentiert:

Auf der Landesversammlung der PDS S.-H. am 12.11.1995 wurde folgende von der „AG Betrieb & Gewerkschaft in und bei der PDS“ erarbeitete Resolution mit großer Mehrheit verabschiedet:
 

Resolution der Landesversammlung der PDS S.-H. zur Novellierung des Ladenschlußgesetzes.

Die PDS S.-H. ist für den Erhalt der bestehenden Ladenschlußzeiten und spricht sich gegen die Ausweitung unsozialer Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen aus.

Die Bundesregierung betreibt massiv eine Deregulierung der Ladenschlußzeiten. Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis und der damalige wirtschaftspolitische Sprecher der Bundes-SPD, Uwe Jens, forderten ihre Partei auf, sich einer Flexibilisierung von Öffnungszeiten nicht zu widersetzen (Kieler Nachrichten vom 12.8.1995). Die Grünen und die FDP begrüßen das ifo-Gutachten, das längere Ladenöffnungszeiten befürwortet (ebenda). Diese unheilige Allianz geht daran, mit Scheinargumenten und der Verdrehung von Befragungsergebnissen die Durchsetzung von Interessen der Großunternehmen zu realisieren und Arbeitnehmerrechte sowie Mittelstandsexistenzen zu demontieren. Dabei ist weiterhin nicht zu übersehen, daß die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für mehr als 2,8 Mio. Einzelhandelsbeschäftigte vor allem Frauen träfe, weil diese annähernd 90 Prozent der im Verkauf Tätigen repräsentieren. Dem verführerischen Reiz einer bis in die späten Abendstunden zugänglichen Konsumlandschaft unterliegen viele. Die Argumente für diese Maßnahmen sind mitunter naheliegend und eingängig. Sie entlarven sich erst bei genauerem Hinsehen als Schall und Rauch. Wir wollen daher im folgenden die wesentlichen, immer wiederkehrenden Argumente aufgreifen und sie einer genaueren Betrachtung unterziehen.

Eine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten kann vor allem von Berufstätigen Hausfrauen und -männern nur befürwortet werden; sie bietet endlich die Möglichkeit, in Ruhe einzukaufen.

Diese Aussage scheint auf den ersten Blick plausibel, denn wer hat abends nicht schon einmal festgestellt, daß die Butter, die Milch oder das Bier ausgegangen ist, und war daher gezwungen, den Weg in die Kneipe oder die „teure“ Tankstelle anzutreten, weil die Lebensmittelläden bereits geschlossen hatten? Aus diesen gelegentlichen Problemen aber eine Grundsatzposition für die Verlängerung von Ladenöffnungszeiten ableiten zu wollen, wäre „mit Kanonen auf Spatzen schießen“! Außerdem – ginge man davon aus, daß die allgemeinen Arbeitszeiten sich verkürzen, hin zur 35-Stunden-Woche, entsprechend einem 7-Stunden-Tag, so dürfte sich theoretisch die Einkaufszeit erhöhen! Aber da ist einer der Haken: Gefordert wird von den Konzernen Anpassung der Arbeitszeit an das Arbeitsaufkommen, also auch mal eine 50- bis 60-Stunden-Woche. Liberalisierung der Öffnungszeiten verbesserte die Voraussetzungen, überall solche „Arbeitszeitkorridore“ durchzusetzen. Für die Werktätigen wäre nichts gewonnen.
Das Münchner ifo-Institut hat Ende 1994 eine Kundenbefragung durchgeführt. Danach gaben 79% aller Befragten an, daß sie mit den bestehenden Öffnungszeiten zufrieden seien. Nur 17% der Kunden plädierten für deren Verlängerung. Die absolute Mehrheit sieht hier also offensichtlich gar keinen Handlungsbedarf.
Dem entspricht auch die Auffassung der Einzelhändler: Erfahrungen in Ländern mit längeren Ladenöffnungszeiten haben gezeigt, daß sich der Hauptumsatz abends auf etwa 2.500 Artikel beschränkt. Ein innerstädtisches Warenhaus führt aber bis zu 400.000 Artikel, ein Fachgeschäft – je nach Branche – zwischen 10.000 und 50.000 Artikel.

