Trauer, Wut – Solidarität, Hoffnung

Demonstration zum Brand des Flüchtlingsheims in Lübeck

Anläßlich des Brandes im Flüchtlingsheim in der Lübecker Hafenstraße in der Nacht auf den 18.1.96, bei dem mindestens 10 Menschenleben ausgelöscht wurden, darunter etliche Kinder und ganze Familien, rief das Lübecker Bündnis gegen Rassismus und Abschiebung für Samstag den 20.1.96 zur Demonstration gegen die herrschenden menschenunwürdigen Verhältnisse für Flüchtlinge in der BRD auf.

Diesem Aufruf folgten etwa 4.000 Menschen: aus dem Bundesgebiet angereiste Flüchtlinge (z.T. Freunde und Angehörige der Opfer/Hinterbliebenden), Antirassistische/Antifaschistische Gruppen und Initiativen, linke Türkisch/Kurdische Zusammenhänge, Gewerkschaftsgruppen, etliche Menschen aus dem autonomen Spektrum und schließlich Lübecker BürgerInnen. Letztere waren jedoch im Verhältnis zu den anderen TeilnehmerInnen geringer vertreten, was seinen Grund wohl darin gehabt hat, daß zu diesem Zeitpunkt die zunächst der Brandstiftung bzw. des Mordes tatverdächtigen jungen Männer aus Grevesmühlen in Mecklenburg-Vorpommern freigelassen worden waren (es ergab sich kein hinreichender Tatverdacht) und somit „Unklarheit“ wieder über die Brandursache herrschte. Der Ablauf der Demonstration gestaltete sich uneinheitlich, was sicherlich seinen Grund in der Stimmungslage hatte, die von Trauer, Empörung, Ratlosigkeit bis hin zur Wut über das Geschehene reichte.

Der Anfang auf dem Lübecker Markt war jedenfalls chaotisch. Die (Trauer-) Gesänge von Flüchtlingen aus dem afrikanischen Raum wurden zum Teil übertönt durch die lautstarken Parolen anderer Gruppen, von denen man dadurch den Eindruck gewinnen mußte, daß sie diese Demonstration zu der ihrigen machen wollten (kritisch zu hinterfragen wäre hierbei das Verhalten der linken Türkisch/Kurdischen Gruppierungen). Dazwischen „wuselten“ die MedienvertreterInnen in der Menge herum, die ihre Kameras und Mikrofone auf alles und jede(n) richteten wovon sie annahmen, daß es wichtig wäre bzw., daß sie/er etwas Wichtiges zu sagen hätte. Eine zentrale inhaltliche Organisation und Leitung der Demonstration war zu diesem Zeitpunkt nicht erkennbar, wohl auch deshalb nicht, weil der Lautsprecherwagen nicht rechtzeitig eingetroffen war. Nachdem dieses dann geschehen war und der Auftaktredebeitrag lief, mußte dieser vorzeitig abgebrochen werden, da plötzlich ein Teil der Menschenmenge sich formierte und losging und den Rest damit automatisch hinter sich herzog.

Der Demonstrationszug durch die Innenstadt von Lübeck gestaltete sich dann doch noch kraftvoll. Durch Parolen, die vor allem das Bleiberecht von Flüchtlingen einforderten, konnte sicher ein Teil der zuschauenden bürgerlichen Öffentlichkeit mit dem inhaltlichen Anliegen der Demo konfrontiert werden. Unterstützt wurde dieses durch etliche Transparente, welche die Inhalte gleichsam sichtbar machten. Begrüßenswerterweise ergriffen einige Menschen die Initiative zu selbständiger Öffentlichkeitsarbeit mittels Sprühdose. So gewann mancher sicherlich stark verkürzter Inhalt der Demo bleibenden Charakter. Der Demozug führte dann aus der City hinaus zum abgebrannten Flüchtlingsheim.

Dort angekommen wurde die Demo durch die inzwischen existente Demoleitung bzw. VertreterInnen der betroffenen Flüchtlinge (Überlebende, Angehörige, Freunde (?)) aufgefordert, an diesem Ort des Schreckens und Leides schweigend zu verharren. Einige konnten oder wollten diesem Wunsche wiederum nicht nachkommen und skandierten Parolen. Schließlich bewegte sich die Demonstration wieder zurück zum Lübecker Markt.

An dieser Stelle ein Wort zum Verhalten der Obrigkeit an diesem Tag. Angenehmerweise trat sie bei der Demonstration kaum in Erscheinung. Nur alle hundert Meter lief jeweils ein (normal) uniformiertes grünes Männchen die Demo mit. Nur an einem Nobelhotel mit großen weiß-grauen Flächen, geradezu ideal für Öffentlichkeitsarbeit mittels Sprühdose, standen sich ein paar Cops mehr die Beine in den Bauch. Völlig deplaziert wirkte hingegen die Eutiner Bereitschaftspolizei (mindestens Zugstärke) am ausgebrannten Flüchtlingsheim. Es ist bezeichnend für die BRD, daß Polizeikräfte vor ausgebrannten Flüchtlingsunterkünften und gegenüber Menschen stehen, die sich mit den dort bislang eingepferchten Flüchtlingen solidarisieren und mit ihnen gegen diese menschenverachtenden Verhältnisse in diesem Lande kämpfen.

Als der Demozug den Lübecker Markt wieder erreicht hatte, folgten abschließend noch einige Redebeiträge. VertreterInnen der betroffenen Füchtlinge drückten nicht nur ihre tiefe Trauer, sondern, angesichts der Soldarität, die sich auch über diese Demo offenbart habe, auch ihre Hoffnung aus, daß es möglich sei, für menschenwürdige Lebensbedingungen zu kämpfen. Sie forderten die von den politisch Verantwortlichen Lübecks gemachten Versprechungen über dezentrale Unterbringung in angemessenen Wohnungen ein. Außerdem wurde betont, daß die BRD Fluchtursachen produziere, indem sie die Regime in ihrer Heimat politisch unterstütze, bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Ausbeutung (in diesem Fall im afrikanischen Bereich des Trikonts).

Das Bündnis gegen Rassismus und Abschiebung kritisierte die regierungsamtliche Ausgrenzung und Diskriminierung von Flüchtlingen, die erst rassistische Gewalt gedeihen lasse. Die Aufhebung der Abschaffung des Asylrechtes wurde eingefordert ebenso wie die Abschaffung der Konzentration von Flüchtlingen in sogenannten Sammelunterkünften, deren Sicherheit in der Regel zu wünschen übrig lasse. Die Unterbringung in dezentralen regulären Wohnungen gäbe den Ansatz einer Möglichkeit zum Aufbrechen der Isolation von der übrigen Bevölkerung. Den politisch Verantwortlichen der Stadt und des Landes wurde außerdem die kritische Frage bzgl.ihres Verhaltens im bevorstehenden Landtagswahlkampf gegenüber faschistischen Parteien (DVU, Reps, etc.) gestellt: Würden sie antifaschistische Aktivitäten unterstützen oder diese wieder kriminalisieren? Das Bündnis jedenfalls bekundete seine Entschlossenheit, keinen faschistischen Wahlkampf, welcher Form auch immer (Postwurfsendungen, Infostände, Wahlplakate, Kundgebungen/Versammlungen), in Lübeck zuzulassen. (tg)