Pseudowissenschaftliche Rabulistik

Im hohen Norden der Vereinigten Staaten, in Alaska, hat das US-Militär Großes vor. Auf einer Fläche von 20 Hektar entsteht ein Antennenwald, mit dem umfangreiche und wahrscheinlich räumlich wie zeitlich weitreichende Experimente mit der Ionosphäre angestellt werden sollen. Dem Ganzen hat man den sinnigen Namen HAARP gegeben, was wie „harp“ ausgesprochen wird und auf Deutsch Harfe meint. Die Abkürzung steht für „Hochfrequenz-Aktiv-Aurora-Forschungsprojekt“. Mit 340 Antennen sollen energiereiche Impulse in die höhere Atmosphäre geschickt werden, erste Testläufe haben bereits begonnen.

Die Ionosphäre ist jene Schicht der Erdatmosphäre, in der der besonders kurzwellige, d.h. hochenergetische Anteil der Sonnenstrahlung Gas-Moleküle aufbricht und einzelne Elektronen derart anregt, daß sie sich von den Atomen lösen. Es entsteht ein Gemisch aus freien Elektronen und positiven Ionen, daher der Name. Diese in ihrem oberen Bereich sehr heiße Sphäre beginnt in Höhen von ca. 70 bis 80 Kilometer, d.h. in etwa oberhalb der Stratosphäre, die die schützende Ozonschicht enthält. Wie die Ozonschicht ist auch die Ionosphäre wichtiger Bestandteil jenes komplexen Schildes, der uns und alles Leben auf dem Planeten weitestgehende Sicherheit vor den schädlichen Bestandteilen der kosmischen und der Sonnenstrahlung bietet.

Daher ist es naheliegend, daß einigen mulmig bei dem Gedanken wird, an diesem Schutzschild könnte herumgespielt werden. US-Umweltschützer schlagen folgerichtig Alarm. Die amerikanischen Journalisten Jeanne Manning und Nick Begich haben die Geschichte des Experiments recherchiert und kritische Techniker und Wissenschaftler befragt. Was dabei herauskam, liegt seit dem Herbst unter dem Titel „Löcher am Himmel“ auch auf Deutsch vor.

Schweres Geschütz fahren die Autoren gegen die „Himmels-Harfe“ der Militärs auf, doch leider haben sie vergessen, es zu laden. Mit der Beeinflussung der Ionosphäre könnten, so Manning und Begich, „das globale Wettergeschehen manipuliert, Ökosysteme beeinträchtigt, elektronische Kommunikationssysteme ausgeschaltet und unser emotionales Befinden und unsere Geistesverfassung verändert werden“. Mutmaßungen, die auf den ersten Blick abwegig erscheinen, aber - nimmt man einmal die Wetterbeeinflussung aus - einen realen Hintergrund haben könnten.

Doch zu dessen Erhellung wird in dem Buch wenig beigetragen. Naturwissenschaftliche Erklärungen, die die Befürchtungen untermauern würden, wird der Leser vergebens suchen. Irgendwie erahnt man das schon, wenn uns die Autoren des Vorworts, Patrick und Gael Crystal Flanagan, bereits auf den ersten Seiten mitteilen, sie hätten vor 37 Jahren eine Telepathiemaschine erfunden und zum Patent angemeldet. Gleich eine Seite weiter erfahren wir, daß das Erdmagnetfeld bis in die Stratosphäre reicht, die demnach zumindest zur Nachtzeit nicht in ca. 80 Kilometer Höhe enden, sondern bis über den Mond hinaus reichen müßte. Außerdem wird uns eröffnet, daß die Polkappen am Abschmelzen sind, was die internationale Gemeinde der Klimaforscher sehr erstaunen dürfte, und daß die Sonneneinstrahlung über atmosphärische „Fenster“ im Infrarotbereich reguliert wird. Da kann man doch glatt sämtliche meteorologische Lehrbücher ins Altpapier geben, die uns weiß machen wollen, daß diese „Fenster“ die Wärme-Abstrahlung der Erde steuern.

Das alles, wie gesagt, schon auf den ersten fünf Seiten. Im eigentlichen Text geht es dann ähnlich seriös weiter: Z.B. erfahren wir, daß Nikola Tesla, ein wichtiger amerikanischer Forscher und Entwickler auf dem Gebiet der Elektrizitätslehre, in keinem Lehrbuch erwähnt werde. Was den Autoren und ihren deutschen Übersetzern bei 2001 entgangen ist, ist die unbedeutende Tatsache, daß im international (außer in den USA) verwendeten System der Maßeinheiten (SI-Einheiten) ein Tesla die Einheit für die Magnetfeldstärke ist, nachzulesen unter anderem in „Physics“, erschienen bei John Willey & Sons in New York.

Weiter erfahren wir, daß ein gewisser John Hutchinson die „Anti-Schwerkraft“ entdeckt hat, was natürlich auch in den Lehrbüchern unterdrückt wird. Und schließlich erklärt uns noch ein Elektroingenieur, daß „winzige, superschnelle Teilchen“ das natürliche Gleichgewicht aus den Bahnen werfen und die Erde mit Erdbeben und Vulkanausbrüchen überziehen können
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Dergleichen je nach Standpunkt ärgerlicher oder amüsanter Fehler und Absurditäten lassen sich noch eine ganze Reihe auflisten, was dem ungeduldigen Leser erspart bleiben soll. Fazit: Wer sich über HAARP und seine möglichen Folgen informieren will, sollte nicht zu diesem Buch greifen. Wer hingegen Interesse an pseudowissenschaftlicher Rabulistik im allgemeinen und esoterischem Gaia-Schmalz im besonderen hat, ist mit diesem Werk gut bedient. (wop)

Jeanne Manning und Nick Begich, „Löcher am Himmel“, 2001, 361 Seiten.