Bildung als Standortsicherung
 

Nicht nur die Frauenförderung, sondern auch die Standortsicherung ist im rosa-grünen Koalitionsvertrag offenbar eine „Querschnittsaufgabe“. Die GRÜNEN nähern sich nach der SPD nun auch immer mehr neoliberalen Wirtschaftssicherungskonzepten an, denen selbst klassische Aufgaben des Staates wie die Zurverfügungstellung von Bildungsmöglichkeiten und -einrichtungen untergeordnet werden. Daß dies so ist, bedarf keiner Kaffeesatzleserei im Koalitionsvertrag. Hier wird Klartext geredet, allenfalls manchmal mit einem scheinbar fortschrittlichen Mäntelchen behängt.
 

Eine neue Lehrkraft für 78 SchülerInnen

Stellen von in den Ruhestand tretenden LehrerInnen sollen sämtlich neu besetzt werden. Insofern hebt sich der Schulbereich vom sonstigen eisernen Sparwillen in öffentlichen Einrichtungen einigermaßen wohltuend ab. Zusätzlich sollen 450 neue LehrerInnenstellen geschaffen werden. Auch das hört sich nicht schlecht an. Rechnet mensch aber ein, daß bis zum Jahr 2000 mit einem „Schülerberg“ von 35.000 gerechnet wird, macht das 78 neue SchülerInnen auf eine neue Lehrkraft. Zwangsläufig werden somit die Klassen größer, auch wenn noch einmal etwa 500 LehrerInnen aus dem Bestand durch Stundenkürzungen im Unterricht freigesetzt werden. Die Stundenentlastung von älteren LehrerInnen hat dabei auch keinen Platz mehr. Bisher mußten LehrerInnen ab 55 Jahren weniger Stunden geben, welche Regelung jetzt - zum Leidwesen der GRÜNEN - kassiert wurde.

Nach der Gesamtschule in den vergangenen Legislaturperioden (sie darf jetzt auch auf dem Lande, also nicht mehr nur in „Zentralörtlichkeiten“ eingerichtet werden) liegt nun das Schwergewicht auf Grund- und Berufsschulen, immerhin ein Kontrapunkt zum Gymnasialprogramm der Konservativen. Dennoch steht im Vertrag nichts wesentlich Neues über die bisher am meisten vernachlässigte Schulart, die Hauptschule. Auch die freien Schulen (z.B. Waldorfschulen) werden weiterhin stiefmütterlich behandelt.

Die Schulen sollen ferner mehr Autonomie bekommen. Dies erstreckt sich auf die Selbstverwaltung (Drittelparität in den Schulkonferenzen - endlich!) und auf das Budget, das z.T. selbstverwaltet werden soll. Wie so eine Selbstverwaltung im finanziellen Bereich auszusehen hat - nämlich betriebswirtschaftlich, dazu steht einiges mehr im entsprechenden Abschnitt über die Hochschulen (s.u.).

Fazit zur Schulpolitik: Viele nette neue Ansätze, die so neu nicht sind, da seit langem in der Diskussion, weil die Forderung nach einer grundsätzlichen Reform der Bildungspolitik im Schulbereich am weitesten fortgeschritten ist. Jedoch ist die Anzahl, die aus der Forderung „neue Lehrer braucht das Land“ letztlich herausgekommen ist, viel zu niedrig.
 

(Hoch-) Schulen der Wirtschaft

Vermittelt die Schule für die Wirtschaft nicht eins zu eins verwertbare Grund- und Schlüsselqualifikationen, so sieht das bei den Hochschulen anders aus. Das Nachgeben gegenüber den Begehrlichkeiten einer Instrumentalisier- und Verwertbarkeit treten hier im Vertrag offen zutage. Hier lohnt es sich, genauer hinzusehen und den Vertrag beim Wort zu nehmen. Beginnen wir mit der noch am positivsten zu bewertenden Maßnahme, bzw. Unterlassung:

1. Studiengebühren und Zwangsexmatrikulationen sind vom Tisch - vorerst?

„Die Chancengleichheit derjenigen, die studieren wollen, ist zu gewährleisten - deshalb werden Studiengebühren abgelehnt.“ Das ist immerhin eindeutig. Umso mehr sollte mensch die (neuen) Herrschenden darauf festnageln (also Satz ausschneiden und im Portemonnaie immer bei sich tragen), denn wie die aktuellen Beispiele Berlin und Baden-Württemberg zeigen, gibt es immer wieder Bestrebungen, Studiengebühren durch die Hintertür, getarnt als „Verwaltungsgebühren“, einzuführen.