Die deutsche Wirtschaft befindet sich in der Krise; wäre es daher nicht sinnvoll, über längere Öffnungszeiten den Umsatz verstärkt anzukurbeln?

Das Potential für eine Ausweitung des privaten Konsums ist auch nach Auffassung des ifo-Instituts äußerst begrenzt. Dafür sprechen nicht nur relativ konstante Sparguthaben, mäßige Tarifabschlüsse und stabile Trends in den Verbrauchsstrukturen, sondern auch die allgemeine wirtschaftliche Lage: Massenarbeitslosigkeit, weitere Arbeitsplatzvernichtung durch Produktionsstättenverlagerungen in Billiglohnländer sowie technische Innovation, ca. 15.000 Firmenkonkurse jährlich, Lohnkürzungen durch Streichung von Zuschlägen bzw. Arbeitszeitverkürzungen ohne Lohnausgleich, Sozialabbau für Arbeitslose bzw. Sozialhilfebezieher und sich ständig erhöhende Steuern sowie Sozialabgaben für Arbeitnehmer sind in Bezug auf eine Erhaltung oder gar Erhöhung der Inlandsnachfrage kontraproduktiv. Es wäre unter diesen Bedingungen also bestenfalls eine Streckung oder Verlagerung der Nachfragezeiten, aber keine Erhöhung der Gesamtumsätze zu erwarten.

Durch längere Öffnungszeiten entsteht ein höherer Personalbedarf; es werden damit neue Arbeitsplätze geschaffen. Eine solche Chance müßte doch genutzt werden?

Die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels (HDE) hat sich gegen eine Veränderung der Ladenschlußzeiten ausgesprochen. 80% seiner Mitglieder und 56% aller Einzelhändler möchten keine Verlängerung, und das aus gutem Grund: Viele Klein- und Mittelbetriebe können und wollen sich an einer Ausweitung von Geschäftszeiten nicht beteiligen, weil sie aufgrund der oben geschilderten Lage für sich keine Erhöhung des Umsatzvolumens erwarten und nicht in der Lage sind, die Kosten für das zusätzlich erforderliche Personal zu tragen. Sie hätten nur die Möglichkeit, diese Mehrkosten über höhere Preise zu kompensieren, was die für sie ohnehin bedrohliche Konkurrenzsituation zu den Großmärkten aber noch weiter verschlechtern würde. Außerdem wird befürchtet, daß diese Maßnahme zu Lasten der Familie ginge, weil schon jetzt 60 bis 70 Wochenstunden die Regel sind.
Es wurde auch nicht bedacht, daß zwischen 1992 und 1994 die Zahl der Vollzeitkräfte um 75.000-91.000 gesunken ist. Prognose des HDE für 1995: Abbau von 45.000 weiteren Arbeitsplätzen. Verrechnet mit der Zunahme der Teilzeitarbeitsplätze sind dann netto rund 100.000 Arbeitsplätze im Einzelhandel verschwunden.

Es heißt, daß 50.000 bis 55.000 neue Arbeitsplätze geschaffen würden: stimmt das?

