Grüne machen Atom-Ausstieg zum Wahlkampfthema

Gemessen an Bevölkerung und Fläche ist das kleine Schleswig-Holstein weltgrößter Atomstrom-Exporteur. Drei Meiler stehen am Nordufer der Elbe in unmittelbarer Nachbarschaft zum Hamburger Ballungsraum. Eine rechtzeitige Evakuierung der dicht besiedelten Region im Falle eines GAUs wäre vollkommen undenkbar.

Grund genug für die schleswig-holsteinischen Grünen, den Ausstieg aus der Atomwirtschaft zum Thema des Landtagswahlkampfes zu machen. An der sozialdemokratischen Landesregierung lassen sie dabei kein gutes Haar. „In zwei Jahren stehen alle AKW still“, hatte es 1988 beim Antritt der ersten SPD-Regierung nach über 40 Jahren geheißen, bald schon wurde daraus „1996“. Inzwischen vertröstet man im Energieministerium auf das Jahr 2010.

Der zuständige Minister Jansen und sein Nachfolger Möller hätten sich von den AKW-Betreibern vorführen lassen, so Willi Voigt, energiepolitische Sprecher des Grünen-Landesverbandes und Platz vier der Landesliste. Stattdessen hätten sie lieber das Atomgesetz konsequent anwenden sollen. Als ein Beispiel für die Versäumnisse nennt er das AKW Krümmel, in dessen Nachbarschaft es zu einer ungewöhnlichen Häufung von Leukämie-Fällen kam. Mehrere Kinder starben, ein Zusammenhang mit ausgetretener Radioaktivität liege auf der Hand. Aber anstatt das Vorsorgeprinzip anzuwenden und, wie es das Atomgesetz erlaubt, vom Kraftwerksbetreiber den Nachweis zu verlangen, daß er keine Verantwortung trägt, ist das Energieministerium den umgekehrten Weg gegangen: Beim Freiburger Öko-Institut wurde eine Studie in Auftrag gegeben, die dem AKW die Schuld nachweisen sollte. Das mute naßtürlich scheitern, denn die Beweisführung ist äußerst schwierig.

Sollte es nach dem 24. März im Kieler Landeshaus zu einer rot-grünen Koalition kommen, will Voigt für einen Wechsel in der Ausstiegs-Strategie sorgen. Nur eine konsequente Anwendung des Atomgesetzes sei erfolgversprechend. Die bestehenden Gesetze müßten „sicherheitsorientiert“ angewendet werden.

Bestärkt wird er in dieser Position von den Erfahrungen seiner hessischen Parteifreunde. Rainer Barke, Staatssekretär im Wiesbadener Umweltministerium, berichtete am 12.3. auf einer Wahlkampfveranstaltung in der Pumpe von dem zähen Ringen seiner Behörde mit der Atomindustrie um Sicherheitsstandards. Durch das beharrliche Ausschöpfen der Gesetze sei es gelungen, Siemens zur Aufgabe der Brennelemente-Produktion in Hanau zu bewegen. Bis dahin war dort bei Nukem in einer ungesicherten Fabrikhalle kilogrammweise mit dem ultragiftigen Plutonium hantiert worden. Die AKW-Betreiber würden, wenn sie sich durch Sicherheitsforderungen eingeschränkt fühlten, zwar gerne mit horrenden Schadensersatzforderungen drohen. Vor Gericht sind sie damit bisher allerdings selten durchgekommen. Einzig im Fall des stillgelegten AKW Mühlheim-Klärich könnten sie demnächst mit Forderungen nach zwei Milliarden DM Erfog haben. Das AKW war mit Duldung der rheinland-pfälzischen Behörden ohne gültige Genehmigungen gebaut worden. Der verantwortliche Ministerpräsident hieß Helmut Kohl. (wop)