Kieler Studis kommen nicht aus den Puschen

Aktionswoche gegen Rüttgers Bafög-Deform in Kiel bedeutungslos

Frankfurt, eine ehemalige Hochburg der 68er StudentInnenproteste, war einfallsreicher. Dort wurde zum bundesweit ausgerufenen „Heißen Herbst“ der Studierenden gegen Bundesbildungsminister Rüttgers Bafög-Kahlschlag Sekt ausgeschenkt: „Rüttgers Club“. In Kiel dagegen: die laue Stimmung des novembrigen Nordens.

Doch zunächst in Kürze die Vorgeschichte. Die nun schon seit mindestens einem Jahrzehnt bestehende finanzielle Misere der Hochschulen im Blick hatte Rüttgers vorgeschlagen, die Bafög-Zuwendungen in ein privatwirtschaftlich verzinstes Darlehen umzuwandeln. Studis, die nach dem „Genuß“ von Bafög schon jetzt am Ende des Studiums einen Schuldenberg von durchschnittlich 36.000 DM vor sich sehen, wären nach diesem Modell durch die Zinsen in Höhe von ca. 8,5% mit einer Schuldenlast von über 70.000 DM konfrontiert. Bei zunehmender AkademikerInnenarbeitslosigkeit und der dadurch voranschreitenden Proletarisierung einer ehemaligen Elite wäre dies ein weiterer Schritt zur Demontage des in den 70er Jahren propagierten Modells „Bildung für alle“.

Im wesentlichen zwei Modelle zur Reform des Bafög wurden dem mit seinem Vorschlag allein auf weiter Flur stehenden Rüttgers entgegengehalten. Zum einen ein Stufenmodell der Studentenwerke. Nach diesem Modell erhalten alle Studierenden eine familienunabhängige Sockelförderung von 300-400 DM. Eine zusätzliche Aufbauförderung wird familienabhängig als zinsloses Darlehen gewährt. Dieses Modell soll kostenneutral gehalten werden durch eine Reform der Steuerfreibeträge für Kinder in der Ausbildung und das Kindergeld. Das zweite „Anti-Rüttgers-Modell“ stammt aus grünennahen Kreisen. Es sieht vor, nach Vorbild der Rentenversicherung eine Art Generationenvertrag zu schließen. In (fettem) Lohn und Brot stehende AkademikerInnen sollen bis zu 4% ihres Einkommens in eine Ausbildungskasse zahlen, aus der an die Studierenden 12 Semester lang 1.000 DM monatlich ausgeschüttet werden. Auch das, so die BefürworterInnen und ZahlenspielerInnen dieses Modells (welches verdächtige Nähe zur Vettern- und Elitenwirtschaft der studentischen Verbindungen aufweist), sei kostenneutral zu machen.

In einer Podiumsdiskussion zur Studienfinanzierung, veranstaltet am 9.11. vom AStA der Uni Kiel im Rahmen der Aktionswoche gegen Rüttgers Bafög-Deform und von nur ca. 70 Studis besucht, legten die BefürworterInnen der jeweiligen Modelle diese dar. Übrigens: ein(e) VertreterIn des Bundesbildungsministeriums war nicht zugegen. Die Absage der Arroganz der Macht (so AStA-Vorsitzender Frank Becker nicht ohne eine gehörige Wut im Bauch) erfolgte nach anfänglicher Zusage erst am Tage der Veranstaltung.

Im Vordergrund der Veranstaltung stand jedoch zunächst der von der Landesregierung just gefaßte Beschluß eines 12-monatigen Wiederbesetzungsstops für vakant werdende Stellen im Öffentlichen Dienst. Die ebenfalls anwesende Ministerin für Wissenschaft &c., Marianne Tidick, verwies zwar darauf, daß die Universitäten nur aufgrund eines fehlerhaften Briefverteilers (!) mit diesem Problem konfrontiert seien, das aus der Notwendigkeit Waigel‘scher Sparpläne und der Steuerschätzung für 1996 erwachse, nach welchen das Land ad hoc 750 Mio. DM einsparen müsse. Doch wies sie im gleichen Atemzug darauf hin, daß diese neue Welle der Demontage öffentlicher Leistungen auch den Hochschulen „harte aber vernünftige“ Opfer abverlangen werde, was immer das heißt. Vorerst keine Wiederbesetzungssperre für Lehrstühle – aber „Opfer“. Welche? Vielleicht versucht die Landesregierung ja, dies nach dem ohnehin offenbar längst akzeptierten Vorbild des Kanzlers auszusitzen. Denn schon jetzt dauern Wiederbesetzungsverfahren für vakante Lehrstühle ohnehin mindestens 2 Jahre.

Abgesehen von Gerd Köhler (GEW-Bundesvorstand), der – durch die Blume – zu streikendem Widerstand der Studis gegen die Bafög-Demontage aufrief, und – in Ansätzen – Sonja Erlenkamp (AStA-Referentin für Sozialpolitik), die einforderte, die Studis dürften sich nicht von vornherein auf kostenneutrale Modelle der Studienfinanzierung einlassen, sondern müßten im Gegenteil mehr Geld für die universitäre Bildung fordern, dümpelte das Podium nicht weniger als die versprengt anwesenden Studis im freien Fall der Ratlosigkeit dahin. Von Protest keine Spur. Dies bei der gesamten Kieler Aktionswoche, wie Frank Becker entnervt feststellte. Die am 7.11. einberufene Vollversammlung der Kieler Studierenden war nicht besser besucht als eine durchschnittlich überfüllte Vorlesung über Betriebswirtschaftslehre. Ein vom Uni-Filmclub parallel zur Podiumsdiskussion vorgeführter Film mit dem Titel „Keiner liebt mich“ hatte weitaus mehr interessierte BesucherInnen – nomen est omen?

Derweil geht der Amoklauf der Bildungsdemonteure weiter – weitgehend unbeachtet zumindest von den Kieler Studierenden. Jüngstes Beispiel: Die Hochschulrektorenkonferenz diskutierte am 13.11. Studiengebühren in Höhe von 1.000 DM pro Semester. Beschlossen ist dies noch nicht. Vielmehr sei dies ein „Hilferuf“, so der Vorsitzende der Rektorenkonferenz in den „heute“-Nachrichten, der Hochschulen, die mindestens 6 Milliarden DM benötigen, um die Misere nachhaltig zu überwinden. Noch ist dies ein medienwirksamer Hilferuf. Die Kieler Studis, so scheint‘s derzeit, wird selbst das nicht hinter dem Schreibtisch hervorlocken. (jm)