Krieg und Zerstörung als Ausweg aus der Werftenkrise?

Die Krise des Vulkan-Verbundes hat die deutschen Werften wieder in das Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit gebracht. Vor allem in Westdeutschland war es seit der großen Werftenkrise der 80er Jahre still um den Schiffbau geworden. Der Arbeitsplatzabbau ging zwar auch hier weiter, aber halt weniger spektakulär als im Osten. Während an Bodden, Warnow und Stör seit 1990 75% der Werftarbeiter ihren Job verloren, waren es an den Förden, an Elbe, Weser und Ems immerhin noch 25%.

Der Rückblick zeigt, daß Stellenabbau in der Geschichte der westdeutschen Werften der Normalfall ist. Seit 1957, der Zeit des historischen Höchststandes, als 112.000 Menschen im Schiffbau ihr Auskommen fanden, ging es mit der Beschäftigung abwärts – mal schneller, mal langsamer.

Nach dem Krieg war es zunächst ganz aus mit den Werften. Die Siegermächte wollten nach zwei von Deutschland angezettelten Weltkriegen jede Rüstungsproduktion unterbinden. Das Potsdamer Abkommen sah daher ein Verbot des Baus von Seeschiffen aller Art vor. Aber wie so manche andere Bestimmung auch, geriet das im Rahmen der Westintegration schnell in Vergessenheit. 1951 fiel die letzte Beschränkung für den zivilen Schiffsbau, und in Westdeutschland setzte ein enormer Boom ein.



Schon 1955 hatte man einen Weltmarktanteil von 19,5% erobert. Der ging allerdings von da an Jahr für Jahr zurück. Die Produktion wuchs langsamer als der schnell expandierende Markt. Neue Schiffbau-Nationen wie Südkorea und Japan holten sich ihren Anteil vom immer größer werdenden Kuchen. Nach einer Stagnation in den frühen 60ern erlebte die maritime Wirtschaft rund um den Globus Anfang der 70er einen neuen Boom. Der Welthandel wuchs schneller als die Handelsflotte, die Reeder überschwemmten die Werften mit Aufträgen. Das Erwachen kam mit der Ölkrise 1974. Der Markt brach zusammen, nagelneue Supertanker wurden zu Dutzenden an die Kette gelegt. Betriebe, die sich auf den Bau von Massengutfrachtern gestürzt und in Erwartung weiteren Wachstums erhebliche Investitionen getätigt hatten, gerieten in die Krise.

Ein besonders beeindruckendes Monument unternehmerischer Fehlplanung aus dieser Zeit ist an der Kieler Förde zu besichtigen. Hier steckte HDW Mitte der 70er mehrere hundert Millionen Mark in den Bau eines Großdocks. Doch noch während der Bauzeit lief der letzte in Kiel gebaute Tanker vom Stapel. Die von nun an gefertigten Schiffe nahmen sich in dem Trockendock in etwa so verloren aus, wie Mäuse im Elefantengehege. Der Erfolg dieses Mißmanagements war, daß Rücklagen und einbehaltene Gewinne der fetten Jahre schnell verbraucht waren.

Die Gewerkschaft IG Metall hatte schon zu Boom-Zeiten Anfang der 70er Diversifizierung der Industriestruktur an der Küste gefordert, wohl wissend, daß der Weltmarkt für Schiffe Zyklen unterworfen ist und die Beschäftigung zunehmend von der Entwicklung der Produktion abgekoppelt werden würde. Doch Werftvorstände sowie Bundes- und Landespolitiker ließen die Chancen verstreichen.

Immerhin verfiel man darauf, technisch anspruchsvollere Schiffe zu bauen. Die Thyssen Nordseewerke hatten mit diesem Konzept die Krise der 70er leidlich überstanden. Heute sind deutsche Werften auf dem Gebiet der Container- und Passagierschiffe führend, aber auch nicht unbedingt unbestritten. Hochsubventionierte koreanische Werften drängen inzwischen auch auf diesen Markt. Für Schwellenländer wie Korea ist die Förderung des heimischen Schiffbaus ein Mittel, industrielles Know-how aufzubauen.

Ein weiteres Standbein entwickelten die westdeutschen Großwerften und einige kleinere in der Rüstungsproduktion, die bis Ende der 70er für sie kaum eine Rolle gespielt hatte. Der damalige Chef der Rendsburger Nobiskrug-Werft (inzwischen von HDW aufgekauft) fand für die Krise und den Schwenk in den Kriegsschiffbau eine Erklärung, die tief blicken läßt: „Der Krieg mit Zerstörung und neuer Bedarfsdeckung blieb aus. Welt und Wirtschaft waren auf ein so ungewohntes Dasein nicht eingestellt.“

In den 80ern begann man also, sich wieder auf ein gewohntes Dasein einzustellen. Versüßt wird das den Werftbesitzern mit gesicherter Abnahme und Bezahlung. Rüstungsaufträge haben den Vorteil, daß sie vorfinanziert werden. Anders als bei den Handelsschiffen erfolgt die Bezahlung bei Auftragsvergabe. Eine Werft wie HDW, die mit den Thyssen Nordseewerken weltweit einen Anteil von 50-60% am U-Bootmarkt hat, erzielt daher mit dem Marinebau auch erhebliche Zinsgewinne. Die Bundesregierung ist dabei nicht nur was den Bedarf der eigenen Marine angeht großzügig. Auch Exporte werden oft mit Hermes-Bürgschaften abgesichert, so daß von Kiel, Emden und Hamburg aus Diktaturen in aller Welt mit Kriegsschiffen versorgt werden konnten.

Das Interesse am Erhalt von Rüstungskapazitäten scheint in den großen Industriestaaten ein wichtiges Motiv dafür zu sein, immer wieder Milliarden-Beträge in die defizitären Werften zu stecken. Um Sicherung der Arbeitsplätze geht es offensichtlich weniger. Wiederholt haben gewerkschaftliche Arbeitskreise vorgerechnet, daß mit den Exporthilfen für Fregatten und U-Boote im Handelsschiffbau wesentlich mehr Stellen erhalten werden könnten.

In Deutschland hat man in nächster Zeit mit der Marine einiges vor, und daher wird es hierzulande kaum an Rüstungsaufträgen mangeln. Von der Öffentlichkeit viel zu wenig beachtet hat eine Neudefinition der Aufgaben der Seestreitkräfte stattgefunden: Es gilt die „Küsten der Weltmeere (...) sicherheitspolitisch zu gestalten“. Im Marineforum 3/94 spricht Flotillenadmiral Christian Giermann Klartext: „Es geht eben nicht mehr, wie in der zurückliegenden Geschichte ausschließlich um den Schutz der Grenzen und Staatsbürger, sondern umfassend um die Erhaltung der Prosperität der Bürger Deutschlands“. (Hervorhebungen im Original.)

Demnächst soll übrigens bei HDW oder Blohm&Voss in Hamburg mal wieder eine Fregatte für die Türkei auf Kiel gelegt werden. Eine zweite wird später nach deutschen Plänen in der Türkei gebaut werden. Vielleicht haben dann, wenn der Konflikt Ankaras mit Griechenland um die Ägäis-Inseln heiß läuft, deutsche Ingenieure bald einmal Gelegenheit, ihre Produkte im Praxis-Test zu begutachten. (wop)