Razzia beim „Lübecker Bündnis gegen Rassismus“

Die Lübecker Staatsanwaltschaft, wegen ihrer Ermittlungen in der Brandsache Hafenstraße in die öffentliche Kritik geraten, schlägt jetzt um sich. Am 24. Juli wurden die Büroräume des „Lübecker Bündnis gegen Rassismus“ von der Polizei aufgebrochen und, zunächst ohne Zeugen, durchsucht. Grundlage war ein richterlicher Durchsuchungsbeschluß, der allerdings schon vom 18. Juli datierte. Vorgeworfen wird dem Bündnis, mit dem Plakat „Safwan ist unschuldig“ den Staatsanwalt Böckenhauer beleidigt zu haben. Außerdem wird wegen des Verdachts der „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“ (§90a STGB) ermittelt. Den Vorwurf stützt der verantwortliche Richter Pohlenz wie folgt: „Im Text des Plakates wird die Forderung erhoben, rassistische Ermittlungen zu beenden. Daneben wird der zuständige Staatsanwalt abgebildet und damit zum Ausdruck gebracht, daß er rassistisch ermittele“ (aus dem Durchsuchungsbeschluß). Beschlagnahmt wurden neben einem Restbestand von Plakaten und Flugblättern insbesondere zwei Computer und zahlreiche CDs und Disketten. Bei dieser Aktion ging es ganz offensichtlich nicht nur um die Suche nach den Druckunterlagen für das inkriminierte Plakat, sondern um einen Angriff auf die Arbeitsfähigkeit einer kritischen Initiative schlechthin. Anders scheint nicht erklärbar, warum die Computer zu einer gründlichen Untersuchung zum Landeskriminalamt nach Kiel verbracht wurden.

Die Beschlagnahme wurde inzwischen richterlich bestätigt und der endgültige Einzug der Computer angedroht. Obwohl dies die Arbeit des Lübecker Bündnisses stark behindert, will es unverändert weitermachen und insbesondere auch an dem Vorwurf der „rassistischen Ermittlungen“ festhalten. Bündnis 90/Die GRÜNEN, ihrem Anspruch nach immer noch v.a. BürgerInnenrechten verpflichtet, mochten sich übrigens auf Nachfrage der „Lokalberichte“-Redaktion nicht zu den Vorgängen gegen das Bündnis äußern, weder die Fraktion im Lübecker Rat, noch die Landtagsfraktion. Letztere gab an, man sei zur Zeit „mit wichtigeren Dingen“ beschäftigt.

Es mutet schon merkwürdig an, wie aktiv die Staatsanwaltschaft auf einmal werden kann, wenn es um den Versuch der Einschüchterung ihrer KritikerInnen geht. Angebrachter wäre dieser Elan allerdings bei der Verfolgung der Spuren, die auf rechtsextreme Täter für den Brandanschlag vom 18. Januar hindeuten. Doch trotz neuer Erkenntnisse werden die Ermittlungen gegen die vier jungen Deutschen aus Grevesmühlen nicht wieder aufgenommen, bleiben die offensichtlichen Lügengeschichten über die Herkunft der Brandspuren, die an ihnen festgestellt wurden (siehe Artikel über Protest der VVN in diesem Heft), unüberprüft.

Spuren, die auf deutsche Neofaschisten als Täter hindeuten, zu ignorieren und gleichzeitig den Flüchtling und Bewohner des Brandhauses Safwan Eid mit einer mehr als dürftig konstruierten Anklage vor Gericht zu zerren - das ist es, was das Lübecker Bündnis zurecht als „rassistische Ermittlungen“ bezeichnen. Egal, was die verantwortlichen Staatsanwälte Schultz und Böckenhauer subjektiv von sich und ihren Absichten denken mögen, objektiv ist ihr Handeln rassistisch. Die Bezeichnung „rassistische Ermittlungen“ als Beleidigung zu verfolgen, ist der mehr als dreiste Versuch, sich unerwünschte Kritik vom Halse zu schaffen. Der Lübecker Staatsanwaltschaft stünde es gut an, endlich mit der selbstkritischen Aufarbeitung ihrer Fehler zu beginnen, anstatt sich quasi als verfolgte Minderheit darzustellen (so geschehen in einem Kommentar der „Lübecker Nachrichten“ vom 25.7., in dem eine Martina Janke-Hansen den Mitgliedern des Lübecker Bündnisses vorwirft, „mit ihrer Fotomontage getan (zu) haben, was sie anprangern: Rassimus in seiner schlimmsten Form“ (!)) und dreist zu leugnen, überhaupt Fehler gemacht zu haben.

