Sudan: Der rätselhafte Krieg

Im Sudan redet das diktatorische Regime der Nationalen Islamischen Front (NIF), das im Juni 1989 die demokratisch gewählte Regierung gestürzt hatte, mal wieder davon, es wolle einen Dialog mit der Opposition führen. Zweck sei, ein Friedensabkommen zu schließen. Amin Banani von der NIF äußerte diese Absicht gegenüber der Presse und meinte, er unterstütze sehr die Bestrebungen, das Mehrparteiensystem im Lande wieder herzustellen. Dies sei erst zu erreichen, wenn ein Versöhnungsabkommen mit den Oppositionsgruppen (!!?) unterschrieben würde. (newsdesk in cdp: headlines 6.1.97).

Wer einigermaßen in den Diskurs der NIF eingeweiht ist, weiß, daß es diesen Leuten nicht an Frechheit mangelt. Was ist davon zu halten, wenn ausgerechnet die NIF von Frieden und Versöhnung spricht?

Der Frieden ist für den Sudan eine 42 Jahre alte Schicksalsfrage, denn der heutige Krieg stellt eine Fortführung und Weiterentwicklung des Krieges dar, der 1955 - ein Jahr vor der Unabhängigkeit von Großbritannien - begann. Im Gegensatz zu der durch die internationalen Medien verbreiteten Meinung ist er im wesentlichen nicht religiös motiviert. „Der Bürgerkrieg ist nicht primär ein Krieg um Macht, Ressourcen oder Religion, er ist mehr als das: ein erbittertes Ringen um Selbstbestimmung verschiedener religiös-kultureller Gruppen und Völker, die (noch?) keine Nation bilden.“ (R. Tezlaff, Staatswerdung im Sudan, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg). Eine Beschreibung, die der Realität im Sudan recht nahe kommt.

Die tatsächlichen Ursachen dieses Krieges sind in der politischen Struktur zu suchen. Die Briten, besorgt, daß ihre Interessen in Gefahr geraten könnten, sorgten dafür, daß nach der Unabhängigkeit die Macht in vertrauten Händen liegen würde. Schon früh stärkten sie traditionelle Machtstrukturen (religiöse Sekten in Anknüpfung an Stammeshäuptlinge), um sie für die Machtübernahme zu qualifizieren. Es handelte sich dabei vor allem um die beiden größten Sekten El-Ansar und El-Khatmiyya, auf denen heute die beiden größten Parteien des Landes, El-Umma und Demokratische Unionistische Partei, basieren.

So entstand im Norden ein Machtzentrum, dessen Interesse in der Aufrechterhaltung der kolonialen Produktionsweise bestand (ein Begriff, der auf Mahdi Amil von der Libanesischen Kommunistischen Partei zurückgeht). Die Aufrechterhaltung dieser Produktionsweise erfordert den dialektisch bedingten Überbau, zu dem ein entsprechender ideologischer Diskurs gehört. Dieser wurde in einem arabo-islamischen Weltbild verkörpert. Die Ethnien, die diesem Weltbild nicht entsprechen, wurden verdrängt und in ihrer ethnisch-kulturellen Identität bedroht. Die Elite aus dem Norden sorgte - entgegen ihren eigenen Versprechen - dafür, daß den Südsudanesen nach der Gründung der ersten Nationalregierung nur vier von insgesamt 800 höheren Regierungsposten zugesprochen wurden. Dies war die Ursache für den Ausbruch des ersten Bürgerkrieges im Jahre 1955.

Ein Friedensabkommen beendete diese Phase des Krieges und leitete elf Jahre Frieden ein (von 1972 bis 1983). Bedauerlicherweise brach der Krieg im Jahre 1983 wieder aus. Anlaß dafür war die Einführung der islamischen Gesetze und die Annullierung des Friedensabkommens (Addis-Abeba-Abkommen) seitens der Numeiri-Diktatur (1969-1985), was die Abschaffung der Autonomie des Südens bedeutete.

Die NIF unter der Führung von Dr. Hassan El-Turabi spielte bei dieser Entwicklung eine wichtige Rolle. 1976 versuchten die rechtsgerichteten Parteien, zu denen auch die NIF zu zählen ist, das Numeiri-Regime durch einen militärischen Angriff von Libyen aus zu stürzen. Dieser Versuch scheiterte. Bald darauf begann die NIF - damals noch unter ihrem alten Namen Muslim-Brüder -, sich der Regierung anzunähern. Schließlich bildete sie eine Allianz mit dem Diktator, um das islamische Regime zu konsolidieren. Ein Jahr nach dem Sturz Numeiris entstand eine parlamentarisch gewählte Regierung. Wie schon im Jahre 1964 sahen die linksgerichteten Gruppen eine Chance, in dieser demokratischen Phase eine konsensale Konfliktlösung zu erreichen. Nach mühsamem Ringen mit der Rechten wurde 1989 ein Verhandlungsabkommen (Koka Dam-Erklärung) mit der SPLA (Sudanese People’s Liberation Army) erzielt und von allen Parteien außer der jetzt regierenden NIF unterzeichnet. Dieser Erklärung gemäß sollte noch im gleichen Jahr in Addis Abeba eine verfassunggebende Konferenz stattfinden. Folgende Themen sollten diskutiert werden: Religion, Nationalitäten und Form einer künftigen Regierung (Zentralstaat oder Föderation). Das Scheitern dieser Chance, den Krieg durch eine Verhandlungslösung zu beenden, ist der NIF zu verdanken, denn kaum zwei Monate vor dieser verfassunggebenden Konferenz putschte sie sich am 30.6.1989 an die Macht und errichtete die heutige Diktatur.

Jetzt kommen wir zu dem zweiten Begriff, den Amin Banani benutzt: Er sprach von Versöhnungsverhandlungen mit den Oppositionsgruppen im Exil. Ein typisches Beispiel von Wortspielerei. Denn wie er zweifelsohne weiß, gibt es nach der Unterzeichnung der endgültigen Form der Deklaration der National-Demokratischen Allianz nur eine vereinigte Widerstandsbewegung, eben die National-Demokratische Allianz und ihren militärischen Flügel (The Joined Military Command). Das leere Gerede über den Frieden widerspiegelt die Panik der NIF angesichts der erfolgreichen Angriffe an den beiden Fronten im Süden und im Osten. (A.R.)