Krise? – Die Reichen sollen zahlen!
Ein alter Spruch, ein wahrer Spruch. Wahrer denn je, möchte man
sagen – wenn’s denn zu steigern wäre. Seit zwei Monaten etwa hat sich
herumgesprochen, daß mal wieder ein „konjunktureller Abschwung” im
Gange ist. Die Bundesregierung scheut sich zwar noch, das schmutzige Wort
„Rezession” in den Mund zu nehmen, die Anzeichen, daß es ordentlich
kracht im Gebälk der Volkswirtschaft sind jedoch nicht zu übersehen.
Auf 1,9 % gegenüber 2,9 % im Vorjahr ist 1995 das Wachstum des Bruttoinlandprodukts
(BIP) zurückgegangen, und die Erwartungen für dieses Jahr sind
noch schlechter.
Die Marktwirtschaft braucht halt Wachstum, sonst gerät sie in
eine Krise. Daß fortgesetztes Wachstum in die Katastrophe führen
muß, weiß zwar jeder, der in der Schule in Mathematik aufgepaßt
hat, steht jedoch auf einem anderen Blatt.
Vergleicht man BIP-Wachstum mit Produktivitätszuwachs, so wird
klar, weshalb auch im Aufschwung Jahr 94 die Arbeitslosigkeit nicht zurückging:
Mit 3,6 und 2,2 % nahm die Produktivität in den beiden vergangenen
Jahre jeweils stärker zu als das BIP. So setzen denn die nun beginnenden
krisenbedingten Entlassungen auf eine hohe Sockelarbeitslosigkeit auf.
Noch in diesem Monat wird das Überschreiten der Vier-Millionen-Grenze
erwartet.
Wer von all dem profitiert, ist eigentlich auch nichts Neues, die konkreten
Zahlen sind dennoch immer wieder beeindruckend: Im vergangenen Jahr stiegen
die Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen um
8,9, im Jahr davor um 11,1 %. Die Bruttolohn- und Gehaltsumme wuchs 1995
dagegen nur um 3,1 %, und nach Abzug der Abgaben blieb gar nur ein Plus
von 0,4% (1994: -0,7 %).
Diese trockenen Zahlen sollte sich jeder Bundesbürger neben den Bildschirm kleben, um einen Blick drauf werfen zu können, wenn Waigel mal wieder mit Vorschlägen über die Mattscheibe flimmert, Zwecks „Sicherung des Standorts Deutschland” Gewerbesteuern zu senken oder gar abzuschaffen, oder wenn Unternehmervertreter über zu hohe Lohnkosten klagen.
Und noch eine Zahl gehört auf diesen Zettel, zur Erinnerung bei
Waigels nächsten nationalistischen Ausfällen gegen die Haushaltspolitik
anderer EU-Länder: 1994 nahm die Neuverschuldung der öffentlichen
Haushalte um 123,6 Milliarden DM zu und überschritt damit das Maastricht-Limit.
Noch gar nicht mitgerechnet sind dabei 229 Milliarden DM an „Sondereffekten”,
bestehend hauptsächlich aus der Übernahme der Treuhand, Schulden
also, die aus dem industriellen Kahlschlag im Osten und den damit verbundenen
Milliarden Geschenken an westliche Konzerne und Banken herrühren.
(wop)