Weiße Flecken

Nationalsozialistische Herrschaftsorganisation in Schleswig-Holstein – eine Veranstaltung des Instituts für Zeit- und Regionalgeschichte und der Landeszentrale für politische Bildung in der Reihe Forum Geschichte am 26.10.1995 im Kieler Schloß.

Seit 1991 besteht in Schleswig das Institut für Zeit- und Regionalgeschichte (IZRG), zugeordnet nicht der Kieler Universität, sondern der Flensburger Bildungswissenschaftlichen Hochschule und früheren PH. Das Schleswiger Institut ist in einer Zeit gegründet worden, als längst klar war, daß es zusätzliche Planstellen aus dem Landeshaushalt bei allem Wohlwollen der zuständigen Ministerin nicht geben würde. Dennoch hielt man an der Gründung fest, nicht zuletzt deshalb, weil die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein wegen fehlenden Interesses der dafür eigentlich verantwortlichen Stellen, nämlich des Historischen Seminars der Uni und vielleicht noch des Instituts für Politikwissenschaft, gegenüber einigen anderen Forschungslandschaften stark ins Hintertreffen geraten war. Peinlich vor allem deswegen, weil nach 1945 bekanntermaßen ein Großteil der überlebenden Elite des „Dritten Reiches“ in unseren idyllischen Dörfern und Städten komfortable Altersruhesitze oder sogar in besonders spektakulären Fällen (Heyde/Sawade) Arbeitsmöglichkeiten im öffentlichen Dienst fand.

Als klar wurde, daß aus verschiedenen Gründen das neue Institut nicht Teil der Uni werden sollte und zudem die dafür nötigen Personalmittel zu Lasten derselben aufgebracht würden, war die bis heute andauernde Gegnerschaft des Historischen Seminars vorhersehbar. Selbst schuld, ist man versucht zu konstatieren. Denn dort wurde und wird zwar Landesgeschichte gelehrt, der Zeitraum 1933-1945 aber nicht beachtet (Prof. Hoffmann, inzwischen emeritiert) oder von politisch als unzuverlässig zu beurteilenden Forschern (Prof. Grieser) im günstigsten Falle nicht behindert. Der Lehrstuhl für Neueste und Zeitgeschichte (Prof. Salewski) betreibt fast ausschließlich eine etwas krude Mischung aus Geschichtsphilosophie und Militärgeschichte. Guten Willen kann man allenfalls Kurt Jürgensen unterstellen, doch dieser war hauptamtlich an der ehemaligen Kieler PH tätig und kam über gewisse Ansätze nicht hinaus. Trotzdem wurde die Existenzberechtigung des IZRG von Seiten der Uni heftig bestritten. Bei der Berufung Uwe Dankers nach Schleswig versuchte man, durch Ungeschicklichkeiten der Landesregierung und Zweifel an der Eignung des neuen Professors beflügelt, über regelrechte Leserbriefkriege in der Landeszeitung und dem Flensburger Tageblatt einen vermeintlichen Skandal zu inszenieren.

Mit der Tagung im Kieler Schloß, über die hier berichtet wird, hat das IZRG seine Berechtigung erstmalig in größerem Rahmen und unter Beteiligung der Landeszentrale für politische Bildung eindrucksvoll nachgewiesen. Souverän moderiert von Karl-Heinz Harbeck, dem Leiter der Landeszentrale, wurden die Zuhörer in fünf sämtlich exzellenten Vorträgen in Grundsatz- und Detailprobleme der NS-Herrschaft eingeführt. Den Anfang machte der Mannheimer Privatdozent Michael Ruck mit einer Einführung in die Herrschaftsstrukturen im NS-Staat. In seinem trotz der teilweise gedrängten (und anstrengenden) Dichte lichtvollen Vortrag gelang es, die zwölf Jahre des „Tausendjährigen Reiches“ schlüssig in mehrere Phasen der Machtergreifung und Etablierung, der inneren Durchsetzung und Radikalisierung und des Verfalls zu gliedern. Wesentliche Erkenntnis war die starke Dynamik in der Entwicklung der staatlichen und parteilichen Herrschaftsinstrumente, die Gegnerschaft konkurrierender Stellen mit ähnlichen oder gleichen Aufgaben, von Martin Broszat bereits mit dem einprägsamen Begriff der Polykratie belegt, und die geradezu anachronistisch anmutende, regionalegoistisch geprägte Politik vieler Gauleitungen. Das Bild von dem monolithischen Block NS-Deutschland erfuhr hier verständnisfördernde Differenzierung.

Auf Rucks Referat aufbauend folgten Vorträge über Die schleswig-holsteinischen Kreisleiter im NS-Herrschaftsgefüge (Detlev Korte), Oberpräsidium und NSDAP-Gauleitung in Personalunion: Hinrich Lohse (Uwe Danker), Aufgaben, Struktur und Tätigkeit der Gestapo in Schleswig-Holstein (Gerhard Paul) sowie Die nationalsozialistische Strafjustiz. Zur Tätigkeit des Schleswig-Holsteinischen Sondergerichts von 1933 bis 1945 (Eckhard Colmorgen). Detlev Kortes Vortrag liegt zwar schriftlich vor, konnte aber krankheitsbedingt nicht gehalten werden. Man darf auf seine Veröffentlichung im Tagungsband gespannt sein, ist doch Korte bereits durch seine Dissertation über das Arbeitserziehungslager Russee und seine Mitwirkung im Arbeitskreis Asche-Prozeß bekannt.

Alle Vorträge illustrierten das Eingangsreferat eindrucksvoll, das darf hier auch ohne nähere Schilderung konstatiert werden. Sie beruhten zum größten Teil auf bisher unbearbeiteten oder doch zumindest noch nicht systematisch ausgewerteten Archivalien verschiedener Provenienz. Letzte Antworten und erschöpfende Auskünfte beansprucht indes keiner der Referenten, weshalb die Veranstaltung auch als ein Werkstattbericht anzusehen ist. Das läßt Hoffnung auf längeren Atem des Instituts und auf größere Veröffentlichungen zu. Der Tagungsband wird Anfang 1996 bei der Landeszentrale für politische Bildung erscheinen. (id)