Neue Mißhandlungsvorwürfe gegen deutsche Behörden

Auch in den vergangenen zehn Monaten hat amnesty international aus Deutschland zahlreiche Meldungen über Mißhandlungen durch Polizei oder Justizvollzugsbeamte erhalten. Die Opfer waren fast alle Ausländer. Die in einem neuen Bericht veröffentlichten Vorfälle ereigneten sich in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Sachsen, Bremen und Hessen. In allen neuen Fällen von mutmaßlichen „grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen“ hat sich die Menschenrechtsorganisation an die zuständigen Behörden gewandt und eine Aufklärung der Vorwürfe gefordert. Gleichzeitig äußert sich ai kritisch über die Reaktionen der Behörden auf den im vergangenen Mai veröffentlichten ai-Bericht über Mißhandlungen durch deutsche Polizeibeamte.

Der Hamburger Innensenator Wrocklage will im Auftrag der Innenministerkonferenz in Hiltrup eine interne Studie über „Polizei und Fremde“ vorstellen, derzufolge Polizeiübergriffe auf Ausländer keine „bloßen Einzelfälle“ sind. Damit wird eine Einschätzung in dem damaligen ai-Bericht indirekt bestätigt. Politiker und die Deutsche Polizeigewerkschaft hatten den ai-Bericht im vergangenen Jahr noch als übertrieben, „maßlos“ und „absurd“ kritisiert.

In dem Folgebericht wird der Fall von Binyamin Safak geschildert. Der Türke war im April des vergangenen Jahres nach einer verbalen Auseinandersetzung auf eine Frankfurter Polizeiwache gebracht worden. Dort wurde der gefesselte Mann eine Stunde lang mit Fußtritten und Faustschlägen malträtiert. Einmal wurde sein Kopf von einem Beamten gegen die Wand geschlagen. Die Eitern Safaks fanden ihren blutüberströmten Sohn später auf der Straße vor der Wache und brachten ihn zu einem Arzt. Die Frankfurter Universitätsklinik diagnostizierte später unter anderem eine Platzwunde an der Lippe, die genäht werden mußte, Hämatome und Schwellungen am Kinn, eine angebrochene Rippe und eine Fraktur des Jochbeins. Die schweren Verletzungen wurden dem Opfers offenbar vorsätzlich und wiederholt zugefügt. amnesty international hält es daher für gerechtfertigt, in diesem Fall von mutmaßlichen Mißhandlungen zu sprechen, „die der Folter gleichkommen“.

Der 15-seitige Bericht, der den Landesregierungen bereits zugegangen ist, geht auch auf den Stand der Mißhandlungsfälle aus dem vergangenen ai-Bericht ein. Im Fall des Muhamed A., der im Oktober 1994 bei seiner Festnahme und in einer Kölner Polizeiwache von Beamten wiederholt mißhandelt worden sein soll, teilte die Kölner Staatsanwaltschaft im Oktober 1995 mit, daß die Untersuchungen keine Anhaltspunkte für eine Anklage gegen die festnehmenden Polizisten ergeben hätten. Nach Durchsicht der 11-seitigen Begründung der Staatsanwaltschaft hat ai in einem Schreiben an den NRW-Justizminister die Sorge geäußert, daß die Untersuchung nicht mit der durch die entsprechende UN-Konvention gebotenen Schnelligkeit und Unparteilichkeit durchgeführt worden ist. So seien wichtige medizinische Beweise und Zeugenaussagen nicht berücksichtigt worden. Außerdem seien weder das Opfer, noch die beschuldigten Beamten oder Zeugen vom Staatsanwalt persönlich befragt worden. amnesty international hat deshalb die Strafverfolgungsbehörden aufgefordert, in diesem Fall die Ermittlungen erneut aufzunehmen. (Presseerklärung von ai vom 5.2.1996)