Rote Flora Hamburg: „Wir machen weiter!“

Im ersten Augenblick saß der Schock tief, als in der Nacht vom 28. auf den 29. November Hamburgs alternatives Zentrum Rote Flora in Flammen stand. Manchem der nächtlichen Zuschauer, von denen viele die Flora einst mit erkämpft haben mochten, rannen die Tränen. Doch der Schreck währte nicht lange. Schon am nächsten Tag versammelten sich 300 Leute, um zu beraten, wie es weiter gehen sollte. Schnell war man sich einig, daß die Flora nicht aufgegeben werden darf. Nicht, nachdem es so schwer gewesen war, sie gegenüber dem Senat durchzusetzen, nachdem soviel Arbeit in ihre Instandsetzung gesteckt wurde. Wie sich bald zeigte, gab es noch einen weiteren Grund, der diesen Durchhaltewillen rechtfertigte: Dach und Obergeschoß hatte das Feuer zwar zerstört, die Substanz des Gebäudes war jedoch erhalten geblieben.

So brummte denn der alte Bau am Schulterblatt, am Rande des Schanzenviertels vor Aktivität, als ich mich drei Wochen nach dem Brand über den Stand der Dinge informieren will. Ein Notdach ist bereits gedeckt; nun sind die „FloristInnen“, wie sich Nutzer und Betreiber nennen, dabei, die Innenräume wieder herzustellen. Große Raumentlüfter laufen, um die Feuchtigkeit aus dem Mauerwerk zu ziehen, denn wie bei jedem Brand hat nicht nur das Feuer, sondern auch das Löschwasser erheblichen Schaden angerichtet.

Alles sieht sehr nach Baustelle aus. Ins Gebäude kommt man über eine provisorische Treppe, vorbei an einem tuckernden Generator. Der Haupteingang ist noch zu. In der Flora geschäftiges Treiben. Über einer Tür steht „Volxküche“. Hier hatte es bis zum Brand zwei bis dreimal die Woche eine billige warme Malzeit gegeben, samstags Frühstück. Hinter der Tür finde ich in einer mächtigen Staubwolke Thomas, der Zeit hat, meine Fragen zu beantworten. Doch wo in all dem Werkeln und Aufräumen einen ruhigen Ort finden? Thomas führt mich durch spärlich mit Kerzen beleuchtete Gänge, auf dem Boden noch Pfützen vom Löschwasser, in einen möblierten Kellerraum. Hier ist bis auf weiteres die Volxküche untergebracht, die ihren Betrieb längst wieder aufgenommen hat.

Thomas erzählt aus der Geschichte der Flora. Zwischenzeitlich fällt der Generator aus und wir setzen das Gespräch im Schein des Stövchens fort. Einst hat die Flora bessere Zeiten gesehen, war ein beliebtes Vorstadttheater in einem vornehmen Viertel. (Besser waren diese Zeiten allerdings nur, wenn man denn Johannes Heester und Hans Albers Jazz- und Punkkonzerten vorzieht). Alte Bürgerhäuser hatten mir schon auf dem Weg von der S-Bahn zur Flora durchs Schanzenviertel verraten, daß dies einst ein Stadtteil der Gutbetuchten war. Heute allerdings beherbergt er eine bunte Mischung aus Leuten mit schmalem Geldbeutel. Nach dem Krieg war es mit dem Theater bald vorbei. Der zweite Stock wurde abgetragen – deshalb sieht das Haus heute ein wenig wie ein Torso aus – und ein Kino zog ein. Später, als die große Zeit des Kinos vorbei war, folgte ein Kaufhaus. Das hielt sich bis 1987.

