Castor-Transport mit Gewalt durchgesetzt

X3 ist vorbei. Am 5. März gegen 15.10 Uhr rollte der letzte von 6 Castor-Behältern auf einem Tieflader in die Beton- und Wellblechhalle in Gorleben, die von Atomanlagen-Betreibern und Politikern hochtrabend als Zwischenlager bezeichnet wird. Es war nur einer von vielen Castor-Transporten, die wöchentlich die Republik durchqueren, aber erst der 3. nach Gorleben.

Diesmal waren rund 100 KielerInnen bis zu 5 Tage an den Widerstandsaktionen im Wendland beteiligt. Ein gutes Dutzend von ihnen kam nicht ganz heil nach hause.

Warum wollen wir die Castor-Transporte ins Wendland verhindern?

Es ist kein Geheimnis, daß von den 120-t-Behältern eine große Gefährdung ausgeht, die auch vor Polizisten nicht Halt macht. Die Neutronenstrahlung in 5 m Entfernung ist so groß, daß eine Person schon nach 9 Minuten die von der EU-Kommission festgelegte Jahresdosis aufnehmen kann. Aber so ist es bei allen Castor-Transporten, auch den vielen, die regelmäßig aus den AKWs in die Wiederaufarbeitungsanlagen Sellafield und La Hague transportiert werden und nur auf schwache Behinderungen treffen. Der Transport in das bisher einzige genehmigte Zwischenlager in Gorleben (eine Genehmigung für eine baugleiche Halle in Ahaus ist in Vorbereitung) aber ist der sog. Entsorgungsnachweis für den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke, besonders, da es weltweit noch kein einziges Endlager für hochradioaktiven Müll gibt und wohl auch nie geben wird.
 


Medien gleichgeschaltet

Die rund 15.000 Menschen, die von Samstag bis Mittwoch versucht haben, den Transport zu behindern, hatten sich in 12 Camps entlang der Transportroute organisiert. Die Anti-AKW-Bewegung (namentlich die BI Lüchow-Dannenberg) war davon ausgegangen, daß eine gleichmäßige Verteilung insbesondere an den Straßenstrecken eine effektivere und gleichmäßigere Behinderung schaffen würde als beim letzten Transport. Daß dieses Konzept nicht aufgegangen ist, liegt u.a. an dem massiven und rücksichtslosen Einsatz von 30.000 Polizisten und Bundesgrenzschützern, aber auch an der tatkräftigen Mithilfe der Medien. So wurde z.B. seit Montag, dem 3.3. regelmäßig über Radio verbreitet, beide Alternativrouten über Gusborn bzw. Quickborn-Langendorf seien unpassierbar, so daß die Polizei eine dritte, weiter südlich führende Route erwäge und ausmesse. Tatsache war zu diesem Zeitpunkt, daß die Bauern der bäuerlichen Notgemeinschaft in Splietau die Südstrecke mit ineinander verkeilten Traktoren versperrt und eine Menge Wühlmäuse die Straße an so vielen Stellen unterhöhlt hatten, daß sie als dauerhaft unpassierbar gelten konnte. Allerdings geschah dies alles, ohne daß sich auch nur ein Uniformierter sehen ließ, wie auch nie ein polizeilicher Meßtrupp auf der weiter südlich verlaufenden Straße über Zadrau gesehen wurde.

Stattdessen hatten 15.000 Beamte Schulter an Schulter, Wasserwerfer an Wasserwerfer, Wanne an Wanne die Nordstrecke systematisch besetzt, und die befand sich zu keinem Zeitpunkt in einem unpassierbaren Zustand. Daß dazu Ortschaften zeitweise völlig abgeriegelt wurden, während über 30 Hubschrauber ständig über den Camps patrouillierten, erzeugte nicht zufällig eine Bürgerkriegsstimmung, die von der Presse überwiegend nicht bemerkt wurde, wie auch die zahllosen Schilder „Besatzer raus“ geflissentlich übersehen wurden.

Zu den durch die Medien gestreuten Falschinformationen steuerten die DemonstrantInnen dann noch ihre eigenen Gerüchte bei, so daß viele Kräfte und viel Schlaf geopfert wurde an Stellen, an denen die Atomtransporteure schon lange kein strategisches Interesse mehr hatten.

Völlig aus der Luft gegriffen ist auch die Darstellung in den Medien, die Polizei habe ein „abgestuftes“, gar „Deeskalations“-Konzept vertreten. Dies kann sich ausschließlich auf ihre totale Abwesenheit auf der Südtrasse beziehen, denn auf der Nordtrasse wütete sie umso heftiger.

