Kohlepier in Dietrichsdorf?

Seit 1992 ist ein Pier zur Anlandung von Kohle für das Gemeinschaftskraftwerk Kiel (GKK) im Gespräch. Grund für die Debatte: Mit dem Auslaufen des sogenannten „Jahrhundertvertrages“ endete zum 1.1.1996 die Verpflichtung zur Verwendung von Ruhrkohle. Ein Kohlepier am Ostufer macht deshalb vor allem Sinn, wenn zukünftig die - aufgrund von Bettellöhnen - billige Kohle aus den ehemaligen RGW-Staaten importiert würde. Zusätzlich wird durch die anstehende „Liberalisierung“ bzw. Deregulierung der Energiemärkte Entscheidungsdruck erzeugt. Die von Bundeswirtschaftsminister Rexrodt (FDP) vorgelegte Novellierung des Energierechtes soll Großkunden die freie Lieferantenwahl ermöglichen. In Kiel könnten die Stadtwerke - so eine Schätzung der Bündnisgrünen - in den nächsten 6 Jahren bis zu 15 Großkunden verlieren.

Als preisgünstigste Lösung hat sich nach Angaben des stadteigenen GKK die Errichtung eines eigenen Schiffanlegers und die direkte Anlandung von Importkohle (u.a. aus Polen und den GUS-Staaten) in möglichst großen Schiffseinheiten (50.000-60.000 t) auf einen neuen Kohlelagerplatz herausgestellt. Die Kosten für einen Kohlepier werden auf 90 Mio. DM geschätzt.

Auch die Belegschaft des GKK drängt auf eine positive Entscheidung, bei einer wirtschaftlich nicht optimalen Kohleversorgung wird ein Verdrängungswettbewerb befürchtet. Die Einstellung des Kraftwerksbetriebes hätte den Verlust von 220 unmittelbar betroffenen qualifizierten Arbeitsplätzen zur Folge.

Dagegen scheint der bisherige Transportweg der (u.a. Ruhr-) Kohle über den landeseigenen Elbehafen Brunsbüttel und von da über die Schiene zum GKK teurer. Ein neues Angebot seitens der Hafengesellschaft Brunsbüttel ist bei einer Größenordnung von bis zu ca. 500.000 t Kohle pro Jahr günstiger, bei 600.000 Jahrestonnen, das ist der von der GKK angenommene Jahresverbrauch, allerdings teurer als eine Anlandung per Kohlepier.

Auch wenn bei der hiesigen Debatte mögliche ökonomische und soziale Auswirkungen im Elbehafen Brunsbüttel keinerlei Berücksichtigung finden, gibt es regionale Interessen, die einem Kohlepier entgegenstehen. Die ebenfalls stadteigene Seehafen Kiel GmbH sieht den fünften Bauabschnitt des Ausbaus des Ostuferhafens gefährdet, wenn die von der GKK favorisierte Brückenlösung für den Kohlepier verwirklicht werde. Würde dieser fünfte Bauabschnitt des 1991 von der Ratsversammlung beschlossenen Hafenausbaus nicht realisiert werden, dann hätte der Ostuferhafen einen strukturellen Nachteil. Aufgrund seiner zu geringen Größe könnten kostensenkende Mengeneffekte nicht realisiert werden, die Wirtschaftlichkeit wäre gefährdet. Allein die Kiel-Schönberger-Eisenbahn (KSE) hätte aufgrund der geringeren Transportmengen eine vom Hafen zu deckende Mehrbelastung von 1,5 Mio. DM pro Jahr. Dies könne auf Dauer nicht getragen werden, eine Verlagerung des Transportes auf die Straße oder gar ein totaler Verlust der Ladung für den Kieler Hafen wäre nicht auszuschließen.

Während sich diese unterschiedlichen Interessen der beiden stadteigenen Betriebe bei einem gegenseitigen Einlenken noch vereinbaren ließen - das Bauverwaltungsamt hat eine „Kompromißausbauplanung“ entworfen -, scheinen die Interessen der KSE unter die Räder zu kommen. Die Kiel-Schönberger-Eisenbahn hat ein Beförderungsvolumen von ca. 820.000 t (1995), davon entfallen ca. 580.000 t, also rund 70% auf den Kohleverkehr zum GKK. Somit bilden die bei Errichtung eines Kohlepier wegfallenden Kohletransporte das wirtschaftliche Rückrat der Eisenbahn. Eine Kompensation der eventuell wegfallenden Kohletransporte ist, so die KSE, aus heutiger Sicht nicht vorstellbar, selbst wenn es einen besonders starken Aufschwung im Ostuferhafen geben sollte. Dabei hat die KSE vor kurzem erhebliche Investitionen getätigt, um den betrieblichen Erfordernissen für die Kohletransporte zu genügen, u.a. die Beschaffung einer MaK-Diesellokomotive, den Umbau der Gleisanlagen in Kiel-Gaarden mit direktem Anschluß an das Netz der DB und die komplette Sanierung der Schwentinebrücke. Auch die Option auf eine mögliche Wiederaufnahme des Schienenpersonenverkehrs unter Berücksichtigung des Streckenabschnittes Oppendorf-Schönberg würde zur Disposition stehen, wenn der Kohlepier realisiert wird.

Für die Bündnisgrünen hat sich der Fraktionsvorsitzende Lutz Oschmann gegen den Kohlepier ausgesprochen. Neben der Gefährdung der Schienenanbindung des Ostuferhafens und der Schädigung intakter Transportwege kritisiert Oschmann die geplanten Kohlehalden von maximal 200.000 t (Höhe bis zu 14 Meter). „Eine weitere stadtgestalterische Attraktion für den gebeutelten Stadtteil Dietrichsdorf“, so Oschmann, „ganz zu schweigen von der Staubentwicklung durch die Kohlehalden“. Auch die Ausbaggerung von Teilen der Kieler Förde auf 14,5 Meter Wassertiefe, die für den Pier notwendig sei, wäre „ökologisch bedenklich“.

Dagegen spricht sich Oschmanns Konkurrent um das Amt des Oberbürgermeisters, Norbert Gansel, für den Kohlepier aus. Als Alternative, so Gansel, bliebe nur die Atomenergie. Der ehemalige Kieler Jungsozialist scheint sich gut an eine entsprechende Forderung Kieler Jusos Anfang der 70er Jahre zu erinnern. Damals forderten diese anstelle eines Kohlekraftwerks den Bau eines Atomkraftwerks auf dem Ostufer. (usch)