Aufgeblättert:

„Ganz normale Männer“

Christopher R. Browning untersuchte die Rolle des Reserve-Polizeibataillons 101 im Rahmen der „Endlösung“ in Polen. Dieses Buch erscheint jetzt als Rowohlt-Taschenbuch.

Das Polizeibataillon bestand überwiegend aus älteren Jahrgängen, das Durchschnittsalter der Mannschaften lag 1942 bei 39 Jahren. Aufgewachsen waren diese Männer also in der Zeit des Kaiserreichs bzw. der Weimarer Republik. Rund 63% der Polizisten stammten aus Arbeiterberufen. Das Bataillon rekrutierte sich überwiegend aus Hamburg, einige kamen aus Rendsburg bzw. aus dem weit entfernten Luxemburg. Etwa ein Viertel der Polizeibeamten gehörte der Nazi-Partei an. (S. 69*).Zwar sind Statistiken über eine eventuelle vorherige Mitgliedschaft in SPD, KPD oder Gewerkschaften nicht übermittelt, allerdings galt die Stadt Hamburg als eine der am wenigsten nationalsozialistischen.

Diese 500 Polizisten wurden von Odilo Globocnik, dem Intimus Himmlers und Hauptplaner der Judenvernichtung, 1942/43 für die „Endlösung“ vor allem im Bezirk Lublin eingesetzt. Mindestens 38000 Menschen wurden von den Polizisten dieses Bataillons erschossen, mindestens 45200 in das Vernichtungslager Treblinka deportiert.


Von 1962 bis 1967 fanden Vernehmungen von insgesamt 210 Bataillonsangehörigen statt. Nach den Aussagen vor der Hamburger Staatsanwaltschaft läßt sich erkennen, daß 10%, allenfalls 20% dieser Polizisten sich geweigert haben, an den Mordaktionen teilzunehmen. Diese wurden dann mit Aufgaben betraut, die zumindest nicht direkt mit der Ermordung von Juden zusammenhingen. Persönliche Folgen für Verweigerer des Mordbefehls waren allenfalls Beschimpfungen als „Feiglinge“, disziplinarische Strafen gab es nicht.

Nachdem schon 1948 in Polen vier Offiziere des Bataillons wegen der Erschießung von 78 polnischen Geiseln verurteilt worden waren, gab es 1967 dann auch in Hamburg einen Prozeß. In der ersten Instanz waren 14 Polizisten angeklagt, davon wurden 11 schuldig gesprochen. In zweiter Instanz wurden die Schuldsprüche 1972 zwar bestätigt, aber nur zwei der Angeklagten erhielten Gefängnisstrafen von 3 1/2 bzw. 4 Jahren.

Browning wendet sich in seiner Wertung vor allem auch der Untersuchung der Psyche der Mörder zu. Da es sich bei diesen Tätern nur in einer Minderzahl der Fälle um überzeugte Nazis handelte, untersucht er, wieweit insbesondere der Antisemitismus sie dazu geführt hat, Menschen zu ermorden. Er kommt zu dem Schluß, daß es jedenfalls keine „Schlachtfeldraserei“ (S. 209) war, wenngleich er den Hintergrund des Krieges durchaus beachtet. Vielmehr habe gerade die Bürokratisierung der „Endlösung“ zur Gewissensberuhigung der Täter beigetragen.

Der Autor geht auch auf die psychologischen Experimente Milrams ein, bei der sich herausstellte, daß Versuchspersonen, die aufgefordert wurden, andere Menschen, mit denen sie nur über eine Lautsprecherverbindung kommunizieren konnten, für falsche Antworten zu bestrafen, mit wenigen Ausnahmen bereit waren, dies zu tun — auch wenn die Elektroschocks, wären sie wirklich erfolgt, zum Tode dieser Menschen geführt hätten.

Browning kommt zu dem pessimistischen Schluß: „In praktisch jedem sozialen Kollektiv übt die Gruppe, der eine Person angehört, gewaltigen Druck auf deren Verhalten aus und legt moralische Wertmaßstäbe fest. Wenn die Männer des Reserve-Polizeibataillons 101 unter solchen Umständen zu Mördern werden konnten, für welche Gruppe von Menschen ließe sich dann noch Ähnliches ausschließen?“ (S.247) (hap)
 

Christopher R. Browning: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon und die „Endlösung“ in Polen. rororo-Taschenbuch, 16,80 DM.

* Die Zitate entstammen der gebundenen Ausgabe, Rowohlt-Verlag, Reinbek 1993.