Wagenburgmentalität

Die Staatsanwaltschaft hat eine Art Wagenburgmentalität aufgebaut, die nicht nur auf die ermittelnden Staatsanwälte Schultz und Böckenhauer begrenzt ist. So hat der Chef der Lübecker Staatsanwaltschaft, Heinrich Wille, bekannt geworden durch seine Ermittlungen bezüglich des Todes von Uwe Barschel, seinen ins Kreuzfeuer der Kritik geratenen Kollegen Rückendeckung verschafft: In den „Lübecker Nachrichten“ vom 26. Juli nimmt er ausgiebig, aber auch ausgesprochen unkonkret Stellung zur Diskussion um die Ermittlungen. Er behauptet u.a., daß der Staatsanwaltschaft bisher kein Fehler nachgewiesen sei. Damit ignoriert er z.B. die Feststellung der Jugendkammer, daß Safwan eben nicht über Täterwissen verfügte, wie bereits im Januar von den Ermittlern behauptet. Betrachtet Wille eine falsche belastende Behauptung nicht als Fehler, ist eine Gerichtsfeststellung kein Nachweis? Oder versucht Heinrich Wille, seine Kollegen mit wissentlich falschen Darstellungen zu schützen?

Fehlerfreie Ermittlungen?

Eine ganze Reihe von anderen Tatsachen sprechen ebenfalls gegen die Staatsanwälte Wille, Schultz und Böckenhauer und deren ach so fehlerfreie Ermittlungen: Die Bodenplatte der Stelle, an der laut Staatsanwaltschaft das Feuer ausgebrochen sein soll, wird auf den Müll geworfen - mit anderen Worten: der angebliche Tatort ist weg! Die Befragung der tatverdächtigen Nazis zu ihren Versengungen (laut Gutachten haben sich drei der vier Tatverdächtigen höchstens 24 Stunden vor der Untersuchung diese Brandspuren zugezogen) fand erst Monate nach dem Brand statt. Der Tod des Hausbewohners Sylvio A., der laut Gerichtsmedizin nicht durch Rauchgasvergiftung starb, wurde nicht restlos aufgeklärt. Eine andere Todesursache würde im Widerspruch zum staatsanwaltschaftlichen Brandgutachten stehen. An diesem Brandgutachten halten die Ermittler aber weiterhin fest, auch wenn es durch unabhängige Gutachter bereits in wesentlichen Punkten widerlegt ist.

Die Verstrickung eines Belastungszeugen in rechtsextreme Aktivitäten im Jahre 1989 ist durch mindestens zwei Zeugen belegt, aber die Staatsanwaltschaft erklärte öffentlich, daß sie dafür keine Hinweise habe. Widersprüche in den Aussagen des Hauptbelastungszeugen Jens L. belasten nicht seine „uneingeschränkte Glaubwürdigkeit“.

Die Abhörmaßnahmen in Safwans Zelle ergaben, daß er wiederholt seine Unschuld beteuerte, trotzdem sollen die Ergebnisse „den Tatverdacht erhärten“. Heinrich Wille hat in seinem obengenannten Interview selber ausgeführt, daß die Staatsanwaltschaft verpflichtet sei, be- und entlastende Fakten zu sammeln. Alles, was Safwan entlastet, wurde jedoch von seiner Anwältin und den UnterstützerInnengruppen zusammengetragen und veröffentlicht. Die Staatsanwälte beschränkten sich nur darauf, Safwan zu belasten. Genauso einseitig verfuhren sie mit den tatverdächtigen Nazis, nur, daß sie bei diesen alles Entlastende zusammentrugen, die belastenden Fakten aber ignorierten. Wenn Oberstaatsanwalt Wille diese Ermittlungen als korrekt bezeichnet, muß er sich fragen lassen, was er unter „rechtsstaatlichen Ermittlungen“ versteht.

Verfahren gegen Safwan im September!

Das Gericht hat derweil den ersten Prozeßtag gegen Safwan Eid auf den 16. September festgelegt. Zunächst sind zehn Prozeßtage geplant (montags und mittwochs). Damit steht fest, daß die Staatsanwaltschaft mit ihrem Unterfangen durchgekommen ist, trotz der öffentlich gewordenen Skandale Safwan als Beschuldigten in einem Prozeß zu präsentieren.

Soli-Aktionen

Das Lübecker Bündnis benötigt, insbesondere nach dem reppressiven Angriff der Staatsanwaltschaft, dringend Spenden. Allein die bisherige Arbeit hat (ohne die beschlagnahmten Computer) ca. 10.000 DM gekostet. Spendenkonto: Christoph Kleine (Namen unbedingt angeben!), Kto. 566406-201 bei der Postbank HH (BLZ 20010020).

In Kiel ruft Avanti am 20.8., 19.30 Uhr in der Arbeitsloseninitiative Gaarden (Iltisstr. 34) zu einem Vorbereitungstreffen auf, bei dem beraten werden soll, wie die Soli-Arbeit angesichts des Prozeßbeginns gegen Safwan Eid und der staatlichen Repression gegen das Lübecker Bündnis gestaltet werden kann. (jm, nach einem Flugblatt des Lübecker Bündnisses gegen Rassismus)