Dokumentation:

Alarm! Doppelter CASTOR-Transport für Anfang Mai geplant

Es wird wieder ernst. Nach unseren derzeitigen Informationen ist geplant, in der Woche vom 6. bis 10. Mai sowohl aus der französischen WAA La Hague als auch aus dem bayerischen AKW Gundremmingen Transporte mit hochradioaktivem Atommüll nach Gorleben durchzuführen. Ob die Bahnwaggons mit dem CASTOR 1c (Inhalt: 16 Brennelemente) aus Gundremmingen und dem TS 28 V (Inhalt: 28 Glaskokillen) aus La Hague gemeinsam am Dannenberger Verladekran ankommen oder ob zwischen beiden Transporten Stunden oder Tage liegen, ist uns nicht bekannt. Ziel dieser Doppeltransport-Strategie ist eindeutig die Senkung der Polizeikosten. Aber ob dies angesichts der Widerstandsbereitschaft gelingt, ist mehr als fraglich. Was passiert, wenn aufgrund von Problemen bei der Beladung eines der Behälter oder aus anderen Gründen der Termin nicht eingehalten werden kann? Wir wissen bisher nicht, ob dann ein Einzeltransport durchgeführt wird oder ob die Abfahrt des „intakten“ CASTORs aufgeschoben wird, bis der andere bereit ist.

In La Hague ist die „Kalthantierung“ erfolgreich abgeschlossen worden. D.h. die in der Einlagerungsgenehmigung für Gorleben vorgeschriebene Erprobung des leeren Behälters bezüglich Beladevorgang usw. hat stattgefunden und wurde von der Aufsichtsbehörde, dem niedersächsischen Umweltministerium, abgenommen. Ende März soll damit begonnen werden, insgesamt 28 Glaskokillen (bestehend aus in Glas eingeschmolzenem hochaktivem und heißem WAA-Müll) in den Behälter zu packen. Die Beladung dauert vorraussichtlich vier Wochen. Danach kann der Transport stattfinden.

In Gundremmingen ist der CASTOR-Behälter Anfang des Jahres angekommen. Die Brennelemente für Gorleben sollen aus Block B kommen. Dort wurde aber bis zum 8. März die jährliche Revision durchgeführt. Deshalb hat man die „Kalthantierung“ in Block C gemacht. Auch hier bescheinigte Hannover den korrekten Ablauf. Zur Erinnerung: Der jetzt zum Einsatz kommende Behälter war bereits von 1982 bis 1984 zu einer Probeeinlagerung von Brennelementen im AKW Würgassen eingesetzt. Dadurch ist er kontaminiert und im Deckeldichtungsbereich gab es „Reibemarken“, die jetzt neu verzinkt werden mußten. Die Beladung des Behälters in Gundremmingen war eigentlich für den Zeitraum direkt nach der Revision angekündigt. Dies wäre ab dem 11. März gewesen. Dann hieß es zwischendurch, am 18. März würde begonnen. Neueste Informationen gehen von einem Beladungs-Beginn nach den Landtagswahlen, d.h. ab frühestens dem 25. März aus. Ende April soll der CASTOR, wenn alles klappt, transportbereit sein.

Fazit: Die über lange Monate sehr schleppende Vorbereitung dieser beiden Transporte geht nun in entscheidende Phase. Wenn es uns damit ernst ist, dem einen seit 1995 in Gorleben stehenden CASTOR keine „Gesellschaft“ zu gönnen, dann haben wir nur noch wenige Wochen Zeit.

Mögliche Transporthindernisse

Die Betreiber aus Gundremmingen und La Hague scheinen relativ verunsichert durch die Ereignisse rund um den ersten CASTOR. So wurde aus Frankreich bekannt, daß die WAA-Betreiberin Cogema kein großes Interesse daran hat, als erstes in diesem Jahr einen umstrittenen Transport nach Gorleben durchzuführen, nachdem sich das Land mit den Atomtests schon genug unbeliebt gemacht hat. Allerdings macht die Bundesregierung gewaltig Druck, die erste Kokillen-Lieferung zügig durchzuführen.

