Was auch immer geschieht
Nie dürft ihr so tief sinken
Von dem Kakao, durch den man euch zieht
Auch noch zu trinken.
(Erich Kästner)

 

DGB(ündnis), Wahl und Widerstand

Klaus Zwickels „Bündnis für Arbeit“ ist nach den „Kanzlerrunden“ zu einem „Bündnis für Arbeit und Standortsicherung“ geworden. DGB-Chef Schulte hat mittlerweile bestätigt, daß Lohnverzicht entgegen früherer Gewerkschaftsbekundungen (und entgegen aller Erfahrung, aber wer redet schon davon?) doch Arbeitsplätze sichern und schaffen könne. Forderungen nach Vorleistungen der Unternehmer werden durch solche zu Selbstverpflichtungen ersetzt. Arbeitsminister Blüm ist gleichzeitig verwundert und begeistert darüber, wie weit er sich politisch vorwagen kann, ohne daß ihn die Gewerkschaften als Bündnispartner fallen lassen und Aktionen effektiven Widerstandes gegen die Gesetzesvorhaben der Bundesregierung organisieren, mit denen die von Zwickel auf dem Kongreß der IG Metall immerhin noch formulierte Geschäftsgrundlage für seinen „Bündnis“-Coup längst zur Makulatur geworden ist. Der DGB feiert eine nicht hundertprozentige Verwirklichung der Unternehmer- und Regierungsüberlegungen zur Frührente als Erfolg, obwohl im Ergebnis die Lebensarbeitszeit wieder verlängert und somit Arbeitslosigkeit produziert wird. Aber die Ablehnung beschäftigungswirksamer weiterer Verkürzung der Wochenarbeitszeit in großen Schritten gehörte ja zu den ersten Zugeständnissen, mit denen die IG-Metall-Führung noch während des Gewerkschaftstages den Unternehmern die Aufnahme von Bündnisgesprächen erleichterte. Dafür kündigte man gern das Bündnis mit anderen Gewerkschaften wie der IG Medien, die gerade die Forderung nach der 3O-Stunden-Woche und anderen Formen der Arbeitszeitverkürzung bekräftigt hatte.

Bündnis für Heide?

Eine wichtige Bündnispartnerin hat Klaus Zwickel auch in Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis gefunden. Wer eignete sich auch besser dafür als die „Sparkommissarin“, die als Verhandlungsführerin der öffentlichen „Arbeitgeber“ gegen die ÖTV als Lohndrückerin bekannt ist, die Lehrern und anderen Arbeitszeitverlängerung verordnet und schon mal die Abschaffung von drei Feiertagen zwecks Bereicherung der Unternehmer bei Einführung der Pflegeversicherung propagiert hat, was ihren Blick für zukünftige Entwicklungen eindrucksvoll unter Beweis stellt? - Gute Gründe, für Heide auf Wahlkampf-Tour zu gehen. Dafür bringt Klaus durchaus persönliche Opfer, wie eine Meldung in „Arbeit aktuell“ vom 9.2.96 deutlich macht: „Gut 300 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben die landesweite Aktion ’Plakat vor Ort’ gestartet. Mit ihren Spenden werden Plakate für Ministerpräsidentin Heide Simonis finanziert, die in über 300 vorwiegend kleineren Orten geklebt werden. Das letzte Plakat bezahlte übrigens IG-Metall-Chef Klaus Zwickel.“ Wer möchte da nicht mittun. Der fatale Hang, die SPD-Landesregierung als enge Verbündete oder gar als berufene Vertreterin von ArbeiterInneninteressen zu behandeln, ist in Kiel allerdings bereits tief verwurzelt. Schließlich lud der DGB-Kreisvorstand zum letzten 1.Mai - die ÖTV war gerade mit der Diskussion von Arbeitskampfmaßnahmen beschäftigt - Heide Simonis als Hauptrednerin ein...

Regt sich Widerstand?

Es ist zum Verzweifeln. Aber da gerade das erwünscht ist, sollten wir es wenigstens aus Trotz nicht tun. Nichts ist aktuell so wichtig wie die Organisierung der Unzufriedenen, derer es in den Gewerkschaften viele gibt, bei der Artikulation von Widerspruch gegen die Politik Zwickels und Schultes. Um darüber auch endlich zur Organisierung von Widerstand gegen Unternehmer und Regierung(en) zu kommen.

Wenn wir nicht widerstehen, machen wir uns mitschuldig an der Verfestigung von Massenarbeitslosigkeit durch Verzicht auf Eingriffe in Besitzstände derjenigen, die aus unserer Arbeit Profit ziehen und immer mehr Reichtum anhäufen, an der Senkung von Renten, die schließlich von der Lohnentwicklung abhängen, und an der Reduzierung von Lohnersatzleistungen (der Abstand zu Niedriglöhnen muß schließlich gewahrt bleiben!) durch Lohnverzicht. An der Degradierung von Gewerkschaften zu Umsetzungsinstrumenten (oder gar Planungsstäben) für Unternehmerstrategien, betrieblich und national. (Einschließlich kriegerischer Varianten, aber erzähl' das mal jemandem.)

In Kiel haben auf der Ebene der Ortsvereinsvorstände Gespräche zwischen Einzelgewerkschaften begonnen, nachdem Diskussionen in einzelnen Vorständen eine durchaus kritische Beurteilung des „Bündnisses“ ergeben hatten. Betriebsräte- und Vertrauensleutetreffen sind in Vorbereitung. Man sollte davon sicher nicht zu viel erwarten; vor allem aber muß sich jede/r, die oder der die Möglichkeit dazu hat, offensiv in diese Auseinandersetzung hineinbegeben. Möglich ist das in jedem Betrieb und jeder Dienststelle.

Demokratie in Gefahr

In dieser Auseinandersetzung entscheidet sich mehr, als manche/r wahrhaben möchte. Zum Teil wird das auch in den Gewerkschaften so gesehen, nur: was folgt daraus? Ein Beispiel: Während in der „Quelle“ (Funktionärszeitschrift des DGB) im Mai ’95 bereits zu lesen war, daß es nur noch um eine Umverteilung innerhalb der Klasse gehen könne, stellte Hermann Zoller im „IG-Medien-Forum“ im selben Monat fest: „Es ist ein interessanter Vorgang, daß gerade in einer Zeit, in der es Anlaß gibt darüber nachzudenken, warum der Faschismus in Deutschland die Macht erringen konnte, so leichtfertig die Demokratie mit der Demontage des Sozialstaates in Gefahr gebracht wird.“ - Der staatsoffizielle Teil des brandneuen Gedenktages 27. Januar hat in diesem Jahr verdeutlicht, daß solche Überlegungen in das verordnete Muster antinazistischen Gedenkens nicht hineingehören. Und einen Bündnispartner verdächtigt man doch nicht der Förderung von Entwicklungen, die ein „neues ’33“ denkbar werden lassen.

Für die IG Medien wird unter solch ungünstigen Bedingungen unter anderem die diesjährige Tarifrunde (die IG Metall hat keine, weil sie 1995 für ’96 mit abgeschlossen hat) eine Bewährungsprobe in Bezug auf Ernsthaftigkeit und Durchsetzungsvermögen. Wichtiger (nicht nur) für alle ihre Mitglieder als die Landtagswahl, und doch nur ein kleiner Abschnitt an der Front des Abwehrkampfes, in dem wir längst stehen und den allzu viele schon verloren geben. (Dietrich Lohse)