Pressemitteilung:

Landgericht Itzehoe wandelt achtmonatige Freiheitsstrafe gegen Totalen Kriegsdienstverweigerer in Bewährungsstrafe um

Itzehoe/Meldorf/Heide/Magdeburg/Braunschweig, 30.10.1995. Das Landgericht Itzehoe hat am 30. Oktober 1995 eine vom Amtsgericht Meldorf gegen den Totalen Kriegsdienstverweigerer Lothar Wesolowski aus Magdeburg verhängte Freiheitsstrafe von acht Monaten zur Bewährung ausgesetzt.

Wesolowski hatte im Winter/Frühjahr ’95 – erstmalig seit Bestehen der Bundeswehr – 84 Tage Disziplinararrest am Stück in der Wulf-Isebrand-Kaserne in Heide verbüßen müssen, nachdem Feldjäger den Verweigerer festgenommen hatten. Das Amtsgericht Meldorf verhängte am 1. Juni 1995 wegen „Fahnenflucht“ und mehrfacher „Gehorsamsverweigerung“ eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten, die es nicht zur Bewährung aussetzte, um die „Disziplin der Truppe“ aufrecht zu erhalten.

In der Berufungsverhandlung erklärte Wesolowski am Montag erneut, daß er als ehemaliger DDR-Bürger ’89 „für die Freiheit, und nicht für die Fortsetzung des Militärs“ auf die Straße gegangen sei. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Schulz, ob der Verweigerer letztlich seine „Gewissensentscheidung über das Gesetz“ stelle, entgegnete Wesolowski, daß sich die Leute nun einmal immer gegen Gesetze auflehnten, die Unrecht seien, so wie auch in der DDR „Republikflucht“ zwar gesetzlich strafbar, aber dennoch Unrecht war. Unsicher anwortete Schulz: „Das ist ’ne andere Geschichte.“

Der Verteidiger Günter Werner aus Bremen führte in seinem Plädoyer an, die Wehrpflicht bedeute in letzter Konsequenz, daß der Staat verlange, das Leben für ihn zu geben, und auf der anderen Seite „nicht nur notfalls zu sterben, sondern auch zu töten.“ Wer sich diesem System verweigere, produziere allerdings nicht wie im sonstigen Strafrecht Opfer, sondern stelle sich lediglich gegen eine politische Grundsatzentscheidung, die Wehrpflicht, die aber auch in wenigen Jahren bereits abgeschafft sein könne. Die Gewissensfreiheit müsse hier vor dem Anspruch des Staates stehen, die Wehrpflicht durchzusetzen, da das eigentliche Ziel der Verfassung sei, die Freiheit des einzelnen im größtmöglichen Rahmen zu garantieren. Deshalb beantragte Werner Freispruch.

Staatsanwalt Ziegler, der nach Worten von Detlev Beutner von der Totalverweigerer-Initiative Braunschweig, die Wesolowski während des Bundeswehr-Arrestes betreut hatte, „sich seit vielen Jahren mit hohem Engagement für die Kriminalisierung von Totalverweigerern einsetzt“, entgegnete auf die Ausführungen des Verteidigers, der Angeklagte könne sich „hier nicht auf sein Gewissen berufen“. Eine Gewissensentscheidung eines Totalverweigerers müsse sich, wenn dies überhaupt berücksichtigt werden solle, „gegen den konkreten Zivildienst in der konkreten Ausgestaltung“ richten; aber selbst dann gelte: „Strafbar ist der Gewissenstäter allemal.“ Ziegler forderte die Verwerfung der Berufung.

Nach einer Dreiviertelstunde verkündete Richter Schulz, daß die Berufung mit der Maßgabe verworfen werde, daß die Strafe von acht Monaten auf zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt werde. Das Gericht habe eine Entscheidung „im Grenzbereich von Recht und Ethik“ treffen müssen. Dabei sei aber grundsätzlich davon auszugehen, daß ein geordnetes Zusammenleben unmöglich würde, würde „das Gewissen des einzelnen über die Rechtsordnung gestellt.“