Brandanschlag in Lübeck

In der Nacht vom Mittwoch auf den Donnerstag vergangener Woche wurde Lübeck Schauplatz einer entsetzlichen Katastrophe. Zehn Menschen starben in den Flammen einer Sammelunterkunft für Flüchtlinge, 35 wurden schwer verletzt, einige schwebten bei Redaktionsschluß noch immer in Lebensgefahr. Obwohl die Feuerwehr bereits vier Minuten, nach dem sie gerufen wurde, zur Stelle war, konnte sie ein vollständiges Ausbrennen des Mehrfamilienhauses nicht verhindern. Die Flammen schlugen bereits aus dem Dach, als sie eintraf. Im niedersächsischen Burgwedel verlief in dergleichen Nacht ein Brand in einem Flüchtlingsheim glimpflicher. In dem Städtchen bei Hannover gelang es den Bewohnern der Unterkunft rechtzeitig ein Feuer zu löschen. Unbekannte Täter hatten in einem Vorraum des Hausflurs einen Brand gelegt.

Auch wenn die Brandursache in Lübeck zunächst unklar blieb, hielten die meisten einen Anschlag mit rassistischem Hintergrund für das Wahrscheinlichste. Unter anderem sprach das ungewöhnlich schnelle Ausbreiten des Feueres dafür. So kam es denn schon am Donnerstag zu Bekundungen von Soldarität und Anteilnahme aus der Bevölkerung. Am Abend versammelten sich rund tausend Menschen an der noch qualmenden Ruine. Freitag nachmittag demonstrierten 1500 Schüler und auch in anderen Städten kam es am Tag nach dem Brand zu spontanen Kundgebungen. In Kiel gab es, initiiert durch die Antifa-Telefonkette, am Donnerstag abend ein gutbesuchtes Plenum, daß für den folgenden Tag eine Kundgebung in der Innenstadt organisierte.

Trotz der Unklarheiten über Brandursache – erst am Samsatg stand fest, daß es sich tatsächlich um Brandstiftung handelte – und Täter reagierten die Lübecker Antifaschisten schnell. Das örtliche Bündnis gegen Rassimus verbreitete eine Erklärung, in dem die Konzentrierung der Flüchtlinge in Sammelunterkünften angeprangert wurde, die sich den Nazis als Angriffsziele geradezu aufdrängen. Wie aktuell die Forderung nach dezentraler Unterbringung in regulären Wohnungen ist, belegt das tragische Beispiel der zairischen Familie Makudila. Acht Monate hatte sie sich bemüht, aus dem überbelegten Haus in der Hafenstraße ausziehen zu können. Als endlich eine Wohnung gefunden war, wurde ihr der Umzug von den Behörden verwehrt. Jetzt kam die Mutter mit ihren vier Kindern in den Flammen um. Allein der Vater überlebte.

Diese besondere Tragik mag den Bürgermeister der Travestadt, Michael Bouteiller (SPD), mit dazu bewogen haben, eine Auflösung der Sammelunterkünfte zu versprechen. Auf einer Veranstaltung im Rathaus ging er sogar noch weiter: „Wir müssen eventuell dazu bereit sein, zivilen Ungehorsam zu leisten, um auf diese Weise Personen, die von diesen Paragraphen bedroht sind, wirksam zu schützen”, meinte er vor 300 Zuhörern mit Bezug auf die Asylgesetzgebung. Sollte das tatsächlich ernst gemeint sein, müßte er jetzt seine Verwaltung anweisen, keine Abschiebungen mehr zuzulassen.

Flüchtlinge und antirassistisches Bündnis sind da natürlich skeptisch, aber sie haben zumindest durch diese Worte des Stadtoberhaupts eine bessere Position, politischen Druck zu entwickeln. Auf einer Kundgebung und Demonstration am Samstag, zu der 5000 Menschen zum Teil auch aus Kiel und Hamburg gekommen waren, machten Rednerinnen und Redner noch einmal deutlich, daß Voraussetzung des Nazi-Terrors die offizielle Diskriminierung der Flüchtlinge und Einwanderer ist, ihre Isolierung und Rechtlosigkeit. Flüchtlinge werden oftmals in ständiger Angst vor Abschiebung gehalten. Eine Vertreterin der zairischen Flüchtlinge wies daraufhin, daß vor dem Schleswiger Oberlandesgericht bisher noch kein einziger ihrer Landsleute anerkannt worden ist. Die Sprecherin des Bündnis gegen Rassismus machte darauf aufmerksam, daß schon bald die Verantwortlichen in der Stadt auf die Probe gestellt würden, wenn die Kreiswahlausschüsse am 9. Februar über die Zulassung der DVU und der Deutschen Liga (DLVH) zur Landtagswahl zu entscheiden hätten. Dann wird man sehen, wie es um die Zivilcourage der Ratsfrauen und -herren bestellt ist.

