„Arbeit für Schleswig-Holstein“ (ASH III): arbeitsmarktpolitisches Instrument oder Mogelpackung?
 

1. Die Ausgangssituation

Nach den neuesten Angaben (veröffentlicht von der Bundesanstalt für Arbeit (BA) am 6.3.96) ist die Zahl der offiziell registrierten Arbeitslosen auf einem Nachkriegsrekordstand:

In der BRD waren im Februar 4,27 Mio. Menschen (= 11,1%) arbeitslos (SozialhilfeempfängerInnen und sog. „stille Reserve“ nicht mitgerechnet). Im Vergleichsmonat des Vorjahrs waren es 3,8 Mio. Die Zahlen für S.-H.: 168.764 entsprechend 11,0% (1994: 102.000 = 9,0%). In den einzelnen Regionen liegen die Quoten noch weit höher. Den traurigen Rekord hält Flensburg mit 15,3%. In der Landeshauptstadt sind immerhin 13,4% arbeitslos. Daß der Landesdurchschnitt dennoch etwa dem des Bundes gleicht, liegt am „Speckgürtel“ des Hamburger Umlands, wo die Quote „nur“ 7-9% beträgt.

Als Ursache für diese alarmierenden Zahlen werden wie immer konjunkturbedingte genannt. Besonders zu Buche geschlagen hat, so die Bundesanstalt für Arbeit (BA), die – auch wetterbedingte – Flaute auf dem Bau, wo bundesweit 262.000 Arbeitsplätze „verloren“ gingen.

Die trotz Sozialabbau und damit verbundener Kostensenkung für die Unternehmer, die die Kostenersparnisse offenbar nicht in Investitionen für neue Arbeitsplätze umsetzen, weiter stark zunehmende Arbeitslosenzahl löst auf allen Seiten hektisches Krisenmanagement aus, bundesweit das sog. „Bündnis für Arbeit“, auf Landesebene S.-H. u.a. das Programm „Arbeit für Schleswig-Holstein“ in seiner dritten Auflage (ASH III), das im folgenden kritisch beleuchtet werden soll.
 

2. ASH III – Finanzierung und Maßnahmen

ASH III wird im SPD-Programm zur Landtagswahl stark angepriesen, wobei die Zahlen zum Finanzierungsvolumen darin weit höher sind als in den Richtlinien zu ASH III. Allerdings ist eine genaue Beurteilung des Finanzvolumens für ASH III schwierig, da es sich um ein Modell der Mischfinanzierung handelt. Gelder fließen aus folgenden Töpfen:

- Bundesanstalt für Arbeit, Arbeitslosenversicherung, Bundesmittel: ca. 500 Mio. DM

- EU-Mittel aus dem Europäischen Sozialfond (ESF) (Mittel zur Stärkung strukturschwacher europäischer Regionen im Rahmen des EU-Strukturfonds): ca. 17 Mio. DM

- Land: ca. 200 Mio. DM

- Eine wichtige Rolle spielt ferner die Finanzierung nach § 19 Bundessozialhilfegesetz (BSHG), in welchem Paragraphen die Wiedereingliederung von SozialhilfeempfängerInnen in den Arbeitsprozeß durch gesonderte Förderung geregelt ist.

Die Maßnahmen von ASH III orientieren sich an den Förderkriterien des ESF, d.h. Förderung findet vorrangig (aber nicht ausschließlich) dort statt, wo auch EU-Mittel fließen. Die EU-Fördeung ist eine Strukturförderung, d.h. es geht um die Veränderung von Produktions-, Wirtschafts- und Lebensstrukturen. Durch die enge Ankoppelung von ASH III an diese EU-Projekte ist ASH III kein reines arbeitsmarktpolitisches Instrument, sondern geht – zumindest dem Anspruch nach – darüber hinaus. ASH III setzt sich im einzelnen aus 8 Programmpunkten zusammen:

1. Langzeitarbeitslosenprogramm

Zielgruppe: besonders benachteiligte Arbeitslose wie z.B. Jugendliche (unter 25 J.) ohne schulische oder berufliche Abschlüsse und Arbeitslose (über 25), die mind. 18 Monate arbeitslos sind und/oder ein Vermittlungshemmnis aufweisen.
Maßnahmen: 2-jährige feste Beschäftigung im Rahmen von Umweltschutz- oder sozialen Projekten bei einem jeweiligen Träger (meistens eingetragene oder gemeinnützige Vereine, die Erfahrungen mit Jugend- oder Sozialarbeit haben).

2. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM)

3. arbeitsmarktpolitische Modellvorhaben

Finanziell beteiligt sich das Land an EU-Initiativen, auf die kein eigener Programmpunkt des ASH III zutrifft, die aber Modellcharakter haben. Bezuschußt werden Lohnkosten, Qualifizierungskosten, Stammkräfte und Sach- und Betriebsmittelkosten.

4. Arbeit statt Sozialhilfe

Zielgruppe: SozialhilfeempfängerInnen

Maßnahmen: Im Rahmen von § 19 BSHG Förderung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen mit Qualifizierungselementen im gemeinnützigen Bereich. Arbeitgeber sind kommunale Beschäftigungsgesellschaften (z.B. KIBA in Kiel), Vereine, Verbände der freien Wohlfahrtspflege und andere soziale Einrichtungen.

5. Innovative Weiterbildungsmaßnahmen

6. Nachträglicher Erwerb des Hauptschulabschlusses

7. Qualifizierung von Berufsanfängern

8. Abbau der Arbeitslosigkeit von Behinderten
 

3. ASH III lohnt sich – für wen?
 

Eine Modellrechnung zeigt, daß sich ASH III-Maßnahmen für Kommunen lohnen können, weil sie mit Hilfe von ASH III ihre Etats entlasten können. Das Modell ist simpel: Wer Arbeit hat, nimmt keine Sozialhilfe in Anspruch. Nach einem Jahr Maßnahme ist der Arbeitslose wieder berechtigt, ALG und danach ALH zu beziehen. Der Kommune entstehen durch eine ASH III-Maßnahme zunächst ein Jahr lang Kosten, die sich aber nach 3 Jahren amortisieren, weil der dann möglicherweise wiederum Arbeitslose aus Bundesmitteln der BA bezahlt wird und somit nicht mit HzL der Kommune auf der Tasche liegt. Detailliert macht dies die folgende Tabelle deutlich:
 

(Tabelle)
 

Erklärung zur Tabelle:

Modell: Ein Sozialhilfeempfänger erhält im Rahmen von § 19 BSHG für ein Jahr eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.

1. Jahr: Infolge der dadurch gezahlten Lohnsteuern erhält der Bund in diesem Jahr 2.836 DM. In die Arbeitslosenversicherung (AV) werden 2.103 DM eingezahlt, in die Renten- und Krankenversicherung (RV/KV) 10.191 DM. Dem Land und der Kommune entstehen durch die Beschäftigung Kosten von 9.835 DM bzw. 13.396 DM, wobei die Einsparungen bei HzL und Mehreinnahmen durch Steuern bereits eingerechnet sind.

2. Jahr: Der Maßnahmeempfänger ist jetzt arbeitslos und bekommt ALG. Dies belastet die AV, so daß ihr Saldo auf -11.064 DM sinkt. Der Saldo für Bund und RV/KV bleibt konstant, weil es in diesen Kassen keine Einnahmen mehr gibt aber auch keine Ausgaben. Der Saldo für Land und Kommune ist zwar immer noch negativ, jedoch machen sich weiterhin Einsparungen bei HzL bemerkbar, so daß der Saldo auf -5.155 DM bzw. -6.076 DM gestiegen ist.

3. Jahr: Der Maßnahmeempfänger erhält nun ALH, welche aus Bundesmitteln bezahlt wird. Dadurch wird der Saldo für den Bund negativ. Die Maßnahmekosten haben sich für die Kommune bereits amortisiert, sie hat durch die Einsparungen bei HzL nun bereits ein Plus von 1.244 DM gemacht.

Im 4. und 5. Jahr nach Maßnahmebeginn setzen sich diese Tendenzen fort. Am Ende hat der Bund Mehrausgaben von 32.057 DM, während die Kommune 15.884 DM eingespart hat. Findet der Maßnahmeempfänger nach der Maßnahme reguläre Arbeit, was ja das eigentliche Ziel sein sollte, sieht durch gezahlte Steuern und Beiträge das Ganze natürlich noch besser aus. In diesem Fall amortisiert sich die Investition für das Land schon im 3. Jahr.

Es handelt sich also für die Kommune letztlich um einen „Re-Umverteilungsprozeß“. Die Politik des Bundes geht seit einigen Jahren dahin, möglichst viele (Langzeit-) Arbeitslose aus der Arbeitslosenversicherung heraus in die (von den Ländern und Kommunen zu finanzierende) Sozialhilfe zu drängen, um die Kosten der Arbeitslosenversicherung zu verringern. Jetzt schlägt die Kommune unter Ausnutzung des § 19 BSHG zurück. Man beschäftigt einen Menschen ein Jahr lang und ist ihn dann erstmal wieder los, weil er erneut Mittel der BA erhält. Zwar kostet die Beschäftigung im Rahmen der Fördermaßnahmen von ASH III Land und Kommune zunächst Geld, doch, wie die Tabelle zeigt, lohnt sich das schon nach einem kurzen „Investitionszeitraum“. Freilich hat das auch Vorteile für den Beschäftigten, jedoch keine nachhaltigen, denn es werden real keine neuen dauerhaften Arbeitsplätze geschaffen. Vor- und Nachteile (jeweils – für wen?) im Überblick:

Vorteile:

- für Arbeitslose: Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß für wenigstens ein Jahr, damit Milderung von aus der Arbeitslosigkeit erwachsenden sozialen und individuell-psychischen Problemen und Beiträge zu Renten- und Sozialversicherung mit daraus folgenden Ansprüchen.

