Arbeit nur für SozialhilfeempfängerInnen?

Zum arbeitsmarktpolitischen Teil des Koalitionsvertrags

In unserer lockeren Folge einer Kritik des Koalitionsvertrages von SPD und B 90/GRÜNE setzen wir uns in dieser Ausgabe mit dem Kapitel über die zukünftige Arbeitsmarktpolitik der rosa-grünen Regierung auseinander.

Der Koalitionsvertrag verknüpft die Arbeitsmarktpolitik eng mit der Wirtschaftspolitik des Landes. Dies wird schon an der Überschrift des 1. Kapitels deutlich: „Die Wirtschaftskraft stärken und zukunftsfähige Arbeitsplätze schaffen“. Im Abschnitt 1.2, „Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik“, heißt es dann zur Definition der vorrangigen Aufgabe unter Punkt 1: „Die Sicherung bestehender und die Schaffung neuer Arbeitsplätze sowie die Bekämpfung vorhandener Arbeitslosigkeit bleiben der Schwerpunkt der schleswig-holsteinischen Landesregierung.“ Und: „Das Konzept aktiver Arbeitsmarktpolitik verbindet sozialintegrative Ansätze mit wirtschaftsnaher Beschäftigungsförderung.“

Soweit die Absichtserklärung zu dieser „Querschnittsaufgabe“. Abgesehen davon, daß dieser Anspruch mit dem dann aufgeführten Maßnahmekatalog nur partiell kompatibel ist, muß schon hier eines kritisch hinterfragt werden: Wie sollen „sozialintegrative Ansätze“ mit einer „wirtschaftsnahen Beschäftigungsförderung“ in Einklang gebracht werden, wenn mensch bedenkt, daß gerade zur Zeit die Wirtschaft und ihre Lobby auf Deregulierungskonzepten beharren, die nicht auf eine soziale Integration von Arbeitslosen zielen, sondern im Gegenteil auf Ausgrenzung und Spaltung der Gesellschaft? Diese Frage deutet schon den wesentlichen Kritikpunkt an der rosa-grünen Arbeitsmarktpolitik an, nämlich daß sie nicht als eigenständige Aufgabe begriffen wird, sondern lediglich als flankierender Teil einer Wirtschaftspolitik für den strukturschwachen Raum Schleswig-Holstein, bei der die Erfordernisse der Wirtschaft eindeutig im Vordergrund stehen. Doch zunächst zu den geplanten Maßnahmen im einzelnen:

„Gütesiegel Beschäftigungswirksamkeit“

Noch am ehesten nachvollziehbar ist die „Verzahnung von Arbeitsmarkt und Beschäftigungspolitik“ unter Punkt 2: Subventionen für die Wirtschaft will das Land nur noch vergeben, wenn sie „meßbar im Sinne eines 'Gütesiegels Beschäftigungswirksamkeit'„ an die Sicherung vorhandener oder Schaffung neuer Arbeitsplätze gekoppelt sind. Was in diesem Sinne „meßbar“ ist, bleibt dabei allerdings im Dunkeln. Es soll hierzu ein „Raster für Qualitätsstandards“ entwickelt werden. Im Prinzip ist die Richtung richtig, nämlich staatliche Förderungen für die Wirtschaft nur noch dann zu vergeben, wenn sich die Mittel auch arbeitsmarktpolitisch positiv auswirken. Jedoch wird sich diese Absicht mit den Innovationsprogrammen beißen. Die Förderung von innovativen Wirtschaftszweigen im Dienstleistungsbereich ist ebenso Absicht der Regierung. Gerade diese Wirtschaftsbereiche sind jedoch viel weniger beschäftigungsintensiv als die „klassischen“ Bereiche Handwerk und Industrie.

ASH - alter Hut mit neuer Krempe

Hauptzielrichtung der rosa-grünen Arbeitsmarktpolitik ist weiterhin die Förderung „besonders benachteiligter Zielgruppen“. Dazu wird nach wie vor auf das Programm „Arbeit für Schleswig-Holstein“ (ASH, aktuell in der Version III) gesetzt. Dieses Programm wurde schon im sozialdemokratischen „Regierungsprogramm“ als das Mittel zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit hochgelobt - und wir haben es in einer früheren Ausgabe der „Lokalberichte“ (Nr. 6/96) bereits kritisiert. Hauptkritikpunkt war damals, und dieser bleibt bestehen, daß ASH ausschließlich für solche Arbeitslose Förderung bietet, die bereits seit langem aus dem Arbeitsmarkt herausgefallen sind (Langzeitarbeitslose, SozialhilfeempfängerInnen, sog. „Schwervermittelbare“) oder, wie z.B. Jugendliche, gar nicht erst am Arbeitsmarkt Fuß fassen konnten.

Freilich ist eine Förderung dieser Gruppen nicht verkehrt, wenn auch gerade bei der Kritik des ASH III deutlich wurde (vgl. Ausgabe 6/96), daß es sich lediglich um eine Lastenumverteilung von der von den Kommunen zu bezahlenden Sozialhilfe zurück an das Bundesamt für Arbeit, also den Bund, handelt und daß ASH III im wesentlichen dazu dient, die „stille Reserve“ des „Mülls“ auf dem Arbeitsmarkt gelegentlich „durchzuschütteln“, in der Hoffnung, es werde noch das ein oder andere Weizenkorn aus der Spreu herausgesiebt.

