Veranstaltung zum Antikriegstag:

Die „neue Hanse“ - Friedliche Kooperation oder aggressive Großraumwirtschaft?

Der „norddeutsche Landespolitiker“ Ekkehard Klug (FDP) forderte 1994 eine „zunehmende Kooperation im Ostseeraum. Der Beitritt der skandinavischen Länder zur Europäischen Union und die Anbindung der ostmitteleuropäischen und osteuropäischen Staaten an den europäischen Wirtschaftsraum eröffnen den Weg zu einer noch intensiveren Zusammenarbeit rund um die Ostsee. Analog zum Brüsseler Mittelmeerprogramm sollte die Gemeinschaft ein Ostseeprogramm entwickeln“, um „die partnerschaftlichen Beziehungen zu allen Ostseeanrainerstaaten zu vertiefen, die Infrastrukturen etwa im Bereich der Verkehrswege auszubauen und nicht zuletzt (...) auch die historisch verwurzelten kulturellen Verbindungen und Wechselbeziehungen in dieser Region noch stärker in das Bewußtsein der heute lebenden Menschen zu rücken. (...) Wenn rund um die Küsten der Ostsee herum die Erkenntnis wächst, daß alle Beteiligten allein durch eine verstärkte friedliche und gleichberechtigte Zusammenarbeit Vorteile erlangen können, (...) dann wird vom Mare Balticum für das neue Europa, das nach der Epochenwende 1989 im Werden ist, ein wichtiger ’Katalysatoreffekt‘ ausgehen können. Die Ostseeregion wäre dann auf unserem jahrzehntelang geteilten Kontinent gleichsam das positive Gegenstück zum Krisenherd auf dem Balkan.“(1)
 


Was es hier „klug zu verkaufen“ und in das „Bewußtsein der Menschen zu rücken“ gilt, hatte der ehemalige Ministerpräsident Engholm 1992 vorgedacht: „Die europäischen Großregionen werden sich nicht mehr allein nach nationalstaatlichen Grenzen richten. Wollte man mit dem Begriff an Vergangenes anknüpfen, dann hieße eine der neuen europäischen Großregionen ’Hanseraum‘. (...) Hanse steht für innere Freiheiten und so etwas wie patriarchalische Demokratie in den Hansestädten; für die Vereinheitlichung von Handels- und Rechtsnormen rund um die Ostsee; für, wenn man so sagen will, internationale Arbeitsteilung, also für das Prinzip des Weltmarktes. (...) Wenn also heute von einer ’neuen Hanse‘ die Rede ist, dann geht es nicht um die Renaissance des nordischen Bauchnabels, sondern um norddeuropäische Zusammenarbeit auf höchstmöglichem Niveau innerhalb des arbeitsteiligen Weltmarktes.“(2)

Aber was war dann die alte „Hanse“ zwischen dem 13. und 17. Jahrhundert? War nicht vielmehr „das große Werk der Städtegründungen im Ostseegebiet (...) im Dienste dieses Planes: dem deutschen Kaufmann das Monopol im Handel zwischen den östlichen Rohstoffländern und dem wichtigsten Erzeugungsgebiet hochwertiger Fertigwaren zu verschaffen“?(3) Und wären diese Städtegründungen nicht gerade ohne die blutigen Kreuzzüge des Deutschherrenordens gegen die baltischen Prußenstämme, die an ihre Naturgötter glaubten und nicht an den „einzig wahren Christengott“, undenkbar gewesen?

Im ausgehenden 20. Jahrhundert gehört Deutschland bei allen Ostseeanrainern zu den drei wichtigsten Handelspartnern. Die vier größten Handelsströme (Ex- und Importe) des Ostseeraumes zieht Deutschland auf sich.(4) Für die Landesregierung bedeutet die „Leitidee der Ostseekooperation“ den Ausbau dieser jetzigen Vormachtstellung: So „trägt die Wiederbelebung der Wirtschaftsregion Ostsee zu einer Neuverteilung des Verkehrs und der Handelsströme bei, die es durch eigene Anstrengungen zugunsten des Landes zu beeinflussen gilt“.(5) Durch die „Neuorientierung des Außenhandels wickeln die Mittel- und osteuropäischen Staaten, die sog. ’Übergangsländer‘, heute fast alle zwischen 45% und 65% ihres Außenhandels mit der EU ab. Lediglich Lettland und Litauen tun sich mit der Abkopplung von der russischen Wirtschaft noch schwer, die in beiden Fällen der dominierende Außenhandelspartner, wenn auch mit Abwärtstrend, geblieben ist“, berichtet die Bertelsmann-Stiftung.(6) Die Regierungschefs der Ostseestaaten drängten auf dem Ostseegipfel in Visby/Schweden im Mai diesen Jahres nun  auf die „rasche Verwirklichung einer die baltischen Staaten umfassenden Freihandelszone.“(7)