Obwohl eigentlich genug Polizei verfügbar war, um auch den letzten Kilometer Straße vor dem Verladekran in Dannenberg dauerhaft in Besitz zu nehmen, ließ man den gewaltfreien Sitzblockierern am Montag genügend Raum, um sich hier breit zu machen und der ideologischen Trennung in „gewaltfreie“ und „autonome“ eine räumliche folgen zu lassen. Während am Dienstag die X-1000-mal-quer- Graswurzler in Dannenberg noch friedliche Lieder sangen, hatten große Mengen von Polizeiagenten in den Camps Klein-Gusborn und Quickborn bereits eine Falle vorbereitet, bei der Hunderte von Demonstranten in einem Waldstück nach allen Regeln der Kunst zusammengeknüppelt wurden.

Alle Versuche, auf die Nordstrecke zu kommen, dort gar die Wühlerei von Splietau zu wiederholen, waren vergeblich und brachten bereits weit vor der Straße nichts als blutige Köpfe ein. Doch auch die Sitzblockade am Verladekran sollte noch ihr Fett wegbekommen.


„Abgestufte erzieherische Polizeiarbeit“

Nachdem am Mittwoch in aller Frühe BGSler damit begonnen hatten, die Sitzenden einzeln wegzutragen, bemerkten sie im Morgengrauen, daß sie nach Stunden eigentlich keine 10 m vorangekommen waren. Zunächst versuchte man es mit Naßmachen, schließlich wurde auch richtig Druck auf die Wasserwerfer gegeben, aber trotzdem hätte das so noch recht lange weitergehen können, denn die Leute hatten damit gerechnet, Planen und Regenanzüge mitgebracht. Ganz klar ein Fall für die Berliner Spezialeinheit, deren Auftauchen nun wie eine Bombe einschlug. Diese faschistoide Schlägertruppe, die bis dahin erfolgreich die Straße bei Quickborn vor dem unbefugten Betreten geschützt hatte, tauchte also mit Wasserwerfern und Holzknüppeln plötzlich im Rücken der Blockierer auf und fing unverzüglich an, beides mit aller Vehemenz einzusetzen. Wahllos wurde auf die unter Planen sitzenden Leute eingeschlagen, getreten, Gliedmaßen ausgerenkt und Knochen gebrochen. Bei dieser Aktion allein soll es über 400 Verletzte (natürlich keine Polizisten), darunter 30 Schwerverletzte gegeben haben. Bei allen militanten Auseinandersetzungen zwischen Quickborn und Langendorf kamen nicht so viele zusammen.

Von Verhältnismäßigkeit und abgestuftem Vorgehen konnte auch bei einigen anderen Polizeiaktionen nicht die Rede sein. Kurz bevor die Tieflader durch Grippel rollten z.B., verübte eben jene Berliner Einheit „56“ einen Überfall auf friedlich herumsitzende Demonstranten, mehr als 200 m von der Straße entfernt (das Versammlungsverbot bezog sich auf einen Korridor 50 m beidseits der Transportstrecke). Ohne irgendeine Warnung wurden ca. 100 Zuschauer plötzlich über den Haufen gerannt, mit Holzprügeln, Tritten und Kniestößen in den Unterleib traktiert. Wieder kam es zu zahlreichen Verletzten. Einen erkennbaren polizeilichen Sinn hatte dieser Einsatz nicht. Bei dem Versuch, den Demonstranten den Rückweg auf der Südstrecke abzuschneiden, beschädigte die Staatsgewalt en passant am Straßenrand geparkte Autos.


Randale als behördliches Einsatzkonzept

Noch wilder trieben die behördlichen Randalierer es auf den Privatgrundstücken und Äckern in den Dörfern Quickborn und Langendorf. Grundstücke wurden regelrecht plattgewalzt, kein privates Kfz war mehr vor ihnen sicher. Wasserwerfer pflügten durch die Felder - wobei wir nicht verschweigen wollen, daß auch aus den Reihen der Atomkraftgegner hier eine Reihe sinnloser und überflüssiger Verwüstungen angerichtet wurden.

Als die Castoren schon längst auf der Nordstrecke Richtung Gorleben rollten, nur noch aufgehalten durch die Fahruntüchtigkeit einzelner Tieflader-Chauffeure, setzten Hubschrauber vor dem Dorf Splietau an der Südstrecke einen Trupp Polizei ab, der in wenigen Minuten, ausgestattet mit dem notwendigen Handwerkszeug, so viele Treckerreifen der Schlepperblockade zerstörte wie möglich. Unmittelbar nach dieser brillanten Pädagogik-Lektion zogen sie wieder ab. Bei einem Reifenpreis von über 1.000 DM war der Sachschaden erheblich, wohingegen die baldige Räumung der Straße nun völlig ausgeschlossen war.

Grüne leisten seelischen Beistand - in der Polizeikaserne!

