Freiheit für Safoan Eid!

Demonstration am 23.3. in Lübeck

Lange hat es gedauert, bis das ungute Gefühl bei der Verhaftung des jungen Libanesen nach dem Brand im Lübecker Flüchtlingsheim in der Neuen Hafenstraße umschlug in die Gewißheit, daß er nicht der Brandstifter gewesen sein kann. Die Staatsanwaltschaft hat zwar seinen Haftbefehl gerade am 21.3. erneuert, neue Beweise hat sie jedoch nicht präsentiert und die „Ermittlungsergebnisse“, die bei den fragwürdigen Mitschnitten von Gesprächen mit Verwandten und FreundInnen des Verdächtigten gewonnen wurden und in der bürgerlichen Presse ebenso breit wie nebulös verbraten wurden, sind bereits wieder zusammengebrochen, wenn die Staatsanwaltschaft dies auch nicht zugibt. Es scheint nämlich, daß sie einfach eine unter moslemisch Gläubigen übliche Sitte, nämlich Gott in der Fastenzeit laut um Vergebung der Sünden zu bitten, zu einem Schuldeingeständnis machen will.

Es muß einmal laut und klar gesagt werden: Es gibt keinen Grund, anzunehmen, daß Safoan das Haus angesteckt hat, es sei denn, man/frau will jenem Rettungssanitäter Glauben schenken, der, nachdem eine Belohnung ausgesetzt war, gehört haben will, daß Safoan sagte: „Wir waren es“. Bei einer genauen Schilderung der Szene bricht aber auch dieser schwache Verdacht sofort zusammen. Es war, laut Aussagen von in dem Wagen Mitfahrenden, viel zu laut, um einen solchen Satz von Sätzen wie „Wer war es?“ oder „Sie waren es“ zu unterscheiden.

Im Gegensatz dazu fehlt völlig jedes Motiv des Beschuldigten. Wie die Flüchtlinge immer wieder betonen, gab es im Haus keinen Streit, weder zwischen Safoan und seinem Vater, noch zwischen ihm und afrikanischen Mitbewohnern, auch eine Frau, die Safoans Werben ablehnte, wie sich der „Stern“ in Manier einer anderen Zeitung zusammendichtete, hat es nicht gegeben.

Da es aber kein Motiv gibt, bliebe als letzte Möglichkeit, warum Safoan zum Täter hätte werden können, nur eine Geistesstörung, und auch diese kann ausgeschlossen werden, da es keinerlei Anzeichen dafür gab und gibt. Auch stünde diese Version im krassen Gegensatz zu dem unbestrittenen Fakt, daß der Verdächtigte bei Ausbruch des Brandes im vierten Stock des Hauses im Bett lag.

Dagegen gibt es ein Motiv der Staatsanwaltschaft, möglicherweise einen Unschuldigen für eine rassistische Tat in den Knast zu stecken, nämlich diese seltsame Mischung aus Lokalpatriotismus und latent schlechtem eigenen Gewissen, die wohl alle aus den Tagen nach dem dritten spektakulären Brandanschlag in Lübeck noch im Ohr haben: „Zum Glück war es kein Deutscher (keiner von uns)“.

Wer bisher geneigt war anzunehmen, daß selbst in Deutschland die Sorge um das Ansehen einer Stadt und damit eventuell verbundene Einnahmeeinbußen im Fremdenverkehr geringer bewertet würde als monatelange Haft für ein höchstwahrscheinlich unschuldiges Opfer eines Brandanschlages, muß sich wohl nun eines schlechteren belehren lassen. Es sieht sehr danach aus, daß sich Justiz, Politik, Medien und Öffentlichkeit einig sind, diese Sache jetzt, koste es was es wolle (es sind ja schließlich nicht „unsere“ Kosten), durchzuziehen. Ohne jetzt gleich ins „anti-deutsche“ Lager wechseln zu wollen, bleibt festzustellen, daß dieser Fall in der Tat in dieses düstere Weltbild am besten paßt.


Deshalb war die Lübecker Demo wichtig, und es war ein Erfolg, daß sie stattgefunden hat. Mit 800 TeilnehmerInnen war sie für den Anlaß viel zu klein, aber immerhin ging es ja nicht darum, Betroffenheit zu zeigen, sondern auf eine Schweinerei unseres (?!) Staates aufmerksam zu machen. Enttäuschend war vor allem die geringe Beteiligung von LübeckerInnen, ein Großteil der zumeist autonom/antirassistischen DemonstrantInnen kam von außerhalb (aus Kiel auch nur ca. 30). Auch die PassantInnen zeigten sich eher gelangweilt bis genervt als interessiert, Neuigkeiten zu erfahren. Als treffendster Demospruch verdient es „Zerschlagt die Kumpanei von Nazis, Staat und Polizei“ festgehalten zu werden.

Unerfreulich war der Streit zwischen den VeranstalterInnen, dem Hamburger Antirassistischen Infotelefon und dem Lübecker Bündnis gegen Rassismus, der zu einem Redeverbot für die LübeckerInnen führte. Ihnen wurde vorgeworfen, in einem eigenen Aufrufplakat im Zusammenhang mit dem Brand von „Chancen für eine bundesweite Diskussion über das unmenschliche Asylrecht“ gesprochen zu haben und die Verfolgung des Lübecker Bürgermeisters Boutellier aufgrund seiner mutigen Äußerungen nach dem Brand mit der Verfolgung von Safoan, der immerhin wegen Mordes angeklagt werden soll, gleichgesetzt zu haben. Nun kann dazu, auch ohne das Plakat selbst gesehen zu haben, gesagt werden, daß dies sicherlich frag- und kritikwürdige Argumentationslinien sind, aber um einen Bruch in einer solchen Situation zu rechtfertigen, reichen die Vorwürfe nicht aus. Den HamburgerInnen muß im Gegenteil der Vorwurf gemacht werden, die eigene radikale Pose über die Sache gestellt zu haben. Das auf der Demo verteilte Flugblatt der LübeckerInnen war jedenfalls über jeden Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihrer Bemühungen erhaben.

Provokationen vonseiten der Polizei blieben aus, offensichtlich sollte die Demo ohne Zwischenfälle ablaufen, um sie nicht weiter beachten zu müssen. Es wird schwierig werden, gegen Vorverurteilung, Nachrichtensperre und öffentliches Desinteresse das nach Lage der Dinge einzig richtige durchzusetzen: „Freiheit für Safoan Eid!“. Packen wir es trotzdem an. (AL)