Verfassungsschutzbericht 1995:

Extreme Gewaltbereitschaft bei Nazi-Skins

Ein hohes Gewaltpotential und steigende Mitgliederzahlen innerhalb der rechtsextrem orientierten Skinhead-Szene in S.-H. stellt der  Ver- fassungsschutzbericht 1995 fest, der am 14.8. dem schleswig-holsteinischen Landtag vorgestellt wurde. Während die 1992 in den Landtag gewählte DVU bei sinkenden Mitgliederzahlen (1992: 2.150, 1995: 900) an politischer Bedeutug verliert und sich auch die NPD, die DLVH, die REPs und sonstige Rechtsextremisten auf Talfahrt befinden und einen Mitgliederschwund um rund 50% verzeichnen mußten, stieg die Zahl der gewaltbereiten Skinheads von 220 im Jahr 1992 auf 340 im letzten Jahr. Wenn auch Skinheads selten Mitglieder rechtsextremer Parteien seien, so hätten letztere jedoch zunehmend die Funktion „geistiger Brandstifter“: Bei Hausdurchsuchungen sei z.T. in großem Umfang Propagandamaterial verschiedener rechtsextremer Gruppierungen gefunden worden, von der DVU über die DLVH bis zur NSDAP/AO.

Zur Anheizung der gewalttätigen Stimmung hätten 1995 34 Skin-Konzerte (gegenüber 20 in 1994) stattgefunden. Bei mindestens 14 dieser Konzerte seien rechtsextreme Straftaten wie das Zeigen des „Hitler-Grußes“ und „Sieg Heil!“-Rufe bekannt geworden. „Die Konzerte dienen den Skinheads als Gesprächsbörse, fördern das Zusammengehörigkeitsgefühl und stärken das Selbstbewußtsein“, heißt es weiter im Bericht. „Nicht selten wird das Unterlaufen staatlicher Verbote thematisiert. Die harten Rhythmen und die gewaltorientierten Texte, deren Inhalte häufig rassistisch begründeter, menschenverachtender Haß gegen Fremde und Verherrlichung nationalsozialistischen Gedankengutes sind, putschen die Skinheads auf und rücken ihr Selbstbildnis vom harten Kämpfer für das deutsche Volk und die weiße Rasse in den Vordergrund. In Verbindung mit Alkohol kommt es dann immer wieder zu Gewalttaten gegen Ausländer oder vermeintliche ’Linke‘.“ Zahlreiche Skin-Konzerte, zu denen Besucher aus Deutschland  an- reisten, hätten auch in Schweden stattgefunden. So sei am 24. Juni ’95 in Göteborg die aus S.-H. stammende Skin-Band „Kraftschlag“ aufgetreten, deren Texte sich hauptsächlich gegen Linke, nicht-weiße Ausländer, Juden und Punks richten. Bemerkenswert seien die andauernden Versuche organisierter Rechtsextremisten, durch den Einstieg in das Skinhead-Musikgeschäft die Szene immer wieder neu zu beleben und zu instrumentalisieren. Bezeichnend dafür seien Äußerungen des Funktionärs der DLVH Manfred Rouhs (Köln), Herausgeber der Zeitschrift „EUROPA VORN“ sowie Produzent und Vertreiber von Skinhead-Musik, „Musik mit populären Rhythmen und kulturbejahenden Texten“ ghettoisiere den Nationalismus nicht, sondern helfe, „seine Basis zu verbreitern“. Sie könne dazu beitragen, „Menschenmassen wenigstens oberflächlich im patriotischen Sinne zu politisieren“ („EUROPA VORN spezial“, Nr. 6/1993).

Die rechtsextrem orientierten Skinheads seien hauptsächlich im Großraum Rendsburg sowie im Süden Schleswig-Holsteins anzutreffen. Insgesamt hat sich die Neonazi-Szene in S.-H. auf dezentrale Einzelaktionen zurückgezogen, ist gewaltgeneigter und unübersichtlicher geworden, zunehmend wird auch parteiübergreifende Zusammenarbeit angestrebt. In der rechtsextremen Jugendkultur spielen Symbole des Nationalsozialismus unverändert eine Rolle. Bei dem Versuch, eine „rechte Einheitsfront“ zu erreichen, habe, so der Bericht weiter, das Selbstverständnis als Fundamentalopposition gegenüber dem freiheitlichen Rechtsstaat inzwischen die v.a. 1994 bedeutsame „Anti-Antifa-Kampagne“ abgelöst.

Der Verfassungsschutzbericht warnt ferner vor einer Eskalation rechtsextremer Gewalt in S.-H. Zwar sei 1995 die Zahl der Anschläge gegenüber dem Vorjahr um die Hälfte zurückgegangen, die Brutalität des Briefbombenanschlags gegen Lübecks stellvertretenden Bürgermeister mache jedoch deutlich, daß kein Grund zur Entwarnung bestehe. Auch ließen die Publikationen von Rechtsextremisten eine zunehmende Aggressivität erkennen. So werde z.B. im 1995 verbreiteten „Deutschen Manifest“ zum bewaffneten Kampf und zur Brandstiftung aufgerufen: „Nun müssen  Asylanten- heime, Aufnahmelager, Ausländerämter, Moscheen, Synagogen etc. brennen. (...) Die Tötung Nichtdeutscher ist nicht unser eigentliches Ziel, wir nehmen sie jedoch billigend in Kauf.“ Mit Genugtuung dokumentiert das „Nationale Info-Telefon S.-H.“ den Briefbombenanschlag von Lübeck: „Nach dem zweiten Briefbombenanschlag zittern die Systempolitiker vor einer Radikalisierung der bundesdeutschen Nationalisten. (...) Je mehr Terror ausgeübt und das System gefährdet wird, desto eher sind die staatlichen Organe zum Einlenken bereit.“

Eine Rolle bei der Organisation einer rechtsextremen Einheitsfront spielt die 1995 als Nachfolgerin der verbotenen FAP gegründete „Norddeutsche Bewegung“ (NDB), die vom ehemaligen FAP-Vorsitzenden André Goertz dominiert wird. Über „Nationale Info-Telefone“ habe sich Goertz von Schleswig-Holstein aus mittlerweile bundesweite Einflußmöglichkeiten auf den Neonazismus verschafft.

Unter den ausländischen rechten Gruppierungen gewann v.a. die islamisch-extremistische AMGT („Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa“) an Gewicht. In den Reden und Schriften dieser der türkischen „Wohlfahrtspartei“ nahestehenden Organisation sind wiederholt antisemitische Äußerungen festgestellt worden. Um Zugriffe auf ihr beträchtliches Vermögen und Immobilienbesitz sowie die Beobachtung durch den  Verfassungs- schutz zu erschweren, habe die AMGT sich im Mai 1995 in zwei Unterorganisationen neu gegliedert, die „Islamische Gemeinschaft - Milli Görüs“ und die „Europäische Moscheebau- und Unterstützungsgemeinschaft“.

(bam)