Das Ende der Universität?

Rosa-grüner Sparwahn bedroht die Universität

Jeder Pharmazeut und jede Pharmazeutin kennt die „Rote Liste“, ein dickes Buch mit den Namen von Medikamenten. Seit der letzten Semesterwoche vor den Ferien jedoch bedeutet die „Rote Liste“ für die zukünftigen ApothekerInnen etwas ganz anderes: Ihr Institut soll vollständig dichtgemacht werden. Und nicht nur dieses Institut. Auf der vom Rektorat der Uni Kiel vorgeschlagenen „Roten Liste“ zur Schließung bzw. Reduzierung (wir berichteten in den letzten „Lokalberichten“) stehen insgesamt 19 Institute, darunter auch so renommierliche wie das für Psychologie.


Dieser Vorstoß der Uni-Leitung beruht auf der Maßgabe der neuen rosa-grünen Landesregierung, daß in den nächsten 5 Jahren jährlich 2% (insgesamt 250 = 10%) der Stellen an der Uni in einen sog. „Innovationspool“ fließen sollen. Das heißt, diese Stellen werden in den jeweiligen Fachbereichen ersteinmal gestrichen, um sie später in „zukunftsträchtigen“ Bereichen der Uni, so nennt es der Koalitionsvertrag zwischen SPD und Bündnisgrünen und meint damit z.B. die Ökosystemforschung, wieder einzurichten. Wann dieses „später“ sein wird, steht in den Sternen. Da es im Koalitionsvertrag ferner heißt, daß „auch geprüft werden“ müsse, „ob nicht weniger zukunftsträchtige oder weniger nachgefragte Studiengänge und Einrichtungen aufgegeben werden müssen“, liegt die Vermutung nahe, daß ein Großteil der 250 Stellen vollständig dem Rotstift zum Opfer fällt. Hinzu kommen weitere 40 sog. „kw-Stellen“, die nach deren Vakanz ohnehin nicht wiederbesetzt werden.

Ein derart tiefer Einschnitt, so das Uni-Rektorat, sei durch eine „horizontale“ Ausdünnung von Stellen an den Instituten nicht mehr zu bewerkstelligen, sondern nur noch durch die „vertikale“ Streichung ganzer Institute bzw. Fachbereiche. Sechs Kriterien legten Rektorat und Senat ihrem so entstandenen Kürzungskatalog zugrunde: Geschlossen werden sollen Institute, die wenig mit anderen Fachbereichen verknüpft sind, bei denen die Nachfrage an Studienplätzen gering ist, die wenig AbsolventInnen hervorbringen bzw. wenn deren Berufschancen nach dem Studium schlecht sind, die wenig Drittmittel einwerben oder bei denen Möglichkeiten zur Zusammenlegung mit anderen Fachbereichen bestehen. Unklar bleibt, wenn man sich die herausgekommene „Rote Liste“ ansieht, ob nur ein Kriterium zutreffen muß oder alle. Hier hüllt sich die Uni-Leitung einstweilen in Schweigen.

Zunächst schien es allerdings, daß die Uni-Leitung mit einer derart drakonischen Maßnahme quasi nur einen Testballon starten wollte, um der Landesregierung zu demonstrieren, welche Folgen die Durchsetzung ihres Sparwahns an der Uni hätte, nämlich letztendlich den Tod der Universität auf Raten. Daß das national und international sehr gut angesehene Psychologische Institut geschlossen werden sollte ebenso wie die Phonetik, ein Fachbereich mit einem der höchsten Anteile von Drittmitteln aus der Industrie, wies darauf hin, daß es die Uni-Gremien mit ihrem Vorschlag nicht so ganz ernst meinten. Inzwischen zeichnet sich aber immer mehr ab, daß das Kabinett auf seiner Sitzung am 9. September, wenn der Haushaltsentwurf 1997 beschlossen wird, dazu applaudieren wird, also der Testballon sich in einen Sparüberflieger verwandelt.