In Gundremmingen scheint es noch defensiver zuzugehen. So spricht die Äußerung der Betreiber, daß sie mit der CASTOR-Beladung erst nach den anstehenden Landtagswahlen beginnen wollen, für große Nervosität. Es wurde bekannt, daß sie die Beladung erst dann durchführen wollen, wenn sie sowohl von der Energiewirtschaft als auch von politischer Seite die Zusicherung haben, daß dieser Transport voll unterstützt wird und kein Rückzieher zu erwarten ist. Hier haben wir also eine reele Chance, noch vor der Beladung einzugreifen, um den Betreibern verständlich zu machen, daß der geplante Transport nur unter wesentlichem Image-Verlust durchsetzbar sein wird.

Zur Zeit ist die im Mai 1995 erteilte neue Einlagerungsgenehmigung für die CASTOR-Halle in Gorleben mit Sofortvollzug versehen, d.h. die anhängige Klage hat keine aufschiebende Wirkung. Doch die Kläger haben beim Gericht beantragt, den Sofortvollzug auszusetzen, um erst in der Hauptsache entscheiden zu können. Dies war ja schon einmal erfolgreich, nämlich beim geplanten Transport aus Philippsburg im November 1994, als das Verwaltungsgericht am Abend vor der geplanten Abfahrt den Sofortvollzug (damals noch der alten Einlagerungsgenehmigung) außer Kraft setzte. Auch vor den für Mai geplanten Transporten wird das Gericht in dieser Sache entscheiden.

Die Diskussion um die biologische Wirksamkeit der Neutronenstrahlung aus dem CASTOR ist weitergegangen. Im Sommer 1995 hatte der Marburger Nuklearmediziner Horst Kuni erklärt, daß die Neutronenstrahlung um den Faktor 30 gefährlicher sei, als bisher angenommen. Niedersachsens Innenminister Glogowski reagierte prompt: „Es wird solange keine Einsätze niedersächsischer Polizeieinheiten bei CASTOR-Transporten geben, bis nicht unzweifelhaft feststeht, daß für die eingesetzten Beamten keine gesundheitliche Gefährdung besteht.“ Inzwischen hat seine Kollegin Griefahn mehr als 20 Expertisen zum Thema eingeholt und dabei festgestellt, daß es keine einheitliche Meinung der WissenschaftlerInnen zum Thema gibt. Trotzdem hat sie festgelegt, daß Niedersachsen künftig nur von einer doppelten Gesundheitsgefahr durch Neutronenstrahlung ausgeht, obwohl sie selbst sagt, daß die Forschung noch große Lücken aufweist und es viele offene Fragen gibt. Glogowski jedenfalls erklärte sich daraufhin wieder bereit, seine Polizei an den CASTOR ranzulassen.

Apropos Glogowski: Zumindest was die öffentlichen Äußerungen angeht, scheint der Innenminister der einzige in der Regierung Schröder zu sein, der wenigstens noch den Versuch unternimmt, weitere Transporte zu verzögern oder zu verhindern. Natürlich hat er dabei ganz eigennützige Motive. Nachdem das Neutronen-Argument aufgrund Griefahns skandalöser Grenzwert-Festlegung nicht mehr zieht, und auch sein Winter-Argument (lange Nächte machen Polizeieinsätze im Wendland zu gefährlich) Tag für Tag an Stichhaltigkeit verliert, hat er sich nun etwas neues einfallen lassen. Da durch CASTOR-Transporte so viele Überstunden bei seinen BeamtInnen anfallen, ist hinterher die Innere Sicherheit Niedersachsens gefährdet. Ganze Polizeiwachen müßten zeitweise schließen, bis alles abgefeiert ist.

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Was steht an?

Wenn wir weiterhin vorhaben den CASTOR zu stoppen, bevor er losfährt, dann reicht es natürlich nicht, sich auf die eventuell im Mai anstehende „heiße Phase“ einzustellen, sondern bereits jetzt Druck zu entwickeln. Die Chancen, die geplanten Transporte zu verhindern, sinken mit den Fortschritten bei der Transportvorbereitung.