Hierbei handelt es sich weitgehend um Teilzeitarbeitsplätze, was bei dem katastrophalen Tarifniveau im Handel bereits die Lebenshaltungskosten nicht mehr abdeckt. Das Tarifgehalt einer Verkäuferin (Schleswig-Holstein) liegt zwischen 1.753 DM und 2.052 DM (ungelernt), gelernt zwischen 2.270 DM im ersten Jahr und 3.173 DM vom 7. Berufsjahr an. Am Beispiel Schwedens können wir erkennen, welche Folgen tatsächlich eintreten: dort nahm die Zahl der Teilzeitkräfte, die zwischen 20 und 34 Wochenstunden arbeiten, um 37,2% zu. Die Zahl der Teilzeitkräfte mit weniger als 20 Wochenstunden erhöhte sich um 6,4%, während die Zunahme bei Vollzeitkräften nur 1,1% nach der Ausweitung der Ladenöffnungszeiten betrug. Umgerechnet auf Vollzeitkräfte würden nur noch 31.000 bis 32.000 Arbeitsplätze zusätzlich benötigt. Diese würden aber nicht in den kleinen Fachgeschäften geschaffen, weil die zu den Verlierern einer Deregulierung der Geschäftszeiten gehören. Entsprechende Untersuchungen des ifo-Institutes weisen nach, daß ausschließlich die Einkaufsmärkte auf der „grünen Wiese“, wie Baumärkte und Einkaufszentren, von der Ausweitung der Ladenöffnungszeiten profitieren würden, daß die innerstädtischen Kaufhäuser deutlich weniger gut abschneiden und die Fachgeschäfte dagegen bis zu zwei Prozent ihres Umsatzes einbüßen würden. Dies sind Tatsachen, die auch jetzt schon aufgrund der Erfahrungen mit dem „langen Donnerstag“ eindeutig nachweisbar sind.
In Kombination mit Dumping-Preisen der großen Märkte brächte eine Verschärfung dieser Entwicklung das endgültige Aus für die Geschäfte, in denen der Kunde wirklich noch König ist. Einer weiteren Konzentration wirtschaftlicher Macht würde damit eindeutig Vorschub geleistet. Insofern ist selbst die o.g. Zahl von knapp über 30.000 neuen Vollzeitarbeitsplätzen illusionär; es wurde bei ihrer Errechnung nämlich überhaupt nicht berücksichtigt, daß im Facheinzelhandel – in Folge des weiter zunehmenden Konkurrenzdrucks zu den Großbetrieben – massenhaft qualifizierte Arbeitsplätze durch Betriebsschließungen verlorengingen.

Wo liegen die Gründe dafür, daß die Großbetriebe Vorteile hätten und der Facheinzelhandel stirbt?

Die längeren Öffnungszeiten entmischen den Zusammenhang zwischen Wohnen, Einkaufen und Arbeiten verstärkt. Der Kunde hat wesentlich leichter die Möglichkeit, zur „grünen Wiese“ hinauszufahren, statt auf dem Nachhauseweg in Arbeitsstätten- oder Wohnungsnähe seine Besorgungen zu machen. Er nutzt also die günstigeren Großmarktpreise verstärkt, weil er weniger unter Zeitdruck steht.
Es wäre dabei allerdings illusorisch, anzunehmen, daß die Großmärkte durch diese Entwicklung dazu übergingen, zusätzliche, geschweige denn qualifiziertere Arbeitsplätze zu schaffen. Im Gegenteil, sie fahren ihre Betriebe trotz steigender Umsätze mit immer weniger Personal. Zum Vergleich: Im beratungsintensiven Facheinzelhandel werden pro 100 DM Umsatz bis zu 25 DM Personalkosten eingesetzt, während die Großmärkte weder beraten noch ausbilden und daher für ihre Beschäftigten nur noch 4 bis 6 DM übrig haben. Neben rollierenden Personaleinsätzen, die in Fachgeschäften wegen der weit geringeren Gesamtpersonaldecke und der höheren Kosten für das qualifizierte Personal ohnehin quasi unmöglich sind, wird zusätzlicher Personalbedarf der Großmärkte in Stoßzeiten mit Vorliebe durch ungelernte und 580-DM-Kräfte abgedeckt.

Warum sind mit Ausnahme der PDS alle Parteien für verlängerte Ladenschkußzeiten, wenn Kunden, Personal und Einzelhandel sie nicht wollen? Wem nutzen sie?

