Der Osten strahlt – Siemens auch
 

Die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) – Lobbyorganisation und Braintrust der deutschen Atomiker – hat unlängst ihren Jahresbericht vorgelegt. Dem ist zu entnehmen, daß sich ein erheblicher Teil der Aktivitäten der Gesellschaft auf Osteuropa konzentriert. In zahlreichen Ostmeilern tummeln sich GRS-Spezialisten, analysieren und prüfen die Sicherheitssyteme und empfehlen die Aufrüstung mit westlicher (natürlich deutscher) Technologie.

Man genießt dabei nicht nur das Wohlwollen der Bundesregierung, sondern auch deren volle Unterstützung. Das Ministerium für Umweltschutz und Reaktorsicherheit hat Programme aufgelegt, in deren Rahmen bis 1998 310 Mio. DM für die „kerntechnische Sicherheit“ gen Osten fließen sollen. Unter anderem werden in Rußland und der Ukraine zwei Vorzeigeprojekte gefördert, für die 1994 und 1995 je 21 Mio. DM locker gemacht wurden. Die GRS hat für diese Unternehmen die Trägerschaft übernommen. In den Kraftwerken Balakovo (Rußland) und Rovno (Ukraine) führen ihre Spezialisten mit den Betreibern umfangreiche Untersuchungen durch und planen die Neuausstattung der Meiler mit – weitgehend – westlichen Sicherheitssystemen.

Kaum anzunehmen, daß dahinter selbstlose Motive stecken. Vielmehr scheint der politische Wandel in Osteuropa gerade richtig gekommen zu sein, um westdeutsche Atomfachleute vor der Arbeitslosigkeit zu bewahren. Hierzulande ist nämlich schon lange kein AKW mehr gebaut worden, so daß man beim einzigen deutschen Hersteller, Siemens-KWU, schon Know-how-Verlust befürchtete.

So ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß man sich für die Vorzeigeprojekte, die erklärtermaßen Pilotfunktion haben, Druckwasserreaktoren ausgesucht hat, ein Kraftwerkstyp auf den sich die Techniker bei Siemens bestens verstehen. Man muß also kein Hellseher sein, um vorauszusagen, wer die meisten Anlagen liefern wird, die mit Bonner Geldern und als Hilfe gepriesen demnächst in Balakovno und Rovno eingebaut werden.

Auffällig an den erwähnten Engagements wie auch allen anderen in Osteuropa ist, daß ihnen stets bilaterale Kooperationen zugrundeliegen. Selbstverständlich ist das nicht, kämpfen doch alle Länder mit ähnlichen Problemen. Zudem hatten sie natürlich bisher einen gemeinsamen technischen Standard. Die Auflösung dieser alten Beziehungen, der Rückgriff auf westliche Experten (bei grassierender Arbeitslosigkeit der eigenen Fachleute) und die Übernahme von Weststandards schaffen neue Abhängigkeiten – sicherlich ganz im Sinne deutscher Exporteure.

So ganz scheint man bei den deutschen Atomikern jedoch nicht von der eigenen Technik überzeugt zu sein: Die GRS handelt nämlich mit den Regierungen in Kiew und Moskau Haftungsbefreiungen für die deutschen Exporte aus. Sonst müßte Siemens womöglich noch für ein etwaiges Versagen seiner Produkte geradestehen. Im übrigen ist derzeit, wie dem Bericht der Gesellschaft zu entnehmen ist, ein legaler Export von Atomtechnik in die Ukraine noch gar nicht möglich: Der neue Staat ist noch nicht dem Nichtverbreitungsvertrag für Atomwaffen beigetreten. (wop)