Internationale Kommission gebildet

Lübeck: Safwan Eid noch immer in Haft

Von der Öffentlichkeit viel zu wenig beachtet, braut sich in Lübeck ein gewaltiger Skandal zusammen. Obwohl in den Ermittlungen um den Brandanschlag vom Januar ein Konstrukt der Staatsanwaltschaft nach dem anderen zusammenbricht, hält diese hartnäckig an der Behauptung fest, der inhaftierte Libanese Safwan Eid, selbst Opfer des Anschlags, sei der Täter. Gedeckt wird das unglaubliche Vorgehen der staatlichen Verfolger durch die Gerichte. Am 26.4. wurde die Haftbeschwerde der Verteidigung zurückgewiesen.

Safwan bleibt in Haft, obwohl inzwischen erhebliche Zweifel an der Beschreibung des Tathergangs seitens der Ermittler besteht. Ihr wesentliches Argument, einen Anschlag auszuschließen, war bisher, daß der Brand im Inneren des Hauses im ersten Stock ausgebrochen und das Haus verschlossen gewesen sei, so daß niemand hätte herein kommen können.

Nun hat die Begehung mit dem unabhängigen Sachverständigen Professor Achilles ergeben, daß der angegebene Ort nicht als Brandherd in Frage kommt. Der geringe Verbrennungsgrad an dieser Stelle des Hauses spricht dagegen. Augenfälligster Gegenbeweis ist eine unversehrte Rolle Toilettenpapier, die im zweiten Stock direkt über dem angeblichen Brandherd noch heute an der Wand hängt, wie Safwans Verteidiger in der Haftbeschwerde feststellen.

Die Verteidiger gehen aufgrund der Aktenlage eher davon aus, daß der Brand in einem hölzernen Vorbau, möglicherweise aber auch an drei Punkten gleichzeitig ausgebrochen ist.

Unterdessen hat sich auch herausgestellt, daß es in diesem Vorbau ein Fenster ohne Verriegelung gegeben hat, das durch einfachen Druck von Außen zu öffnen gewesen ist. Ein Eindringen ins Haus ist also ohne weiteres möglich gewesen. Daß die Staatsanwaltschaft trotz wiederholter schikanöser Verhöre der Überlebenden nicht auf diese Tatsache gekommen ist, ist ein kleiner Skandal im Skandal.

Zu den vielen Ungereimtheiten des staatsanwaltschaftlichen Theoriegebäudes gehören auch die Todesumstände des Heimbewohners Sylvio A. Die staatlichen Ermittler können bisher weder erklären, was ist mit den dünnen Draht auf sich hat, der um die Leiche gewickelt war, noch weshalb die Obduktion keine wesentliche Rauchgaseinatmung nachweisen konnte.

Der Haftrichter hielt es übrigens nicht einmal für nötig, sich mit den Argumenten der Verteidigung auseinanderzusetzen. Er schmetterte die Beschwerde ohne weitere Begründung ab. Auch die Abgabe der Zuständigkeit an einen Jugendrichter wurde abgelehnt, die vorgelegten Dokumente, die das Alter des Beschuldigten mit 20 angeben, müßten erst auf ihre Echtheit hin überprüft werden.

Die Unhaltbarkeit des Vorgehens der Lübecker Justiz erregt inzwischen auch im Ausland Aufmerksamkeit. Am 23.4. wurde in Lübeck die Bildung einer Internationalen Unabhängigen Kommission bekanntgegeben, der Beate Klarsfeld (Paris), Christian Bruschi (Rechtsanwalt, Marseille), Geoffrey Bindman (Rechtsanwalt, London), Mario Angelelli (Rechtsanwalt, Rom), Angiolo Gracci (Rechtsanwalt Florenz), Prof. Gaetano (Rechtsanwalt, Mailand), Arturo Salerni (Rechtsanwalt, Rom) und Felicia Langer (Rechtsanwältin, z.Zt. Tübingen) angehören. Die Mitglieder sind ihren Ländern zumeist durch ihr Engagement für Emigranten bekannt. Beate Klarsfeld hat sich nicht nur durch die Ohrfeige für den KZ-Baumeister und Bundeskanzler Kiesinger einen Namen gemacht, sondern auch durch die Verfolgung von Nazi-Verbrechern. Felicia Langer verteidigte in Jerusalem lange Zeit Palästinenser aus den besetzten Gebieten. Wir geben nebenstehend die Gründungserklärung der Kommission wieder.

(wop)



 

Erklärung der internationalen Unabhängigen Kommission

1. Wir gehören zu den Menschen in Europa, die mehr und mehr alarmiert sind von den Nachrichten, die aus Deutschland kommen. Wir fragen uns, wie kann es möglich sein, daß in Deutschland Ausländer angegriffen werden, daß wieder Synagogen brennen und daß Flüchtlingsheime angezündet werden. Nun hören wir, daß die Staatsanwaltschaft (in Lübeck, nach dem schrecklichen Feuer im Januar, wo zehn Menschen den Tod fanden) die Brandstifter und Mörder nicht mehr bei den Rassisten und anderen fremdenfeindlichen Gruppen sucht, sondern eine Person verhaftet hat, deren Familie selbst bedroht ist. Wir sind beunruhigt von ähnlichen Nachrichten in anderen Orten.

2. Die letzten Nachrichten, die uns in unseren Ländern aus Lübeck erreichten, waren, daß eine Nachrichtensperre verhängt wurde und daß Zeugen der Brandanschläge die Abschiebung aus der Bundesrepublik droht. Wenn Zeugen unter solchen Drohungen stehen, wird die Aufgabe, den Fall aufzuklären, untergraben.

3. Aus all diesen Gründen haben wir es auf uns genommen, als eine Internationale Unabhängige Kommission die Tätigkeit der Ermittlungsbehörden in Lübeck zu beobachten, selbst dem Herausfinden der Wahrheit zu helfen und dazu auch nach Lübeck zu kommen. Wir sehen darin ein übereinstimmendes Interesse der Menschen in unseren Ländern und der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, die ihr Land nicht in ein Dunkel versinken lassen wollen, in welchem eine furchtbare Vergangenheit wieder lebendig zu werden droht.

Konstituierende Sitzung, Lübeck, den 22.4.1996