Das Zaudern der Gundremmingen-Betreiber bezüglich des Beladebeginns spricht dafür, daß sie aus diesem Termin eine Art „point of no return“ machen wollen: ab diesem Tag gibt es kein zurück mehr. Andererseits hat Gundremmingen schon im letzten Jahr angekündigt, daß sie im Falle einer ähnlichen Entwicklung wie in Philippsburg, als der CASTOR 1994/95 über Monate beladen auf dem AKW-Gelände stand, in der Lage wären, den Behälter wieder auszupacken. Und dies wurde bei der Kalthantierung auch geübt.

Trotzdem: Die Unsicherheit der Betreiber bezüglich des Belade-Beginns gilt es zu nutzen. In dieser und der nächsten Woche haben wir noch Chancen, die Beladung zu verhindern. Wenn die Konzerngewaltigen merken, daß der Widerstand gegenüber dem ersten CASTOR noch anwachsen wird und daß sie mit einem Transport nach Gorleben riskieren, die ganze ungelöste Entsorgung zum Thema öffentlicher Debatten zu machen, dann werden sie genau abwägen müssen, ob sich dies alles für sie lohnt.

Was tun? Aktivitäten zur Beladungsverhinderung müssen vor allem einem Kriterium genügen: Die Betreiber und/oder die politisch Verantwortlichen müssen was davon merken. Also: Es fängt damit an, Briefe an die Geschäftsführung des AKW Gundremmingen, der RWE in Essen oder der Bayernwerke in München zu schicken, die den entscheidenden Leuten noch einmal vor Augen führen, daß sie mit jedem CASTOR die Ziele ihres eigenen Unternehmens gefährden.

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Eine Woche nach Ostern, am Sonntag, dem 14. April, gibt es an den Gleisen vor dem Dannenberger CASTOR-Kran eine Neuauflage der Aktion „Ausrangiert!“, also eine öffentliche Schienendemontage als gewaltfreie Aktion Zivilen Ungehorsams. Auch zu dieser Aktion wird bundesweite Beteiligung erwartet. Nähere Informationen gibt es bei der Initiative für Kommunikation und Sabotage, Meuchefitz 11, 29482 Küsten, Tel.: 05841/2742

Falls der 6.-10. Mai Transporttermin bleibt, dann wird für Samstag, den 20. April, der von Gruppen aus der Region Wendland, Uelzen, Lüneburg vorbereitete „Tag B“ durchgeführt. Diese regionale Aktion wird sich den Brücken auf den beiden möglichen CASTOR-Bahnlinien Uelzen-Dannenberg und Lüneburg-Dannenberg widmen. Aus dem Aufruf: „Es soll eine phantasievolle, bunte, gewaltfreie Aktion werden, zu der jede/r, Gruppe oder Gruppierung beitragen kann. Die Presse und die Öffentlichkeit soll auf die Brückenzustände aufmerksam gemacht werden. Damit soll auf die Unmöglichkeit eines weiteren Transportes hingewiesen werden.“ Treffpunkte: 12 Uhr in Uelzen: Bahnhof-Ausgang ZOB, in Lüneburg: Bahnhof, in Dahlenburg: Großer Parkplatz am Schützenhaus. An den Treffpunkten gibt es Informationen über den weiteren Verlauf. Ändert sich der mögliche Transporttermin, so ändert sich auch der Tag B. Er wird am drittletzten Samstag vor dem Tag X2 stattfinden.

Am 27. April gibt es bundesweit sechs große Demonstrationen zum 10. Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe. In München-Garching, Breisach, Biblis, Ahaus, Krümmel und Magdeburg wird unter dem Motto „Tschernobyl ist überall - Sofortige Stillegung aller Atomanlagen - Energiewende jetzt!“ demonstriert. Wir finden es wichtig, daß die Anti-AKW-Bewegung zu diesem Anlaß deutlich Flagge zeigt und die Forderung nach der Stillegung mit Nachdruck öffentlich macht. Wir weden den DemonstrantInnen darüberhinaus das Angebot machen, in den dann noch wenigen verbleibenden Tagen gegen die geplanten CASTOR-Transporte aktiv zu werden.

