Von Rindern und Menschen

Hysterie oder ernstzunehmende Gefahr? Eine geheimnisvolle Seuche bewegt derzeit die deutschen Gemüter - oder dreht ihnen den Magen um. Bei den Fachleuten heißt sie „Bovine Spongiforme Enzephalopathie“ (Hirnschwamm beim Rind, BSE), in der öffentlichen Diskussion kurz und prägnant „Rinderwahn“. Ähnlich wie bei AIDS tauchte die Rinderkrankheit Mitte der 80er Jahre plötzlich auf und verbreitete sich seit etwa 1990 epidemieartig. Ihr Erreger ist weitgehend unbekannt und noch gruseliger als das AIDS-Virus: Einige Mikrobiologen spekulieren, daß es sich gar nicht um ein Virus, sondern um ein aus den Fugen geratenes körpereigenes Protein handelt, ein sog. „Prion“, das, unbemerkt vom Immunsystem, die Nervenzellen in Hirn und Rückenmark mit einer Eiweißablagerung überzieht und so abtötet. Waren bisher nur Rinder und mit dem BSE verwandten „Scrapie“-Erreger infizierte Schafe betroffen, so schwappte nun die alarmierende Nachricht über den englischen Kanal aufs Festland, daß die Seuche möglicherweise direkt auf den Menschen übertragbar ist und bei diesem die Symptome der ebenso seltenen wie seltsamen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK) hervorruft. Freilich, nichts Genaues weiß mensch nicht, die Fachleute warnen oder wiegeln ab, die Politik ist ratlos, die Verbraucher in Panik.

Abwarten, bis klar ist, ob die zu 100% letale Rinderkrankheit auch den Menschen befällt oder nicht, wollte Helmut Zipner nicht. Als im Sommer 1994 die ersten Mutmaßungen über BSE und seine Übertragbarkeit auf den Menschen laut wurden, reagierte er sofort. Als Chef der Kantine im Landeshaus nahm er jegliches Rindfleischprodukt von der Speisekarte. Diese mutige Initiative des Vorsichtigen wurde in kurzer Zeit zum Politikum und Zipner geriet in die Mühlen der politischen Lobbyarbeit. Rindfleisch aus deutschen, bzw. schleswig-holsteinischen Landen frisch auf den Tisch sei nicht betroffen, tönten Lobbyisten der Bauernverbände ebenso wie eingefleischte Liebhaber des Tierleichenverzehrs, insofern sei Zipners Aktion die eines aufgescheuchten Panikmachers. Das CDU-Bundestagsmitglied Helmut Lamp schrieb Zipner einen zynischen Brief, worin er ihn der „ideologischen Verbohrtheit“ und der Inkonsequenz zieh, à la: auch andere Nahrungsmittel sind bedenklich, warum also die „Überreaktion“ bei Rindfleisch? Zipners Küchenpersonal wurde angepflaumt, wann es denn „mal wieder ein richtiges Steak“ gebe. Zipner selbst wurde verdonnert, anläßlich eines von CDU- und FDP-Landtagsabgeordneten anberaumten Presseessens zum Wohle des und Werbung für das Rindfleisch aus dem Land zwischen den Meeren Rouladen für die hungrigen Mäuler der Journaille zuzubereiten, einen Einschüchterungsversuch, den er selbst als „Rouladen-Vergewaltigung“ bezeichnet.

Zipner schlug zurück, auf seine Art: Er wollte es wissen, informierte sich, trat in Dialog mit kritischen Veterinärmedizinerinnen wie den Doctores Köster-Lösche und Herbst, deren letztere ebenfalls massiven Anfeindungen bis hin zur fristlosen Kündigung ausgesetzt war, nachdem sie den BSE-Verdacht bei einigen schleswig-holsteinischen Rindern aktenkundig gemacht hatte. Innerhalb kurzer Zeit wurde Zipner zum BSE-Experten und gern gesehenen Gast in Talk Shows. Derweil gingen die Versuche weiter, den Kantinenwirt, der sein Engagement als „Sprachrohr für den Verbraucher“ sieht, mundtot zu machen. Im Frühjahr ’95 gab der Don Quichotte gegen die Rindfleisch-Lobbyisten vorerst auf, weil, so Zipner, „nicht ein sachliches Gespräch mit Politikern über BSE“ mehr möglich war. Er kündigte den Pachtvertrag für die Landeshauskantine, nachdem er infolge des Stresses um sein Engagement schwer erkrankt war. Seine Kochtöpfe stehen jetzt in der Kantine des Frauenministeriums in der Kieler Gartenstraße.

Dort bleibt Zipner seinen Prinzipien treu und betätigt sich weiter als Warner vor dem leichtfertigen Umgang mit einer Seuche, deren Ausmaß das von AIDS bei weitem übertreffen kann. Die offenbare Ursache für den Sprung des Scrapie-Erregers auf das Rind ist die Verfütterung von Tiermehl aus Schlachtabfällen von Schafen. Obwohl in Großbritannien schon seit 1988 die Verfütterung von Tiermehl an Wiederkäuer verboten ist, wurde weiter Tiermehl produziert - und wahrscheinlich auch weiter gefüttert. Noch 1990 gelangten 6.000 Tonnen britisches Tiermehl, vermutlich über Holland oder Frankreich, nach Schleswig-Holstein. Der Verbleib dieses Tiermehls ist ungeklärt. Gegen Zipners und seiner Mitstreiterinnen, Dr. Köster-Lösche und Dr. Herbst, Versuche, herauszubekommen, wo das Tiermehl verfüttert wurde, mauerten die zuständigen Stellen. Den Beteuerungen der PolitikerInnen, daß nicht ein deutsches Rind mit britischem Tiermehl gefüttert wurde und somit deutsche Rinderbestände BSE-frei seien, glaubt Zipner jedenfalls nicht. Gewißheit, daß deutsches Rindfleisch unbedenklich sei, könne es nicht geben, meint Zipner, außer man kenne nicht nur die genaue Herkunft des Fleisches, sondern auch die Füttermethoden vor Ort. Für die VerbraucherInnen sei ein solcher Nachvollzug jedoch kaum möglich. Wer in seiner Fleischerei oder im Supermarkt nachfrage, erhalte als Antwort meist nur ein Achselzucken - oder eben nicht unbedingt verlässliche Beteuerungen.

Inzwischen hat Helmut Zipner wieder Rindfleisch auf dem Speiseplan, allerdings von Rindern, die eigens für ihn auf einem Biohof aufgezogen werden und deren Ernährung er regelmäßig in eigener Person überprüft. Das Problem ist für den Aktivisten an der Fleischfront damit indes nicht gelöst, denn so verantwortungsvoll wie er verhalten sich nur wenige Kantinenwirte, die in Deutschland täglich 13 Mio. Hungrige verköstigen. Zudem sei BSE nur eine von vielen Gefahren, die im industriell und zur Profitmaximierung produzierten Fleisch stecken. Die zahlreichen Skandale von gespritztem Schweinefleisch bis hin zu weiter ungeklärten Erzeugerwegen sprächen Bände, und meist werde nur die Spitze des Eisbergs sichtbar. Da kann mensch sich nur wünschen, daß jemand wie Helmut Zipner weiterhin den Mut hat, sich für eine gesunde und ökologisch verträgliche Ernährung zu engagieren, und daß es von seiner Sorte noch ein paar mehr geben möge, die sich von wirtschaftshörigen Lobby-PolitikerInnen nicht einschüchtern lassen.

(jm)