Die Polizei bietet derweil ein Verwirrspiel um die oder den Täter. Zunächst sah es danach aus, als habe man schnell die Schuldigen gefunden. Noch am Donnerstag vormittag wurden drei Jugendliche aus Grevensmühlen verhaftet, die am Tatort gesehen worden waren. Das mecklenburgische Städtchen ist als Nazi-Nest bekannt. Am nächsten Tag stellte sich allerdings heraus, daß die drei ein Alibi hatten: Zur in Frage kommenden Zeit haben sie nachweislich Autos geknackt.

Als nächstes wurde einer der Heimbewohner, ein 21-jähriger Libanese, verhaftet und als potentieller Täter präsentiert. Einige Presseagenturen verbreiteten daraufhin eilfertig, ein ausländerfeindlicher Hintergrund könne ausgeschlossen werden. Die Beweise, auf die sich die Polizei stützt, sind allerdings mehr als fraglich, und der Beschuldigte beteuert seine Unschuld. Die Polizei behauptet, er habe in der Brandnacht nach seiner eigenen Rettung die Tat einem Sanitäter gestanden. „Wir waren es”, soll er gesagt haben. „Die waren es”, habe er gesagt, meint der Anwalt des Libanesen. Auch das Motiv scheint fraglich. Warum sollte er seine eigene Familie in so große Gefahr gebracht haben? Von dem Streit zwischen Arabern und Afrikanern, den die Polizei als Hintergrund am Sonntag behauptete, weiß keiner der überlebenden Heimbewohner.

So ist zu befürchten, daß durch das Hin-und-Her Spuren verwischt werden und die Polizei sich auf einen Täter festlegt. Wichtig sei es, weiter Ermittlungen in alle Richtungen zu fordern, meint ein Vertreter des Lübecker Bündnis gegen Rassismus auf einem Antifa-Treffen am Sonntag in Kiel.

Das erste Mal wäre es nicht, daß der politische Hintergrund durch die Ermittlungen verschleiert würde. Als im März 1994 in Stuttgart ein überwiegend von Immigranten bewohnte Haus abbrannte und sieben Menschen starben, hatte es zunächst „Unfall” geheißen. Erst jetzt kam ein Mann mit offensichtlich rechtsradikalem Hintergrund für die Tat vor den Richter. In Lübeck nutzte die CDU jedenfalls am Wochenende schon die Gunst der Stunde, um gegen Bouteiller zu polemisieren, der sich den Forderungen der Flüchtlinge nach dezentraler Unterbringung angeschlossen hatte.

Überhaupt kann man sagen, daß sich die Reaktionen des Lübecker Bürgermeisters positiv von denen aller anderen Verantwortlichen in Land und Bund abhoben. Schleswig-Holsteins Innenminister Wienholz fand Worte des Mitgefühls für die Lübecker, „die innerhalb kurzer Zeit nun schon zum dritten Mal von einem Unglück dieser Art heimgesucht wurden”. Auch seine Chefin Heide Simonis meint, daß die Bürger dieser „weltoffenen und gastfreundlichen Stadt” dies wirklich nicht verdient hätten. Lehren besonderer Art gedenkt Bundespräsident Herzog zu ziehen: Seine Geduld gehe nun langsam zu Ende, verkündete er in Kiel. Er lasse die Innere Sicherheit nicht länger bedrohen. Was damit gemeint sein könnte, hatte ein Einsatz der Bremer Staatsanwaltschaft einige Tage zuvor gezeigt: An der Weser wurden ein Jugendtreff und zwei Privatwohnungen durchsucht. Grund: In einem Flugblatt des Anti-Rassismus-Büros waren Kanther und sein Bremer Kollege als Schreibtischtäter bezeichnet worden. (wop)