Auch „Prüfungsordnungen, die eine Zwangsexmatrikulation vorsehen, sind nicht genehmigungsfähig“. Fein! Einige Studienordnungen in der Wiso-Fakultät der Kieler Uni dürften damit passé sein. Doch Aufatmen ist nicht unbedingt angesagt, denn die obige frohe Botschaft steht als Anhängsel zu einem Absatz über das „Eckwertepapier“, das den Studis 1994 und 1995 die Pistole auf die Brust setzte. Auf der Basis dieses Papiers (es wird also nicht abgelehnt!) sollen „die Anstrengungen zur Stoffentlastung der Studien- und Prüfungsordnungen fortgesetzt und die Ausbildung an den Hochschulen praxisnäher gestaltet“ werden. Auch fein? Nur auf den ersten Blick, denn was sich hinter „Praxisnähe“ verbirgt, dazu der folgende Punkt.

2. Wissenschaft soll für die Verwertungsinteressen des Kapitals instrumentalisiert und „weniger zukunftsträchtige“ Wissenschaftsansätze sollen abgewickelt werden

Harter Tobak - der aber immer noch gereicht wird, denn die Sachzwang„logik“ des Sparens und Standortsicherns hat auch den rosa-grünen Koala gepackt. Vor einem Jahr kritisierte die linke Hochschulgruppe LiBuLi das neue Landeshochschulgesetz, gegen dessen Verabschiedung es immerhin merkbaren studentischen Protest gegeben hatte, wie folgt: „Die ’wissenschaftliche’ Ausbildung wird zum bloßen ’Zulieferungsbetrieb’ von Fachkräften für die Wirtschaft verkommen. Wissenschaft soll die Herrschenden nicht kritisieren, sie soll ihnen dienen. In einem allgemeinen Klima sozialer Verunsicherung soll so ein Modernisierungsprozeß zugunsten effektiverer Kapitalverwertung (auch des ’Menschenkapitals’) durchgedrückt werden. Die Notwendigkeit des Sparens (an den Hochschulen) entsteht jedoch nicht durch das objektive Fehlen von Mitteln, sondern durch deren ungerechte Verteilung. Es ist nicht zu wenig Geld für die Hochschulen da, sondern man möchte nach kapitallogischen Gesichtspunkten den Betrieb der Hochschulen rationeller, d.h. mit möglichst geringen Kosten, gestalten.“ Das gilt nach wie vor, wie folgende Zitate aus dem Koalitionsvertrag beweisen:

„Die Bewältigung von ökonomischen, ökologischen und sozialen (mensch beachte die Reihenfolge der Attribute!) Aufgaben von Gesellschaft und Wirtschaft, (...) die Schaffung neuer, zukunftsorientierter Arbeitsplätze erfordern leistungsfähige Hochschulen und Forschungseinrichtungen.“ Warum? Damit „Schleswig-Holstein ein zukunftsfähiger Standort (!) für Wirtschaft, Arbeit, Umwelt und Innovation (Reihenfolge!) werden kann.“

Leider ist nun nicht alles, was an der Uni und den FHs forscht, in diesem Sinne besonders „zukunftsträchtig“. Deshalb, so der Vertrag, erfordern „finanzielle Engpässe durch Unterfinanzierung des Bundes (...) sowie unvermeidbare Sparmaßnahmen des Landes Schwerpunktsetzung und Nutzung vorhandener Ressourcen.“ Bei dieser „Schwerpunktsetzung“ werde auch „geprüft werden müssen, ob nicht weniger zukunftsträchtige oder weniger nachgefragte Studiengänge und Einrichtungen aufgegeben werden müssen.“ Im Klartext heißt das: OrientalistInnen, LinguistInnen und dergleichen AnhängerInnen von „Orchideenfächern“ dürfen schon mal vorsorglich die Sachen packen, sie sind nämlich weder „zukunftsträchtig“, noch „nachgefragt“. An der Uni Kiel droht besonders dem Institut für Soziologie eine Abwicklung. Schon seit langem gehören die Soziologiestudis der Philosophischen Fakultät an, während die Professoren zur Wiso-Fakultät gehören. Letztere ist geil auf die beiden Lehrstühle. Wenn in ein paar Jahren die Soziologieprofessoren Clausen und Endruweit in Pension gehen, wird das auf der Tagesordnung stehen, zumal bei „Schwerpunktsetzungen“, wie sie der Koalitionsvertrag vorsieht.

Stattdessen dürfen sich - in aus dem Koalitionsvertrag entnommener Reihenfolge! - folgende WissenschaftlerInnen freuen, sie haben im Schweinsgalopp um den Standortpokal auf das richtige Pferd gesetzt: „Ökosystemforschung, Meeresforschung, Medizinforschung, Biowissenschaften, Mikroelektronik, Mikrosystemtechnik, Materialwissenschaften, Software-Engineering“. „Frauen- und Geschlechterforschung und Friedenswissenschaften“ werden nach einem „sowie“ am Ende der Liste „fortgesetzt“ - willkommen im Katalog der „ferner liefen“! Aber, wir wollen nicht durch Weglassen von am Ende stehenden Absichtserklärungen ungerecht werden: „Dabei soll sich die Wissenschaft auch (!) ihrer sozialen und ökologischen Verantwortung stellen. Fächerübergreifendes Denken und Handeln in Forschung und Lehre ist eine wesentliche Voraussetzung dafür.“ Wissenschaft soll, aber sie muß nicht - oder?