Eine ganz besondere Würze erhält das Sparunternehmen, das der Senat der Uni am 2. oder 5. September (der Termin steht noch nicht genau fest) endgültig beschließen soll, wenn man nachzählt, wieviele Stellen der Kürzungsvorschlag des Uni-Rektorats bringt: ca. 130, sprich nur etwa die Hälfte dessen, was nach den Vorstellungen der Landesregierung eingespart werden soll. Also ist 1997 oder 1998 mit einem weiteren „Testballon“ zu rechnen.

Daß die „Sozial“demokraten nicht nur im Bildungsbereich die Bonner Koalition beim Sozialabbau rechts überholen wollen, ohne sie einzuholen, ist ebenso bekannt wie Heide Simonis‘ Ruf als stahlharte Sparkommissarin. Die grünen Koalitionspartner sind nicht viel besser, wenn sie auch dafür plädieren, statt 2% nur 1% der Stellen dem Sparpool zuzuführen. Bei einem derartigem Kahlschlag fragt man sich jedoch, ob der Sicherheitsdienst für den „Standort Schleswig-Holstein“ noch ganz bei Trost ist. Wie will man „blühende Landschaften“ zwischen Nord- und Ostsee schaffen, wenn man dem „Standortfaktor“ Know-How durch schleichende Ausblutung der einzigen Universität im Lande den Todesstoß versetzt? Ferner müßte den zuständigen Staatssekretären bekannt sein, daß an den seit Jahren mit Unterkapazitäten (auf jeden Studienplatz kommen im Bundesdurchschnitt zwei Studis) kämpfenden Unis nicht eine einzige Stelle mehr gestrichen werden dürfte, daß vielmehr Ausbau und Erweiterung angesagt sind, soll Deutschland auch als „Wissenschaftsstandort“ gerettet werden. Freilich, wenn man, so wie die SPD, Politik nur noch als Institution versteht, die den ökonomischen Begehrlichkeiten sklavisch dient, dann ist es nicht verwunderlich, daß man auch kein Institut für Soziologie (soll ebenfalls geschlossen werden) mehr braucht, das u.a. ja auch erforscht, wie das Zusammenleben der Menschen human und gerecht zu gestalten sei. Derartige Forschung ist aus Sicht der Landesregierung offenbar nicht mehr notwendig, da sie sich ja ohnehin der Förderung der Barbarei in Gestalt des Manchester-Kapitalismus verschrieben hat.

Erster Protest auf studentischer Seite hat sich trotz der Semesterferien bereits formiert: Die PsychologInnen reagierten sofort und veranstalteten an den letzten Vorlesungstagen auf dem Campus einen phantasievollen „Räumungsverkauf“ samt einem Zeltcamp unter dem Motto „Zelten für den Norden gegen‘s Institute-Morden“. Der AStA verteilte Flugblätter und Bonbons. Auf dem Campus wurden Pamphlete mit ersten Analysen der Situation und Aufrufen zur Solidarität verteilt. Eine Gruppe von studentischen AktivistInnen versucht nun, für Anfang September eine Demo zu organisieren. Dabei baut sie auch auf die Unterstützung des Uni-Rektors Prof. Haensel. Obwohl er letztlich der Urheber des konkreten Streichvorschlags ist, zeigte er in anderen Äußerungen eine deutliche Gegnerschaft zum Kurs der Landesregierung. So sagte er bei seiner Amtseinführung Ende Mai, die Uni sei „nicht nur eine Ausbildungseinrichtung, sondern auch eine Bildungseinrichtung“. Auch, so wurde kolportiert, rechne er auf den studentischen Widerstand gegen die Sparpläne des Landes.

Ob mit der geplanten Demonstration „Das Ende der Universität“ (Titel eines Flugblatts) abzuwenden ist, wird sich daran entscheiden, wieviele Studis den Weg aus den Ferien zurück an die Uni finden, um zu protestieren. Sind es zu wenige, könnte ihr Institut schon abgewickelt sein, wenn das Wintersemester im Oktober beginnt.

(jm)