Streiks im Einzelhandel - Es geht um „Normalarbeitstage“

Die sonst übliche „Sommerpause“ ist im HBV-Bereich Einzelhandel ausgefallen. Die Streiks dauern seit der ersten Juli-Woche an. In der Sendung „Markt im Dritten“ (N3-Fernsehen) wurde von der Demonstration Einzelhandelsbeschäftigter durch die Hamburger Innenstadt berichtet. Der Landesbezirksleiter der HBV sagte dort, Streiks in diesem Ausmaß seien im Einzelhandel bisher einmalig.

Eine vollständige Bilanz der Streiks ist noch nicht möglich, und es ist zu erwarten, daß die Beteiligung noch steigt. In Hamburg und Schleswig-Holstein begann es Anfang Juli mit 15 SB-Warenhäusern und rd. 1.100 streikenden Beschäftigten. Vor den Verhandlungen am 19. Juli in Hamburg gab es wieder Streiks in den Kaufhäusern der Hamburger „Mönkebergstraße“. In Kiel konnte Hertie am langen Donnerstag erst um 11 Uhr mit Notbesetzung öffnen. Im Norden wurde auch am ersten Montag des Sommerschlußverkaufs gestreikt, in Kiel im Warenhaus PLAZA (coop) - in Schleswig-Holstein gibt es seit dem 8. Juli keinen neuen Verhandlungstermin.
 

In NRW waren am 1. August 49 Aldi-Filialen wegen Streik geschlossen. Am 2. August wurden Karstadt, Horten und Interspar bestreikt. Dort sind die Verhandlungen nach der 5. Runde gescheitert. Zum Redaktionsschluß am 5. August tagt dort die große Tarifkommission. Am langen Samstag zuvor waren rund 2.000 Beschäftigte im Streik.

In Berlin sind die Verhandlungen vom 1. August auf den 20.8. vertagt worden. Dort waren bis dahin 26 Warnstreiks und 7 Vollstreiks. Am langen Samstag streikten im KADEWE rd. 350 Beschäftigte.

An folgenden Terminen finden in den Ländern die nächsten Verhandlungen statt: Mo, 5.8.: Rheinland-Pfalz, Di, 6.8.: Bayern, Mi, 7.8.: Mecklenburg-Vorpommern, Mo, 12.8.: Saarland, Mi, 14.8.: Hamburg, Di, 20.8.: Berlin, Mo, 16.9.: Baden-Würtemberg.

Im wesentlichen geht es dabei längst nicht mehr um den Gehaltstarifvertrag, sondern um die Bedingungen für Arbeitszeiten nach dem neuen Ladenschlußgesetz. (Die Manteltarifverträge sind auch gekündigt und laufen Ende ’96 aus.) War er erst gegen eine Änderung des Gesetzes, äußerte sich jetzt der Einzelhandelsverband (HDE) bundesweit zuversichtlich, daß es ab November die neuen Öffnungszeiten geben wird. In Kiel z.B. veröffentlichte die Betreibergesellschaft des „Sophienhofes“, daß ab 1. November bis 20 Uhr geöffnet sein wird. Die Verträge der Geschäfte in dem Einkaufszentrum sind per Vertrag verpflichtet, die beschlossenen Öffnungszeiten mitzumachen oder einen Prozentsatz der Miete als „Strafe“ zu zahlen (solche Verträge sind in Einkaufszentren üblich). Die Passage geht direkt in das Kaufhaus Hertie über, früher oder später wird Hertie aus „Konkurrenzgründen“ auch bis 20 Uhr öffnen wollen.

Es ist schon bedeutsam, wenn Einzelhandelsbeschäftigte an den arbeitsreichsten und umasatzstärksten Tagen wie dem langen Samstag und Schlußverkaufsmontag streiken. Das Ausmaß der Streiks zeigt die Bedeutung der Änderungen die auf die Beschäftigten zukommen sollen. Die Gewerkschaften HBV und DAG fordern Zeitzuschläge zwischen 25% und 55% für unsoziale Arbeitszeiten, die aus dem „Normalarbeitstag“ (bzw. den bisherigen Arbeitszeiten) herausfallen - wie sie auch in anderen europäischen Ländern üblich sind. Das wäre nach 18.30 Uhr und samstags insbesondere nach 14 Uhr. Durch diese Zeitzuschläge sollen „attraktive Arbeitszeitsysteme“ vereinbart werden wie z.B. eine 4-Tage-Woche oder Frühschicht/Spätschicht im Wechsel und 14-tägig samstags frei. Wichtig sind auch die Forderungen nach Freistellungen von der Spätschicht in besonderen Lebenslagen: z.B. für Schwangere, Beschäftigte mit schulpflichtigen Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen, Alleinerziehende, Schwerbehinderte. Ferner Ausgleich für längere Heimfahrten und mehr Sicherheit für Beschäftigte auf dem Heimweg. Desweiteren sollen in den Abendstunden immer mindestens zwei Beschäftigte im Geschäft anwesend sein.

Mit diesen Forderungen geht es auch um allgemeine gesellschaftliche Normen. Wenn es gelingt, Abendöffnung bis 20 Uhr und jeden Samstag bis 16 Uhr als Regelarbeitszeit ohne Zuschlag einzuführen, werden auch bald in den anderen Branchen Zuschläge ins Wanken geraten. In der Steuerdiskussion wird ja bereits darüber nachgedacht, die Steuerfreiheit von Sonntagszuschlägen abzuschaffen.

Laut Rundfunknachrichten im NDR vom 3.8. gibt es in Rheinland-Pfalz ein Angebot vom HDE: Zuschlag nach 18.30 Uhr von 18% sowie Ausnahmen von der Abendarbeit bei Schwangeren, Schwerbehinderten und Alleinerziehenden. Ausreichend ist das noch nicht. Beim Gehalt liegt das letzte Angebot bei 1,85%.

Wenn die „Sommerpause“ der anderen Gewerkschaften beendet ist, wäre es gut, wenn auch sie sich äußern und die Forderungen der Einzelhandelskollegen unterstützen würden, denn die Auseinandersetzungen dürften noch einige Zeit andauern.

(brg)