Eine deregulierte Einkaufswelt bereitet, weil sie dem Alltagsbewußtsein der Menschen am nächsten ist, der Beseitigung weiterer Arbeitszeitgrenzen einen psychologisch äußerst günstigen Boden. Es geht also einerseits um einen Effekt, der auf eine allgemeine Unterstützung der Arbeitszeitflexibilisierung und andererseits auf den Abbau von Lohnzuschlägen für Nachtarbeit abzielt. Der Einzelhandel wird zum Objekt eines ordnungspolitischen Exempels gemacht.
Durch die „Liberalisierung“ der Ladenschlußzeiten sehen sich nach dem ifo-Gutachten die im Einzelhandel Beschäftigten in einem verstärkten Wettbewerb mit Arbeitskräften außerhalb des Einzelhandels, die eher bereit sind, ungünstigere Arbeitszeiten zu akzeptieren. Dies wird die Möglichkeit begrenzen, in künftigen Tarifverhandlungen ähnlich hohe Lohnzuschläge wie für den „langen Donnerstag“ durchzusetzen. Diese betragen zur Zeit laut Tarifvertrag 50% für die Arbeitszeit nach 18.30 Uhr, auch wenn es sich nicht um Überstunden handelt.

Zusammenfassend läßt sich also nur sagen: Wehret den Anfängen! Eine Deregulierung der Öffnungszeiten und Arbeitsbedingungen im Handel zieht unweigerllich entsprechende Konsequenzen im produzierenden Gewerbe, im Dienstleistungs- und Verkehrsbereich sowie im staatlichen Sektor nach sich. Sie öffnet Arbeitszeitverlängerungen und weiteren Reallohnverlusten Tür und Tor. Es ist daher erforderlich, sich auf breiter Ebene dem Widerstand durch die Gewerkschaft „Handel, Banken und Versicherungen“ (hbv), aber auch den Forderungen des Einzelhandelsverbandes Nord-Ost (Kiel) anzuschließen, die sich gegen diese Pläne wenden.

Gegen den Angriff auf das Mibestimmungsrecht der Betriebsräte und gegen den Angriff auf die Tarifautonomie!

Der Vorstandsvorsitzende der Douglas Holding und Vorsitzende im DIHT-Handelsausschuß, Kreke, fordert schon lauthals dann auch die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, um den Einfluß von Betriebsräten auf die Arbeitszeit auszuschalten. Denn zur Zeit werden in Betriebsvereinbarungen die Arbeitszeiten festgelegt, also auch das Ende um 18.30 Uhr. Im Manteltarifvertrag Schleswig-Holstein wie auch in anderen Bundesländern ist in einer Protokollnotiz festgehalten, daß die Betriebsräte das Arbeitszeitende um „spätestens 18.30 Uhr, an kurzen Sonnabenden bis 14 Uhr, an langen Sonnabenden bis 18 Uhr, ab (...) April bis September bis 16 Uhr“ vereinbaren sollen. Das sollte den Willen der Tarifvertragsparteien zum Ausdruck bringen.

Wir fordern die Landesregierung auf, Ausnahmegenehmigungen entsprechend dem Ladenschlußgesetz zu erteilen und die momentane Praxis der Sonntagsöffnungen einzudämmen!

Bereits im Ladenschlußgesetz gibt es 14 Paragraphen mit Ausnahmeregelungen für bestimmte Verkaufsstellen und Tage. Besonders sei dort die „Bäderregelung“ genannt, die für Schleswig-Holstein in einer großen Zahl von Gemeinden Sonderöffnungszeiten während der Saison zuläßt (sonn- und feiertags 11-18.30 Uhr, werktags bis 20.30 Uhr). Diese Verordnung wurde auf Grund § 23 erlassen, der eigentlich für Notfälle gedacht war, wie z.B. Überschwemmungen, wenn Ware zu verderben droht oder wenn die Versorgung der Bevölkerung nicht gewährleistet werden kann. Die Bäderregelung ist also schon ein ungeheures Zugeständnis und eine mehr als großzügige Auslegung des Gesetzes. Wenn aber neuerdings in allen möglichen Orten Sonntagsöffnungen von den örtlichen Behörden genehmigt werden (nach § 14, „aus Anlaß von Messen und Märkten“), die von den Gewerbevereinen erst neu ins Leben gerufen und als „Märkte“ bezeichnet werden, so entspricht das nicht mehr der Definition im Gesetz.

Wir wollen regionale/örtliche Versorgung sowie entsprechend ortsnahe Produktion.

Das spart Verkehrswege und damit Energie und vermindert die Umweltbelastung. Arbeitsplätze in Ortsnähe sparen Fahrzeit = Freizeit.