Im gleichen Jahr werden Pläne des Finanzmaklers Fritz Kurz bekannt. Er will anstelle der alten Flora eine Musicalhalle für 2.000 Besucher errichten. Andrew Webbers „Phantom der Oper“ soll zahlungskräftiges Publikum in das Arme-Leute-Viertel locken. Im April 1988 wird der hintere Teil der Flora, der Kristallpalast, abgerissen. Im Stadtteil regt sich Widerstand. Bewohner fürchten nicht nur den Verkehr, der angezogen würde, sondern auch einen Anstieg der Mieten. Auch die meisten Gewerbetreibenden protestieren. Manche sollen Parkplätzen weichen, anderen droht Verdrängung durch teure Boutiquen und Restaurants. Es kommt zu einer ersten Besetzung, die friedlich endet (seitens der Bestzer; die Polizei benimmt sich gewohnt brutal). Als der Hamburger Senat dem Bau des Kommerzpalastes zustimmt, eskaliert die Situation. Der Bauzaun wird Nacht für Nacht von Maulwürfen angeknabbert, militante Demonstrationen und Spaßguerilla-Aktionen lösen einander ab. Die Flora wird zur bestbewachten Baustelle Hamburgs. Schließlich gibt die Stadtregierung im September 1988 dem Druck der Schanzenbewohner nach: Kurz bekommt einen Bauplatz am Holstentor, außerhalb des Viertels zugewiesen.

Die Flora steht weiter leer und im Stadtteil fehlt es an Treffs und Veranstaltungsorten. Also beschließen einige zu handeln. Das ehemalige Theater wird wieder besetzt und mit viel Energie hergerichtet. Die ist auch nötig, denn zu diesem Zeitpunkt ist das Gebäude eine halbe Ruine. Selbst die Hinterwände fehlen. Ein Kulturzentrum für das Schanzenviertel entsteht. Konzerte werden veranstaltet, Straßenfeste organisiert, Seniorenabende mit Klassikmusik finden statt. Die Stadt duldet, schießt aber weiter Sperrfeuer. 1991 wird der von den Besetzern angelegte Park mit massiver Polizeigewalt gestürmt. 1.500 Beamte sind gegen ein paar hundert Besetzer im Einsatz, Anpflanzungen im Wert von 10.000 DM werden zerstört. Der Vorwand: In dem dichtbesiedelten Stadtteil sollen weitere Wohnungen gebaut werden. Ein Jahr später gibt es dann erstmals einen Nutzungsvertrag, die Rote Flora wird teillegalisiert.

Und das Feuer? Der Schaden ist natürlich enorm und geht in die Hunderttausende. Am schlimmsten hat es die beiden Archive im ersten Stock getroffen. Das Foto-Archiv-Kollektiv hat fast nur Negative retten können, und die auch nicht vollständig. Im bundesweit genutzten Archiv der sozialen Bewegungen wurde die Arbeit von Jahren vernichtet. Themen-Sammlungen von Zeitungsausschnitten und Flugblättern fielen Feuer und Löschwasser zum Opfer. Wo einst Studenten aus der ganzen Bundesrepublik und selbst aus Österreich und der Schweiz für ihre Arbeit in alten Broschüren und Flugblättern stöberten, herrscht jetzt ein Bild der Verwüstung. Ein Jahr, so schätzen die Archivleute, wird es dauern, bis sie mit den geretteten Resten wieder in die Flora einziehen können.

Doch Thomas und die anderen FloristInnen sind optimistisch. Auf jeden Fall wird weiter gemacht und das Zentrum wieder aufgebaut. Der Zusammenhalt in der Gruppe ist durch die Herausforderung gewachsen. Mut macht ihnen auch die Unterstützung aus dem Stadtteil. Menschen schauen herein, bieten Spenden oder Mithilfe an, Geschäftsleute bringen Lebensmittel vorbei. Das stärkt ihnen auch den Rücken in den Auseinandersetzungen mit dem Bezirksamt, das Unterstützung für den Wiederaufbau vom politischem Wohlverhalten abhängig macht. Darauf will sich jedoch in der Flora keiner einlassen, an der Selbstverwaltung wird auf jeden Fall festgehalten. (wop)

Rote Flora und Archive brauchen für den Wiederaufbau dringend Spenden. Die Konten sind:
Hamburger Bank
Schröder/Archiv
Kto. 12 26 75 03
BLZ. 201 900 03
und
Postgiroamt Hamburg
Flora e.V.
Kto. 29492-202
BLZ. 200 100 20