Tarifstreit im Einzelhandel:

Zensur und Einmischung vom BDA

Die Hintergründe für die Änderung des Ladenschlußgesetzes sollten nach den Äußerungen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) auch für den letzten deutlich werden: Deren Hauptgeschäftsführer Himmelreich hat erklärt, daß seine Organisation einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung des Abschlusses zwischen HDE und Gewerkschaften in Rheinland-Pfalz nicht zustimmen werde. Daß diese Möglichkeit besteht, haben wir in diesem Jahr schon mal erlebt, als der BDA beim Bau die Verbindlichkeit der Vereinbarung eines Mindestlohnes verhinderte.



Wird ein Tarifvertrag nicht allgemeinverbindlich, so gilt er im Prinzip nur für Gewerkschaftsmitglieder bzw. Verbandsmitglieder bei den Firmen. Die Tarifhoheit der Branchen wird so untergraben und einer zentralen Zensur unterzogen. Und das bei einem Tarifvertrag, der wahrlich nicht übertrieben ist

- Zuschläge für alle Beschäftigten (Vollzeit / Teilzeit / geringfügig Beschäftigte oder Aushilfen) von 20% von 18.30 bis 20 Uhr und an Samstagen nach 14 Uhr (bei Öffnung bis 16 Uhr); von 50% Mo. bis Fr. nach 20 Uhr für Zuendebedienen, Kassenabschluß etc. Zuschläge vorrangig in Freizeit.

- Mit der entstandenen Freizeit sollen „attraktive Freizeitsysteme“ vereinbart werden wie 4-Tage-Woche, superlange Wochenenden oder Früh- und Spätschicht im Wechsel.

- Voraussetzung für den Einsatz nach 18.30 und Sa. nach 14 Uhr ist der vorherige Abschluß einer Betriebsvereinbarung oder bei Betrieben ohne Betriebsrat einzelvertragliche Regelung.

- Begrenzung des Einsatzes nach 18.30 Uhr auf dreimal die Woche (wenn keine attraktiven Freizeitsysteme vereinbart sind), und nur an drei Samstagen im Monat.

- Bisherige Pausen dürfen nicht aufgrund der neuen Arbeitszeit verlängert werden.

- Maximale Arbeitszeit pro Tag: 8,5 Std. (sofern keine attraktiven Arbeitszeitsysteme bestehen)

- Gegen Ausweitung der 590 DM-Jobs wurde vereinbart, daß Arbeitgeber und Betriebsrat mindestens einmal im Quartal über die Struktur der Beschäftigten (Vollzeit / Teilzeit / Aushilfen / 590-DM-Jobs) beraten. Dabei ist insbesondere die Entwicklung der 590 DM-Jobs zu erörtern.Die neuen Ladenöffnungszeiten sind im Tarifvertrag festgeschrieben.

- Fällt der 24. Dez. auf einen Sonntag, ist dieser arbeitsfrei.

- Beschäftigte, für die aufgrund dringender persönlicher Gründe eine Arbeit nach 18.30 Uhr nicht zumutbar ist, brauchen auch nicht zu arbeiten, z.B. mit Kindern bis zum vollendeten 15. Lebensjahr, mit pflegebedürftigen Angehörigen, bei der Wahrnehmung öffentlicher Ehrenämter, wenn die Heimfahrt sich mehr als 30 Min. verlängert. Beschäftigte, die sich beruflich oder persönlich weiterbilden sowie Auszubildende an Berufsschultagen sowie an den Tagen davor (mindestens 11 Std. Ruhezeit) sind per Tarifvertrag von der Arbeit nach 18.30 Uhr an den jeweiligen Tagen ausgeschlossen.

- Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 3 Jahren. (Aus hbv-Flugblatt für Rheinland-Pfalz)

Der Streit gehe hauptsächlich um die Zuschläge am Samstag, heißt es in der Presse. Das ist ein Punkt, um den es auch der Wirtschaft und deren Sprechern im BDA geht - sie wollen den Samstag als Regelarbeitszeit ohne Zuschläge. Sie und die Befürworter des neuen Ladenschlußgesetzes haben sich einen Schnellschuß erhofft, mit dem Inkraftsetzen des Gesetzes schon ab November - entgegen den geltenden Manteltarifverträgen - anstatt zum Jahresbeginn ‘97 oder später, so daß in angemessenen Fristen über vertretbare Regelungen im Tarif und in Betriebsvereinbarungen, mit denen alle leben könnten, hätte verhandelt werden können.

Immerhin bedeutet die Änderung der Arbeitszeiten für den größten Teil der 3 Millionen Beschäftigten und ihrer Angehörigen extreme Veränderungen in den Lebensabläufen. Es zeigt eine anmaßende Rücksichtslosigkeit der Herrschenden gegenüber den betroffenen Menschen.

Aber der Schuß geht nicht geradlinig durch. Einige Einzelhandelsvertreter fahren diese Linie mit (siehe Sophienhof), andere fürchten, den Anschluß zu verpassen, wenn vielleicht die Konkurrenz am 1. November bis 20 Uhr öffnet. Und so gibt es erste Vorstöße, in Betrieben den geltenden Manteltarif zu unterlaufen und Betriebsvereinbarungen zu fordern. Das geht von vorsichtigem Anfragen bis Erpressung (entweder mitmachen oder wir müssen entlassen).

In Schleswig-Holstein keine Zuschläge wegen Bäderregelung?

Der beschriebene Abschluß gilt bis Redaktionsschluß nur für Rheinland-Pfalz. Der Vertreter des schleswig-holsteinischen Einzelhandelsverbandes hat sich gegenüber den Kieler Nachrichten geäußert, daß es hier keine Zuschläge geben wird - Begründung: weil hier viele Geschäfte bereits nach der „Bäderregelung“ abends und samstags geöffnet haben.

Dazu kann ich nur sagen: Da sind Zuschläge schon lange fällig. Genaugenommen betrifft es hier nur die Zeit von 18.30 Uhr bis 20 Uhr und Samstagnachmittag. Denn ab 20 Uhr gilt laut Manteltarif in Schleswig-Holstein der Nachtzuschlag von 50%, am Sonntag von 75%.

Wie schon berichtet, gelten in umliegenden europäischen Ländern Zuschläge nach 18 Uhr bzw 18.30 Uhr von 33 bis 70%. Selbst aus Anlaß der Bäderregelung ist eine vorbildliche Betriebsvereinbarung bekannt, in der es 50% für die Arbeit zwischen 18.30 und 20 Uhr gibt, samstags ab 16 Uhr bis 20 Uhr 75%, sonntags 100% und an Feiertagen 125% Zuschlag. Die Gewerkschaften empfehlen allen Betriebsräten, keine Betriebsvereinbarungen abzuschließen, bevor neue Arbeitszeitregelungen im Manteltarifvertrag vereinbart sind.

Das würde gegen geltendes Recht verstoßen. - Die nächsten Verhandlungen sind hier am 21. August. Bis dahin wird auf Streik verzichtet.

(brg)