Für ihren vorbildlichen Einsatz hat Bundesinnenminister Kanther der Polizei gedankt. Doch die Zustimmung für Rollkommandos beschränkt sich nicht mehr auf die äußerste rechte Ecke. Der Kieler Kreisverband der Grünen hatte es bis 3 Tage vor dem X-Minus-Wochenende nicht einmal geschafft, ein einziges Plakat oder Flugblatt im Kreisbüro aufzuhängen - Atomkraftgegner plakatierten daraufhin sämtliche Scheiben zu. Bei derartig breiter Mobilisierung war es dann auch kein Wunder, daß von 2 Mitgliedern des KV nur eines freiwillig ins Wendland fuhr - das andere, Kreisgeschäftsführer Markus Wewer, bekam eine dienstliche Anordnung, sozusagen seine Arbeitszeit in Hitzacker zu verbringen.

Währenddessen konnten sich die grünen Minister nicht für die Forderung erwärmen, keine Polizei aus S.-H. ins Wendland zu schicken - Rainder Steenblock sah die Notwendigkeit der polizeilichen länderübergreifenden Zusammenarbeit auch bei anderen Gelegenheiten, aber nur Suppenkasper Michael Gärtner konnte die dahintersteckende Politikauffassung so akzentuiert charakterisieren: Das Atomgesetz sei geltendes Recht, und die Grünen träten für die Durchsetzung geltenden Rechts ein.

Daß er damit in seiner Partei nicht isoliert ist, zeigte eine Delegation des Landesverbandes unter Führung von Irene Fröhlich, die sich ebenfalls in Richtung Wendland in Bewegung setzte. Allerdings nicht vordringlich, um dort sog. „One-Woman-Performances“ als Kulturprogramm im Umfeld der Anti-Castor-Proteste vorzutragen (gemeint war das Sitzen auf der Straße, das schon durch die Wortwahl nicht in die Nähe von Protest oder Widerstand gerückt werden sollte), sondern um in der Lüneburger Schlieffen-Kaserne nachzusehen, ob es der Eutiner Bereitschaftspolizei und ihren zwei Wasserwerfern auch gut geht. „Ganz prima“ fand es Detlef Matthiesen, MdL, daß die Eutiner BePo versuchen wolle, „im Einsatz zwischen militanten und friedlichen Demonstranten zu differenzieren“. Damit haben die Grünen schon einen Gutteil der staatlich angeordneten Körperverletzung antizipiert. Gemäß der Devise, daß politikfähig nur ist, wer seine Forderungen den realen Verhältnissen anpaßt, ist diese Haltung allerdings noch wandlungsfähig. Eine überlegenswerte Anregung bietet KN-Kommentator Kai-Uwe Drews, der, genau wie wir übrigens, Spaltung für Zeitvergeudung hält: „Obwohl es von vornherein aussichtslos war, wurde der Versuch unternommen, mehr als 4.000 Demonstranten vor der Castor-Verladestation einzeln wegzutragen. Mit der logischen Folge, daß die aus dem Weg Geräumten sich ein paar Meter weiter wieder auf die Straße setzten. Auf diese Weise wurde Zeit vergeudet und Polizeibeamte unnötig gefährdet.“

Wie gefährdet Polizeibeamte wirklich sind, konnte im Dannenberger Krankenhaus nachgeprüft werden: Dort lagen zwei verletzte, zivil verkleidete Polizeiagenten, die ihre Provokationen wohl so weit getrieben hatten, daß sie von ihren eigenen Leuten krankenhausreif geprügelt worden waren.

Ordnung aus dem Chaos - Es werde Licht!

Allerdings hatte die Polizei auch leichtes Spiel. Gerade die Camps Klein-Gusborn und Quickborn taten sich nicht durch koordiniertes Vorgehen und gute Organisation hervor. Der Zusammenhalt war gering, das Vorgehen zögerlich bis chaotisch und manchmal verantwortungslos. Der Einfluß auf die zeitliche Planung der Castor-Fraktion und auf die von der Besatzungsmacht okkupierte Nordstrecke war ab Montag nachmittag gleich Null.

Wir wissen, daß alle, die mit uns in Klein-Gusborn waren (uns selbst eingeschlossen), viel zu verarbeiten haben und sich aussprechen wollen. Nicht nur der Polizeieinsatz muß diskutiert werden. Darum bietet die KIGA (Kieler Initiative gegen Atomanlagen) allen Interessierten, auch denen, die in anderen Camps waren, ein Nachbereitungstreffen an, auf dem wir Filmberichte, Fotos, Presseartikel präsentieren, Meinungen und Informationen austauschen wollen und überlegen, wie wir es beim nächsten Mal besser machen können. Am Donnerstag, dem 10. April, um 19.30 Uhr in der Pumpe, Galerie. Bringt Eure Videos und Fotos vom X3-Transport mit! (B.G.)