Lübeck: Fragwürdige Ermittlungen

Die Ermittlungen um den Brandanschlag in der Lübecker Hafenstraße, dem in der Nacht vom 17. auf den 18.1. zehn Menschen zum Opfer fielen, sind immer noch nicht abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft verdächtigt weiter den 21-jährigen Safoan E. aus dem Libanon. In andere Richtungen wird nicht ermittelt. Dafür würden konkrete Ansatzpunkte fehlen, so der Sprecher der Verfolgungsbehörde. Nach wie vor wird behauptet, das Feuer könne nur von einem Heimbewohner gelegt worden sein, die Tür sei verschlossen gewesen, wie das in den Trümmern gefundene Schloß beweise.

Das sehen die ehemaligen Bewohner des abgebrannten Flüchtlingheims allerdings ganz anders. Mehrere von ihnen haben in der Brandnacht gehört, wie eine Scheibe eingeschlagen wurde. Kurz danach habe das Haus in Flammen gestanden. In einer Erklärung vom 29.2. klagen sie die einseitigen Ermittlungen an:

„Nach Wochen der Trauer wenden wir uns an die Öffentlichkeit. Nicht genug, daß wir zehn Menschen aus unserer Mitte verloren haben. Wir werden weiter gequält. Die Presse ist über uns hergefallen. Wir selber sollen den Brand gelegt haben. Unser Freund, Bruder und Sohn Safoan soll der Täter sein. Aber die wirklichen Täter laufen frei herum und werden nicht weiter verfolgt. (...)

Mit schlimmen Knochenbrüchen, Brandverletzungen und Rauchvergiftungen sind wir in die Krankenhäuser gebracht worden. Viele von uns waren und sind schwer verletzt. Das hat die Polizei nicht interessiert. Noch in der Tatnacht haben sie uns langen und quälenden Verhören ausgesetzt. Wir wurden verdächtigt, selbst Schuld zu sein. Wir sind behandelt worden wie die Täter, wie Verbrecher. Sie haben keine Rücksicht genommen auf unsere Trauer um die Menschen, die wir verloren haben.

(...) Bis heute versucht die Polizei, Zeugen zu finden, die uns belasten. Immer wieder werden wir aufgefordert, zu sagen, daß er (Safoan) es war. Kinder werden bis zu fünf Stunden ohne ihre Eltern und ohne einen Anwalt verhört.“

Die Staatsanwaltschaft hat offensichtlich nichts weiter gegen Safoan in der Hand, als die Aussage jenes Feuerwehrmannes, der gehört haben will, daß der Libanese sagte: „Wir waren es.“ Safoan, der mit seinen jüngeren Geschwistern und den Eltern in dem Haus wohnte, hat schon bald nach seiner Festnahme erklärt, er habe gesagt: „Sie waren es.“

Nun ist durch eine gezielte Indiskretion bekannt geworden, daß im Untersuchungsgefängnis Gespräche mit Besuchern abgehört wurden. Der Spiegel machte daraus eine große Story und treibt die mediale Vorverurteilung auf neue Höhen. Die Staatsanwaltschaft selbst hält sich weiter bedeckt. Man läßt lediglich verlauten, es hätten sich durch die Aufnahmen neue Verdachtsmomente ergeben. Welche, wird nicht verraten. Um Spekulationen weitere Auftrieb zu geben?

Jedenfalls wird dementiert, daß demnächst Anklage erhoben werden soll. Ein weiteres Indiz dafür, daß gegen Safoan nichts Substantielles vorliegt.

Der rüden Behandlung der Opfer steht ein auffallend milder Umgang mit deutschen Tatverdächtigen gegenüber. Unterstützergruppen wiesen noch einmal daraufhin, daß eine Minute, nachdem der Brand gemeldet wurde – um 3 Uhr 43 – die Personalien der zunächst verdächtigten Grevesmühlener Jugendlichen festgestellt wurden. Sie waren in der Hafenstraße, ganz in der Nähe des Hauses, einer BGS-Streife aufgefallen. Um 3 Uhr 20 will eine andere Polizeistreife sie beim Verlassen einer Tankstelle beobachtet haben. Diese ist, so lautet das von den Freunden und Helfern gelieferte Alibi, 15 Kilometer vom Tatort entfernt, zu weit, als daß die drei den Brand gelegt haben könnten. Tatsächlich sind es von der Tankstelle zur Hafenstraße aber nur 5 Kilometer, meinen Vertreter der Antifaschistischen Aktion Hamburg.