Was jedoch fehlt, wenn mensch ein Programm für die absoluten Underdogs des Arbeitsmarktes als arbeitsmarktpolitisches Allheilmittel verkauft, ist eine Arbeitsmarktpolitik für diejenigen, die gerade erst aus dem Arbeitsprozeß ausgeschieden sind oder denen Entlassungen unmittelbar bevorstehen. Diese Gruppen bilden den weitaus größten Teil der Arbeitslosen - noch. Um in den Förderungsrahmen von ASH III zu fallen, müssen sie erst die gesamte „Karriere“ des sozialen Abstiegs eines/r Arbeitslosen durchlaufen haben, erst dann wird ihnen ansatzweise geholfen.

Ein weiterer Kritikpunkt am Programm ASH war, und auch der bleibt bestehen, daß ASH dazu tendiert, einen zweiten Niedriglohnarbeitsmarkt auf Dauer zu institutionalisieren. Besonders fatal ist dies, weil die Förderung von ASH III sich auf bisher schlecht bezahlte gesellschaftliche Reproduktionsarbeit im sozialen und ökologischen Bereich kapriziert. Auch hier gilt wieder: Daß diese Bereiche gefördert werden, daß mehr Arbeitsplätze im lange benachteiligten Segment gesellschaftlich sinnvoller Arbeit geschaffen werden, ist zu begrüßen. Wie sie gefördert werden, nämlich mit Tendenz zur festen Installation eines Niedriglohnbereichs, ist zu kritisieren.

Fazit: ASH soll mit nur geringen, kosmetischen Änderungen fortgeführt werden. Als nachhaltig wirksames arbeitsmarktpolitisches Instrument kann es nicht gelten.

Arbeitslose, macht euch selbständig!

Wenn mensch Arbeitslosen schon keine Arbeitsplätze anbieten kann, dann müssen die sich eben selber welche schaffen, durch Existenzgründungen. Selbige will das Land fördern, dies einerseits im Rahmen von ASH durch eine „Kombination mit anderen Förderungsmöglichkeiten (Arbeitsförderung, EU-Mittel, Existenzgründungsförderung, Ausgleichsabgabe etc.)“. Ferner sollen „Existenzgründungen im Rahmen bestehender Unternehmen nicht ausgeschlossen werden.“, was wohl bedeutet, daß (nach dem Muster der Übernahme maroder volkseigener Betriebe in den neuen Bundesländern durch die MitarbeiterInnen?) bei der Gefahr einer Unternehmensschließung die MitarbeiterInnen die Möglichkeit erhalten sollen, den Betrieb oder Segmente desselben in eigener Regie fortzuführen. Überdies soll in einem 11-Punkte-Programm der Landesregierung zum „Bündnis für Arbeit“ eine Förderung von Existenzgründung aus Arbeitslosigkeit heraus stattfinden. Keine durchweg schlechten Ansätze, jedoch ist auch diesem Maßnahmekatalog anzumerken, daß übergreifende Konzepte fehlen.

Arbeitszeitverkürzung

Trotz aller Kritik: ein paar Bonbons enthält der arbeitmarktpolitische Teil des Koalitionsvertrags dennoch. So wurde jetzt endlich Arbeitszeitverkürzung als Mittel zur Ankurbelung des Arbeitsmarktes festgeschrieben, wenn auch nur als Absichtserklärung: „Die Landesregierung setzt sich für eine Arbeitszeitpolitik ein, die Erwerbsarbeit gerechter verteilt.“ (Punkt 11). Dies soll zunächst im öffentlichen Dienst, also beim Arbeitgeber Land und Kommunen selbst, durchgesetzt werden. Bedenkt mensch Heide Simonis Auftreten als „Sparkommissarin“ in der letzten Legislaturperiode, in der konträr zu diesem Ansatz eine Verlängerung der Arbeitszeit von BeamtInnen eingeführt wurde, so hat jetzt offenbar eine Kehrtwende stattgefunden - wenn es denn nicht nur bei der Absicht bleibt.

Positiv zu bewerten ist auch, daß sich die Landesregierung „im Bundesrat für die grundsätzliche Abschaffung versicherungsfreier Beschäftigungsverhältnisse einsetzen“ will. Zudem will sie als Arbeitgeberin selbst keine geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse mehr begründen und auch keine Aufträge an Unternehmen geben, die solche betreiben. Zu hoffen ist dabei, daß die bestehenden geringfügigen oder versicherungsfreien Bschäftigungsverhältnisse des Landes (z.B. wissenschaftliche Hilfskräfte an den Hochschulen) in abgesicherte umgewandelt und nicht einfach nur gestrichen werden. Schließlich werden sich auch die Arbeitsloseninitiativen freuen. Ihre Arbeit wird über das Jahr 1996 hinaus weiter gefördert.

Fazit:

Die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Arbeitsmarktpolitik enthält einige positive Ansätze. Ein nachhaltiges Programm zur Beseitigung oder zumindest Reduzierung der Arbeitslosigkeit ist aber nicht erkennbar. Die Förderung von „Problemgruppen“ wie Langzeitarbeitslosen und arbeitslosen Jugendlichen birgt für diese einige Vorteile, wenn auch die Gefahr besteht, daß sie dauerhaft auf einen 2. Niedriglohnarbeitsmarkt abgeschoben werden. „Normale“ Arbeitslose bleiben weitgehend im Regen stehen, sie werden lediglich auf die Möglichkeit einer „Selbständigkeit aus Not“ verwiesen. Ob an den nachhaltigeren Ansätzen einer Arbeitszeitverkürzung nicht nur im öffentlichen Dienst weitergearbeitet wird, bleibt abzuwarten. Der Koalitionsvertrag tendiert in seinem arbeitsmarktpolitischen Teil immerhin in diese Richtung. Hier gilt es, Druck auf die Landesregierung auszuüben und die Realisierung der Absicht einzufordern.

(jm)