Am 28.4. gibt es in Gundremmingen ein weiteres Mal „Ausrangiert!“ Kontakt: Mahnwache Gundremmingen, c/o Carl-Kabat-Haus, Postfach 90, 73555 Mutlangen, Tel.: 07171/74263

Die heiße Phase

Bleibt es dabei, daß der/die nächste/n CASTOR-Transport/e in der Woche vom 6. bis 10. Mai in Gorleben eintreffen soll/en, dann wird ab dem Wochenende davor im Wendland rund um die Uhr demonstriert. Die Aktivitäten, um den CASTOR-Transport kurz vor der Abfahrt doch noch zu stoppen, beginnen am Freitag, dem 3. Mai um 16 Uhr in Uelzen, Lüneburg und Dannenberg.

Am Samstag, den 4. Mai wird um 12 Uhr auf dem Dannenberger Marktplatz eine große Kundgebung stattfinden. Von Lüneburg, Uelzen, Dömitz und Salzwedel aus wird sich am Vormittag eine Sternfahrt auf Dannenberg zubewegen. Zur Kundgebung werden auch viele Menschen erwartet, die nur an diesem Tag Zeit haben, sich am CASTOR-Widerstand zu beteiligen oder die lieber entlang der möglichen Transportstrecken durch die Bundesrepublik aktiv werden wollen.

Nach der Kundgebung gehen die Aktivitäten weiter. Ob entlang der Bahnstrecken oder auf den Straßen: Wir zeigen, daß der politische Preis für weitere CASTOR-Transporte noch ansteigen wird. Die Aktionen enden erst, wenn die Transporte abgesagt oder von der Polizei durchgesetzt sind.

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Termine

14.4. Aktion „Ausrangiert!“, öffentliche gewaltfreie Schienendemontage am CASTOR-Kran in Dannenberg
evtl. 20.4. Tag B mit Aktionen an den Bahn-Brücken. Treffpunkte um 12 Uhr in Lüneburg, Uelzen und Dahlenburg.
27.4. Demonstrationen zum Tschernobyl-Jahrestag in München, Freiburg, Biblis, Krümmel, Ahaus, Magdeburg
28.4. Aktion „Ausrangiert!“ auf dem Anschlußgleis des AKW Gundremmingen.
30.4., 9.30 Uhr Verhandlung vor dem OVG Lüneburg (Uelzener Str. 40) wegen der Demonstrationsverbote 1995
evtl. ab dem 3.5. Beginn der „heißen Phase“ vor den nächsten CASTOR-Transporten nach Gorleben mit Aktionen in Lüneburg, Uelzen und Dannenberg.
evtl. 4.5., 12 Uhr Große überregionale Kundgebung in Dannenberg (Marktplatz) gegen geplante CASTOR-Transporte
evtl. 6.-10.5. Zeitraum für die beiden geplanten CASTOR-Transporte aus Gundremmingen und La Hague nach Gorleben.

Für weitere Fragen und Anregungen könnt ihr euch, da die „Republik Freies Wendland“ kein Büro betreibt, an die Bürgerinitiative wenden: BI-Büro, Drawehner Str. 3, 29439 Lüchow, Tel.: 05841/4684, Fax: 05841/ 3197. Dort könnt ihr euch auch in die Telefonkette zum Tag X2 eintragen lassen oder Änderungen an euerer bisherigen Eintragung vornehmen lassen. Das BI-Büro ist auch die Postanschrift des Ermittlungsauschusses (EA) Gorleben. Die EA-Telefonnummer ist 05843/7642.

Spenden: Die Republik Freies Wendland hat keine Bank und auch kein Spendenkonto. Wir empfehlen deshalb die Arbeit der (gemeinnützigen) BI finanziell zu unterstützen. Deren Spendenkonto hat die Nummer 2060721 bei der Kreissparkasse Lüchow (BLZ 25851335). Die BI ist in nächster Zeit, wenn die neue Anti-CASTOR-Kampagne ihrem Höhepunkt zustrebt, auf großzügige Spenden angewiesen.

CASTOR-Infodienst 1/96, 18. März 1996, Herausgeberin: Republik Freies Wendland