Als ihr besonderes Verdienst loben die Koalitionsgrünen die explizite Förderung von Fachhochschulen, die sie im Koalitionsvertrag festschreiben konnten. An sich nicht schlecht, die hochgeschulte Bildung nicht nur auf die Unis zu konzentrieren. Doch was da steht, spricht erneut Bände des Verwertungsinteresses: „Die Fachhochschulforschung (wo bleibt die Lehre?) ist im Rahmen der personellen Möglichkeiten (also keine neuen DozentInnen!) abzusichern.“ Vielleicht hätte mensch lieber gleich geschrieben: „standortzusichern“, denn: „Sie soll noch stärker in die regionale Wirtschaftsstruktur eingebunden werden, z.B. durch weitere Beteiligungen an Innovations- und Technologiezentren.“ Wie das die verbliebene PH in Flensburg oder die Muthesiusschule zu verstehen haben, möge sich nach Vorangegangenem jede(r) selbst ausmalen.

3. Mehr Autonomie und Demokratie an den Hochschulen?

„Die Hochschulen müssen mehr Möglichkeiten erhalten, ihre Angelegenheiten eigenverantwortlich zu regeln.“ Das heißt, sie dürfen jetzt ihr Geld weitgehender selbstverwalten. Aber, wer hätte es nicht schon geahnt: im Rahmen von „Budgetierung und Globalisierung von Hochschulhaushalten“, die „gezielt erweitert werden“. Das heißt - wie uns der Vertrag dankenswerterweise erläutert - streng unternehmerisch gedacht: „Einbeziehung von Personalausgaben in die Deckungsfähigkeit, Einführung betriebswirtschaftlicher Kosten- und Leistungsrechnung, Controlling, leistungsabhängige Mittelzuweisung unter Einbeziehung der Leistungen in der Lehre.“ Zu dieser Art der wirtschaftshörigen Selbstverwaltung gehört auch ein weiterer Klopfer im Personalbereich: „Die Hochschul-Personalstruktur ist aufgabengerechter und leistungsorientiert zu gestalten, neue Formen der Beschäftigungsverhältnisse (z.B. Teilzeitprofessuren, Angestellte statt Beamte, eigenständige Tarifverträge (!) für den Hochschulbereich, Arbeitszeitkonten (!!), Berufung auf Zeit) sind zu entwickeln.“ Klartext: In den Hochschulen wird die Entwicklung eines 2. Arbeitsmarktes vorangetrieben, mit (natürlich niedrigeren) Sondertarifen für Lehrende. Sozialdumping pur!

Zur „Teilhabe“ (es heißt wohl bewußt nicht „Mitbestimmung“, schon gar nicht „Selbstbestimmung“!) von Studis an der Entscheidungsfindung an den Hochschulen orakelt der Koala wahrhaft sibyllinisch, denn „zwischen einer gestärkten Entscheidungsfähigkeit der Hochschulorgane und einer verbesserten Teilhabe der Hochschulmitglieder in den Gremien besteht ein Spannungsverhältnis.“ Sieh an, wer hätte das gedacht. Aufgelöst, zugunsten zumindest einer Drittelparität in den Gremien, wird dieses „Spannungsverhältnis“ freilich nicht. Stattdessen will mensch „die Bundesratsinitiative zur Änderung des Hochschulrahmenrechts durch eine Experimentierklausel unterstützen.“ Wir dürfen also in Zukunft „mehr Demokratie wagen“, aber eben nur experimentell.
 

Fazit: Vor diesem Hintergrund der Hochschule als Vorreiterin der Standortsicherung nehmen sich die paar halbherzigen Errungenschaften und Verbesserungen äußerst bescheiden aus. Nennen wollen wir sie trotzdem stichpunktartig, nicht zuletzt, damit mensch sie in der Zukunft des rot-grünen Standort-Chaos massiv einklagen kann, denn das wird eine der wichtigsten Aufgaben von Linken an der Uni in den nächsten vier Jahren sein: Vorrang von Frauen bei der Stellen- und Mittelvergabe, Verbesserung der sozialen Standards an den Hochschulen (behindertengerechter Umbau von Hochschulgebäuden, Kinderbetreuung für Studierende mit Kind, Bau von Studi-Wohnheimen), Vorbildfunktion von Hochschulen bei ökologischen Standards (Einführung von Umweltbeauftragten).

(jm)