Schlechte Nachrichten fürs Ozonloch

Beunruhigende Meldungen der Weltmeteorologie-Organisation WMO über die diesjährigen Ausmaße des saisonalen Ozonschwundes über der Antarktis zum Auftakt und zum Abschluß: So ging am Donnerstagabend letzter Woche mit einiger Verspätung die siebente internationale Ozonkonferenz zu Ende. Bis zum Schluß war heftig um die Erweiterung des Montrealer Abkommens zum Schutz der Ozonschicht gerungen worden. Was herauskam bewerteten die einen als „brüchigen Kompromiß“ (Frankfurter Rundschau), für die anderen war es eine „Katastrophe“ (Greenpeace-Fachmann Wolfgang Lohbeck).

Seit den frühen 70er Jahren ist bekannt, daß bestimmte chlor- und bromhaltige Produkte der chemischen Industrie die schützende Ozonschicht angreifen. Die Langlebigkeit dieser chemischen Erzeugnisse – die prominentesten unter ihnen sind die vollhalogenisierten Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) – macht sie so gefährlich. Denn die ermöglicht es ihnen, in höhere Schichten der Atmosphäre zu gelangen, wo das Ozon dafür sorgt, daß der härtere Teil des ultravioletten Spektrums (UV B) aus der Sonnenstrahlung gefiltert wird. Wird dieser Filter geschwächt, so sind Ernteeinbußen, z.B. beim Reis, Zerstörung von Nahrungsmittelketten in den Ozeanen und Hautkrebs und Augenkrankheiten bei Menschen und Nutztieren die Folge.

Eingedenk dieser Gefährdung und eines nicht unerheblichen öffentlichen Drucks kam es vor 10 Jahren zu ersten internationalen Vereinbarungen zum Schutz der Ozonschicht. Die Produktion der Ozonkiller ging zwar weiter, und nicht zu letzt die deutschen Konzerne Hoechst und Kali AG taten sich dabei besonders hervor, aber nach der Unterzeichnung des Montrealer Abkommens 1987 ging ab 1990 die FCKW-Produktion in Deutschland zurück, und in der hiesigen Öffentlichkeit entstand der Eindruck, das Problem sei gelöst. Ankündigungsminister Töpfer gelang es gar, einmal mehr den einstigen Groß-Sünder Deutschland als Öko-Musterknaben darzustellen.

Daß dieses Bild trügt, enthüllt ein Blick auf die Ergebnisse der Wiener Konferenz. Auch nach Wien können weltweit weiter jährlich 350.000 Tonnen des „harten“ Ozonkillers FCKW hergestellt werden. Das ist immerhin ein Drittel dessen, was zu Hoechstzeiten Ende der 80er Jahr für Jahr auf den Ozonschild losgelassen wurde. Die Industrieländer, die ja angeblich 1996 die FCKW-Produktion ganz einstellen, haben immer noch eine Quote von 152.000 Tonnen pro Jahr für den Export in den Süden zugestanden bekommen. Dort, in den Entwicklungsländern, wird die Herstellung noch bis 2010 weiterlaufen. Die reichen Länder des Nordens haben sich nicht mit ihrer Forderung durchsetzen können, diese Frist zu verkürzen.

Bei anderen Ozonschädlingen sehen die Konferenzergebnisse ähnlich mies aus. Die von US-Multis – im geringeren Umfang aber auch in Deutschland – als Ersatz eingeführten teilhalogenisierten FCKW, die H-FCKW, werden der Ozonschicht noch länger zusetzen können. (Eingeführt wurden sie als Ersatzstoffe der 1. Generation, weil ihr Zerstörungspotential deutlich unter dem des herkömmlichen FCKW liegt.) Hier erhalten die armen Länder des Südens eine Ausstiegsfrist bis 2040. Die Frist für Industriestaaten wurde vom Jahre 2030 auf 2020 herabgesetzt, was allerdings laut Greenpeace-Mann Lohbeck pure Kosmetik ist. Vorher hieß es 2030 mit einer vorgeschalteten zehnjährigen Ausklingphase, jetzt heißt es 2020 mit einer nachgeschalteten zehnjährigen Ausklingphase. Auch von den vereinbarten Deadlines zum Einfrieren der Produktionsmengen hält der Greenpeace Ozon-Campaigner wenig. Auf dem Niveau von 2015 soll in den Entwicklungsländer ab 2016 die H-FCKW-Produktion stabilisiert werden. Das sei eine Einladung, so Wolfgang Lohbeck, die Mengen hochzufahren, um dann auf dem Level weitermachen zu können.

Auch bei dem vor allem in wärmeren Ländern in der Landwirtschaft verwendeten Pilzgift Methylbromid könnte dieser Effekt eintreten. Hier verpflichteten sich die in der Gruppe der 77 (G 77) zusammengeschlossenen Entwicklungsländer, ab 2002 die Durchschnittsmengen der Jahre 95-98 nicht mehr zu übersteigen. Auf der nächsten Konferenz 1997 soll dann ein Ausstiegsdatum festgelegt werden. Österreichs Umweltminister Martin Bartenstein, der als Gastgeber die Konferenz leitete, sah hierin dennoch einen Erfolg, da es bisher für diesen Stoff, dessen Zerstörungspotential immerhin fünfmal so groß wie das des H-FCKW sei, keine Beschränkungen gegeben habe.

