„Innere Sicherheit“ gewährleisten - durch mehr Polizeipräsenz

Bemerkungen zum rosa-grünen Koalitionsvertrag

Wohl nicht von ungefähr beginnt der Abschnitt „Innere Sicherheit“ des Koalitionsvertrages mit einem Abschnitt „Allgemeine Grundsätze“, in dem es, wie so oft in den letzten Jahren, nicht näher definiert, aber wirkungsvoll, heißt: „... das Ausmaß und die Formen, die die Kriminalität angenommen hat, ...“ Dieser Satz zielt auf das in den letzten Jahren vor allem von SicherheitspolitikerInnen verbreitete „Wissen“ über die angeblich stark gestiegene Kriminalität. Dies einmal für Schleswig-Holstein zu untersuchen, wäre sicherlich sinnvoll, kann jedoch an dieser Stelle nicht geleistet werden. Verschiedene Untersuchungen konnten im Gegensatz zu den Äußerungen der SicherheitspolitikerInnen eine überproportionale Steigerung von Gewaltkriminalität in der BRD bisher nicht feststellen. So schreibt Jürgen Korell in den Politischen Berichten Nr. 24/94: „Demnach (Anm.: der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik (Tatverdächtigenstatistik, keine Verurteiltenstatistik)) wurden 1993 im Vergleich zum Vorjahr 140 000 Fälle mehr registriert. Verschwiegen wurde dabei jedoch, daß es sich in 90 Prozent der Fälle um Bagatelldelikte wie Schwarzfahren oder Ladendiebstahl unter 100 DM handelte. Bleiben diese Bagatelldelikte unberücksichtigt, gab es angesichts des Bevölkerungszuwachses bereits 1993 einen Rückgang um 0.9 %.“ In einem Aufsatz von Eberhard Seidel-Pielen und Klaus Farin in den Blättern für deutsche und internationale Politik wird u.a. festgestellt, daß sich der Anteil der Gewaltkriminalität an der Gesamtkriminalität zwischen 1975 (2,75%) und 1993 (2,38%) nur geringfügig geändert, in der Tendenz eher verringert hat.

Nicht vergessen werden sollte, daß auch eine Verschärfung beispielsweise der Ausländer- und Asylgesetzgebung unvermeidlich zur Steigerung der Registrierung von „Tatverdächtigen“ geführt hat. Gemeint sind Verstöße gegen diese restriktiven Gesetze, wie z.B. die durch die Verschärfung des Asylrechts notwendigerweise gestiegene Zahl hier illegal lebender Menschen, die sich auch in der Kriminalitätsstatistik niederschlagen.

Das Geschreie von der gestiegenen Kriminalität diente bisher vor allem dazu, schärfere Gesetze durchzusetzen und BürgerInnenrechte einzuschränken. Unter diesem Gesichtspunkt sollte auch in den nächsten Jahren die Innenpolitik in Schleswig-Holstein beobachtet werden.

Zwar wird im Koalitionsvertrag festgestellt, daß gesellschaftliche Rahmenbedingungen und die Gesamtentwicklung der Kriminalität in engem Zusammenhang stehen. Trotzdem wird mehrfach erwähnt, daß in erster Linie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Polizei und Justiz für die Erhaltung der inneren Sicherheit zuständig seien und „eine positiv motivierte, gut ausgebildete und modern ausgestattete Polizei die beste Voraussetzung für eine erfolgreiche Kriminalitätsbekämpfung sei.

So gerät denn auch der Absatz zur nicht-polizeilichen Prävention recht kurz. Diese soll von den seit 1990 existierenden und weiter auszubauenden regionalen Präventionsräten geleistet werden. Diese werden wohl kaum dazu in der Lage sein, die gesellschaftlichen und sozialen Bedingungen, die Gewalt und Gewaltverhältnisse zulassen(1), zu ändern.

Um so mehr Platz wird im Koalitionsvertrag der Motivierung der Polizei z.B. durch Abbau von Beförderungsstaus eingeräumt. Gefordert wird eine Entlastung der Polizei z.B. von Büroroutine, um eine verbesserte Präsenz, auch in Zivil, auf der Straße zu gewährleisten.

Mehr Zivile auf der Straße - das bewirkt wohl kaum mehr Sicherheit (2), jedoch - vor allem im Zusammenhang mit dem Einsatz moderner Technologien und der gleichzeitigen Vermischung von Straverfolgung und Prävention - mehr Bespitzelung des Einzelnen.

Schließlich handelt es sich bei Prävention ja immer um eben nicht Tatverdächtige sondern um, in den Augen der Polizei, möglicherweise Tatverdächtige, die dann beobachtet werden.