Das Aufbrechen der bestehenden Wirtschaftszusammenhänge und der Ansätze innerer Märkte ist ein Ziel dieser Hansestrategie. Ein Ziel, daß Deutschland zum Vorreiter der Zerstückelung Jugoslawiens machte. Daß dieses nicht ohne Konflikte auch im Ostseeraum ablaufen könnte, muß auch die WEU geahnt haben. Sie schlug vor, ein Hanse-Corps, eine „ständige Einsatztruppe Ostsee einzurichten, die zur Verhütung regionaler Konflikte beitragen soll, um den Baltischen Staaten dabei zu helfen, ihrem Ziel, der weiteren Integration in WEU und NATO und deren Kommandostrukturen schneller näher zu kommen. Und verstärkten Schutz vor einem russischen Nachbarn zu gewähren, der in der jetzigen Zeit unberechenbar geworden“ sei und der „diesen nach Freiheit strebenden Ländern besondere  Schwierigkeiten“ mache.(8)

Zu diesen Fragen hat die AG „Kommunistische Politik von unten“ in und bei der PDS S.-H. zwei Veranstaltungen vorbereitet. Am 31.8., 10-18 Uhr wird in der Pumpe (Haßstr. 22) ein Seminar stattfinden. Als Referenten werden erwartet: Helmut Schröder vom Bürokollektiv Ulla Jelpke (PDS/MdB) sowie der europa- und sicherheitspolitische Sprecher der PDS-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern, Gregor Putensen.

Eine Materialmappe, die die Zielsetzungen deutscher Europastrategien im „Mare Balticum“ („Ostseekooperation und Hansetradition“) zu dokumentieren versucht, kann beim Landesbüro der PDS, Kirchenweg 53, 24143 Kiel, Tel.: 0431/737701, FAX: 0431/737704 bestellt werden.

Für den Antikriegstag ’96, am 1. September, 16 Uhr wird es eine Diskussionsveranstaltung ebenfalls in der Pumpe geben, bei der in erster Linie Linke aus den Ländern, die von der expansiven EU-Politik betroffen sind, zu Wort kommen sollen. Als Referent wird ein Vertreter von der Zwiazek Komunistow Polskich „Proletariat“/Bund polnischer Kommunisten erwartet. Ferner wird noch versucht, ein(e) VertreterIn von der Rot-Grünen Einheitliste Dänemarks für das Podium zu gewinnen. Die Veranstaltung unterstützen folgende Organisationen und Einzelpersonen: Avanti - Projekt undogmatische Linke, LAG Europa, Frieden und Außenpolitik von Bündnis 90/Die GRÜNEN, der schleswig-holsteinische Landesverband der DFG/VK, der Bezirksvorstand der DKP S.-H. und Detlef Matthiessen (MdL, Bündnis 90/Die GRÜNEN).

(rua)

Quellen:
(1) „Mare Balticum 1994“.
(2) Björn Engholm: „Im Norden des neuen Europa - eine neue Hanse“, in „Informationen der Handwerkskammer Hamburg“ 10/92.
(3) Prof. F. Rörig, Uni Kiel, 1933.
(4) „Mare Balticum 1995“.
(5) Bericht über die Ostseeaktivitäten der Landesregierung S.-H. 1996, Kiel, 18.6.1996.
(6) „Mittel- und Osteuropa auf dem Weg in die Europäische Union - Bericht zum Stand der Integrationsfähigkeit, Strategien für Europa“, Verlag Bertelsmannstiftung 1995.
(7) Gipfeltreffen der Ostseestaaten 1996 in Visby/Schweden, Erklärung der Präsidentschaft, 4.5.1996.
(8) „Das Parlament“ 15.12.95)