Flüchtlinge und Unterstützer fragen sich daher, ob etwas verdunkelt werden soll, ob es vielleicht ein politisches Interesse gibt, Opfer zu Tätern zu machen, um von rassistischen deutschen Tätern abzulenken.

Offenbar ist auch die Unterstützung der Überlebenden nicht so großzügig und unbürokratisch gelaufen, wie in der Presse dargestellt. Aus den versprochenen 1.000 DM pro Person für den Einkauf des Nötigsten wurden schließlich nur 800 DM, und auch bei der Unterbringung gibt es Kritik: „Uns sind Wohnungen zugesagt worden. Es wird behauptet, alle hätten eine Woche nach dem Brandanschlag eine Wohnung erhalten. Auch das ist nicht wahr. Einige von uns leben noch heute in der Kaserne.“

Das Vertrauen in die Ermittlungen haben die Betroffenen jedenfalls verloren. Sie fordern die Freilassung Safoans. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, wird es am 14.3. um 14 Uhr vor dem Lübecker Untersuchungsgefängnis eine Kundgebung geben, zwei Wochen später, am 23.3., soll um 13 Uhr in der Hansestadt eine Demonstration stattfinden. Beide Veranstaltung werden von Sokoni e.V., einem Dachverband afrikanischer Gruppen aus Hamburg, organisiert, weitere Hamburger und Lübecker Gruppen unterstützen die Aktionen.

Wie dringend nötig die antirassistische Gegenwehr ist, zeigt die Tatsache, daß auch in Lübeck der Terror seitens der Nazis weitergeht. In der Nacht vom 28. auf den 29.2. brannte in der Julius-Leber-Straße ein Haus völlig aus. 26 Menschen, darunter eine türkische und eine griechische Familie, konnten sich retten. In der gleichen Nacht wurden in einer anliegenden Passage Hakenkreuze geschmiert. (wop)
 

Die Forderungen der Flüchtlinge:

Wir wollen

- einen unbefristeten und gesicherten Aufenthalt.
- eine menschenwürdige Unterbringung und Versorgung.
- das Ende der quälenden und erniedrigenden Verhöre.
- die Einstellung der staatlichen Ermittlungen gegen uns.

Wir wollen,

- daß Safoan sofort freigelassen wird und die Ermittlungen auch gegen ihn eingestellt werden.
- daß die richtigen Täter gesucht und gefunden werden, daß unsere Beobachtungen ernstgenommen werden.
- daß unser Bericht öffentlich bekannt wird und unsere schlimmen Erfahrungen international untersucht werden.

Die Überlebenden des schrecklichen Brandanschlags vom 18.1.1996
 
 

Skandalöse Ermittlungen auch in Hattingen

Ein ähnlicher Fall tendenziöser Ermittlungen wird auch aus Essen berichtet. Dort steht derzeit eine türkische Frau vor Gericht, weil sie das Haus angesteckt haben soll, in dem ihre fünf Kinder schliefen (alle fünf hatten sich retten können). Ihre Verteidiger erheben schwere Vorwürfe gegen die Kriminalpolizei, die ihre Mandantin schon wenige Stunden nach dem Brand durch einseitige und verbotene Verhörmethoden zur Täterin gestempelt habe.

Spuren in die Nazi-Szene seien nicht verfolgt worden. Mehrere Zeugen hatten z.B. in der Nähe des Tatorts einen Mann mit einer markanten Rune am Hinterkopf gesehen. Die Kripo beschränkte sich bei der Suche nach diesem allerdings darauf, einen den „Republikanern“ nahestehenden Wirt zu befragen. Als dieser und ein weiterer Nazi beteuerten, eine entsprechende Person nicht zu kennen und auch nicht gesehen zu haben, begnügte man sich damit. Auch für die Tatsache, daß ein in jener Nacht mit Freunden feiernder Rechter sich schon an anderen Morgen den Kopf rasieren ließ, haben die Ermittler sich nicht interessiert. Wie jetzt die Befragung des seinerzeitigen Ermittlungsleiters durch die Verteidiger vor Gericht ergab, versäumte die Polizei herauszubekommen, ob der Mann vorher SS-Runen am Hinterkopf hatte. (wop, nach FR vom 2.3.)