Positiv anzumerken ist, daß geprüft werden soll, ob die Identifizierung von PolizeibeamtInnen durch Namensschilder und / oder Dienstnummern schrittweise ermöglicht werden kann. Leider ist dies sehr vage formuliert. Da dies in Abstimmung mit den Betroffenen - also den PolizeibeamtInnen - erfolgen soll, sind die Chancen, daß dieses positive Ansinnen, welches eine alte Forderung der Bürgerrechtsbewegung erfüllen würde, durchgesetzt wird, wohl nicht so rosig.

Wohl eine Konsequenz aus den Polizeiskandalen in Hamburg, Bremen und anderen Städten ist die Vereinbarung, daß PolizeibeamtInnen in sozialer und kommunikativer Kompetenz ausgebildet werden sollen, daß im Rahmen von Fortbildungsmaßnahmen Supervision, Rhetorik, Kommunikations- und Verhandlungstraining angeboten werden sollen.

Gespannt sein können wir darauf, wieweit die schleswig-holsteinische Landesregierung sich, wie im Koalitionsvertrag festgelegt, für die Beibehaltung des Trennungsgebots von Polizei und Geheimdiensten einsetzen wird. Schließlich ist diese Trennung durch das „Verbrechensbekämpfungsgesetz“ von 1994 beispielsweise durch umfangreiche Informationsweitergabe zwischen BND, Verfassungsschutz, Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden quasi bereits aufgehoben worden. Auch Europol und dem neuen BKA- Gesetz darf die Landesregierung nicht zustimmen, ist es ihr mit dem Trennungsgebot ernst, was zu begrüßen wäre. (Rote Hilfe, Ortsgruppe Kiel)

Anmerkungen:

(1) „... Gängigen Erklärungsmustern, die einen „Verfall von Moral und Sitten“ ins Feld führen, erteilten alle Redner der Konferenz (Anm: Konferenz über Kinder- und Jugendkriminalität im Juni in Berlin) eine scharfe Absage. Der Bielefelder Jugendforscher Wilhelm Heitmeyer vertrat die These, daß die auffälligen Jugendlichen die Ideale der „marktradikalen Gesellschaft“ nicht ablehnten, sondern im Gegenteil übererfüllten. Der Kriminologe Pfeiffer verwies darauf, daß mit dem Zusammenbruch der DDR auch deren Jugendkultur zusammengebrochen sei. Hätten die Jugendlichen zu DDR-Zeiten noch in festen Gruppen leidlich untertauchen können, seien sie jetzt „dem extremen Streß der individuellen Selbstbehauptung „ ausgesetzt. Dieser verschärfe sich durch die Erfahrung von Arbeitslosigkeit und Armut und münde in einer Perspektivlosigkeit, aus der Gewalt und Straftaten erwüchsen. ...“ FR, 22.6.96

(2) „... Bei der unmittelbaren Kriminalitätsverhütung und -bekämpfung sieht die Bilanz ebenfalls eher mager aus. Da die deutsche Forschung auf diesem Gebiet bislang unverständlicherweise immer noch in den Kinderschuhen steckt, ist man zwangsläufig auf angloamerikanische Studien angewiesen,.... Eine Vielzahl dieser Studien belegt, daß Streifengänge oder -fahrten nahezu ohne Auswirkungen auf die reale Kriminalitätsbelastung bleiben: So wurden etwa Anfang der siebziger Jahre im 'Kansas City Preventive Patrol Experiment' die Ergebnisse in 15 Streifenbezirken ausgewertet. Während in einigen Bezirken die Streifen erhöht und z.T. sogar verdreifacht wurden (Proaktive Bezirke), wurden sie in anderen völlig eingestellt. Die Beamten wurden hier nur auf Anforderung tätig (Reaktive Bezirke). In der dritten Gruppe hielt man die Streifentätigkeit im vorherigen Umfang aufrecht (Kontrollbezirke). Nach Ablauf eines Jahres wurden die Ergebnisse miteinander verglichen. Dabei stellte sich heraus, daß sich sowohl die registrierte Kriminalität wie auch das Sicherheitsgefühl der BürgerInnen in den verschiedenen Bezirken nicht sonderlich verändert hatte (...). Feltes nennt hier für die (Alt)Bundesrepublik ähnliche Werte: ... Die direkte Wahrnehmung (und Verfolgung) durch PolizistInnen von Straftaten gilt gar als „absolute Ausnahme“. Auch dies deckt sich mit amerikanischen Untersuchungen, wonach sich StreifenbeamtInnen nur ca. alle 14 Jahre die Chance bietet, unmittelbar in einen Straßenraub eingreifen zu können. ...“ aus: Polizeiliche Streifentätigkeit - mehr grün auf der Straße, Otto Diederichs, in: Cilip 51.