- für die Maßnahmeträger: Schaffung von Stellen für Stammpersonal zur Betreuung und Qualifizierung der MaßnahmeempfängerInnen.

- für die Gesellschaft: Soziale (und ökologische) Reproduktionsarbeit wird als gesellschaftlich sinnvolle Arbeit für einen begrenzten Zeitraum gefördert.

- für die Kommunen: Nach einer Amortisationszeit Entlastung der kommunalen Haushalte zu Lasten des die Mittel ungerecht umverteilenden Bundes.

Nachteile:

- keine reale, nachhaltige Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern bloßes Krisenmanagement.

- Zementierung eines „2. Arbeitsmarktes“ mit geringem Lohnniveau im sozialen und gesellschaftlich sinnvollen Arbeitsbereich. Die Betroffenen werden darauf vorbereitet, auch in auf die Maßnahme eventuell folgenden Beschäftigungsverhältnissen auf dem 1. Arbeitsmarkt zu geringen Löhnen zu arbeiten.

- Die Reintegration in den 1. Arbeitsmarkt erfolgt für die Betroffenen, wenn überhaupt, viel zu spät, nämlich erst, wenn sie mindestens zwei Jahre „durchgesackt“ sind. ASH III kann überhaupt nur von denen in Anspruch genommen werden, die bereits „ganz unten“ sind, d.h. „normale“ Arbeitslose können nach diesem Programm erst gefördert werden, wenn sie bereits langzeitarbeitslos sind oder in die Sozialhilfe abgeschoben.

- wenig transparente Mischfinanzierung aus unterschiedlichsten Töpfen mit der Folge eines hohen Verwaltungs- und Administrationsaufwandes.

- ASH III ist damit keine arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitische Initiative, sondern eine rein sozialpolitische.

4. Bewertung oder: Wer kriegt den „Schwarzen Peter“?

Die Durchführung des ASH III erfolgt über eine privatwirtschaftliche GmbH, die Beratungsgesellschaft für Beschäftigung in S.-H. GmbH (BSH) mit Sitz in Neumünster, eine Ausgliederung aus dem Sozialministerium. Diese Gesellschaft gibt eine Werbebroschüre heraus, in der die ASH III-Maßnahmen den Kommunen schmackhaft gemacht werden, dies mit einer detaillierten Kosten/Nutzen-Abwägung (siehe obige Tabelle, die aus dieser Broschüre stammt).

Der § 19 BSHG wird dort als Instrumentarium zur Entlastung der Kommunen und (Wieder-) Belastung des Bundes angepriesen: „Durch die Schaffung von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen können nicht nur soziale Probleme in Folge von Arbeitslosigkeit beseitigt bzw. gemindert werden, sondern den Kommunen bietet sich gleichzeitig mit Hilfe dieses Instruments die Möglichkeit, eine Entlastung der Gemeindehaushalte zu erzielen.“ Dies scheint das eigentliche Ziel zu sein. Und weiter wird geworben, ziemlich klar sagend, worum es geht und worum nicht: „Die Ergebnisse der Modellrechnung machen deutlich, daß sich die zusätzlichen Ausgaben der Kommune für § 19 BSHG-Maßnahmen innerhalb weniger Jahre refinanzieren. Für die Kommune ist es dabei aus fiskalischer Sicht relativ unbedeutend (!, jm), ob die Teilnehmer/-innen nach Ende der Maßnahme eine Folgebeschäftigung finden oder nicht.“

Nach solchen Äußerungen scheint es also gar nicht vorrangig um die Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß und Schaffung von Arbeitsplätzen zu gehen, sondern ASH III stellt sich als bloße Maßnahme dar, die ungerechte Abwälzung von Lasten vom Bund auf Land und Kommunen durch einen nicht ganz unschlauen Trick rückgängig zu machen. Krisenmanagement statt nachhaltiger Arbeitsmarktpolitik, keine „aktive Arbeitsmarktpolitik“ wie im SPD-Wahlprogramm angepriesen. (jm)