Ansonsten schien aber auch er mit den Konferenzergebnissen äußerst unzufrieden: „Ich halte das Ergebnis für sehr fraglich“, gab der österreichische Politiker den Agenturen ins Mikrofon. Für einen Diplomaten ein ungewöhnlich klares Statement und scharf kontrastierend zum Verhalten seiner deutschen Kollegin Merkel nach der Berliner Klimakonferenz vom Frühjahr. Die war zwar ein ähnliches Fiasko wie Wien gewesen, was die Bundesministerin aber nicht davon abgehalten hatte, von einem großen Erfolg zu reden, der natürlich aufs eigene Konto verbucht wurde.

Vor allem zwei Faktoren haben zum Wiener Stillstand geführt. Zum einen hat die US-Delegation ganz im Interesse der Chemieriesen Dupont & Co. gebremst, wo es nur ging. In den USA ist die Chemieindustrie erst unlängst von FCKW auf H-FCKW umgestiegen und zeigt nun wenig Neigung, die für die Umrüstung aufgebrachten Investitionen abzuschreiben. Außerdem macht sich auf der anderen Seite des Atlantiks im Gefolge des konservativen Siegeszuges eine antiökologische Stimmung breit. Die republikanische Mehrheit im Kongreß stellt z.B. den amerikanischen Beitrag zum Ausgleichsfond in Frage, der die G 77-Länder bei der Einführung von FCKW-Ersatztechnolgien unterstützen soll.

Zum anderen haben sich diesmal die Entwicklungsländer gegen weitere Ozonschutzmaßnahmen gesperrt. Oder genauer: Sie wehren sich gegen die Folgen, die der Verzicht auf diese Technologie für ihre ökonomische Entwicklung haben würde. In vorherigen Verhandlungen hatten die G 77-Länder zugestimmt, den FCKW-Ausstieg schon bald nach den Industrieländern zu vollziehen. Voraussetzung hierfür war allerdings Hilfe des Nordens bei der Einführung von Alternativen. Davon kann allerdings bisher kaum die Rede sein. Der indische Wissenschaftler und Umweltschützer Ravi Sharma vom Center of Science and Environment in Delhi hat im Oktober darauf aufmerksam gemacht, daß es, selbst wenn das nötige Geld vorhanden ist, für die Länder des Südens auf dem Markt faktisch niemanden gibt, der ihnen die entsprechende Ausrüstung verkauft. Interessanterweise seien die von den Chemiekonzernen im Norden gehaltenen Patente der FCKW, die nun verboten werden sollen, vor einigen Jahren ausgelaufen. Für die Entwicklungsländer bedeute der Montrealprozeß in technologischer Hinsicht ein Zurückstellen der Uhr. Neue Abhängigkeiten würden entstehen, nur diesmal zu höheren Kosten für die Ökonomie der Länder des Südens.

Daß sich hinter der Haltung der Entwicklungsländer gelegentlich auch Interessen des reichen Nordens verbergen, zeigt das Beispiel Kenia. Kenia zählte in Wien neben einigen südeuropäischen Ländern zu den schärfsten Gegnern von Beschränkungen von Methylbromid. Dazu muß man wissen, daß das Pilzgift in Kenia u.a. auch bei im Anbau von Schnittblumen verwendet wird. Diese werden – von der Weltbank als Cash crop gefördert – auf besten Ackerböden für den europäischen Markt angebaut. Transportiert werden sie (natürlich) per Luftfracht.

Im Vorfeld der Wiener Konferenz fütterte das Bonner Umweltministerium die Öffentlichkeit mit Erfolgsmeldungen, die Deutschlands internationale Vorreiterrolle demonstrieren sollten. Zum Glück für die Ministerin scheinen deutsche Medien und Medienkonsumenten der Umweltthemen langsam überdrüssig, so daß keiner genauer nachfragte. So fiel denn auch nicht weiter auf, daß sich die deutsche Delegation in Wien kaum zu Wort meldete und die Frau Ministerin die Konferenz nur für ganze zwei Stunden beehrte. Vielleicht mag das daran gelegen haben, daß Wien im Winter nicht besonders attraktiv ist und es auch, anders als im November auf der Artenschutzkonferenz in Jakarta, keine Gelegenheit gab, Verkaufsgespräche für deutsche Kraftwerke zu führen.

Mit Sicherheit wird man in Bonn Gründe für die vornehme Zurückhaltung gehabt haben. Einer könnte darin bestehen, daß in Deutschland Fluorkohlenwasserstoffe (FKW) als FCKW-Ersatz groß im Kommen sind. Die sind zwar – weil chlorfrei – für die Ozonschicht unbedenklich, dafür um so effektivere Treibhausgase. Außerdem sind sie wie auch die H-FCKW im Verruf, die Luftchemie der bodennahen Atmosphäre durcheinander zu bringen. Bei ihrem Abbau werden nämlich freie OH-Gruppen verbraucht, ein wichtiges Molekül, das als Saubermann gilt, weil es für den Abbau allerlei Luftschadstoffe – u.a. auch des wichtigen Treibhausgases Methan – zuständig ist. 1995 wird der Verbrauch der FKW 4.000 Tonnen betragen, 1998 können es nach Angaben des Umweltbundesamtes schon 9.000 Tonnen sein. Mittelfristig könnte der Bedarf, so die Behörde, gar auf 50.000 Tonnen steigen. Sollte dies eintreffen, haben die FKW gute Chancen, in der BRD dem Kohlendioxid den Rang als Treibhausgas Nummer Eins streitig zu machen. Vorausgesetzt natürlich, Deutschland hält tatsächlich seine Reduktionsverpflichtungen bezüglich Kohlendioxid ein. Glaubt man jüngsten Berichten über eine bisher unveröffentlichte Studie des Bonner Wirtschaftsministerium, sieht es danach aber gar nicht aus. (wop)