Kommentar:

Ausnahmezustand

Im Zusammenhang mit großen Polizeieinsätzen und der dabei zu Tage tretenden bekannten Brutalität deutscher Polizisten ist schon oft von bürgerkriegsähnlichen Zuständen gesprochen worden. Angesichts dessen was Bürgerkrieg tatsächlich bedeutet, mag das manchem übertrieben vorkommen.

Fest steht aber, daß die Bundesrepublik selten so nahe am Ausnahmezustand gewesen ist, wie sie es Anfang März im Landkreis Lüchow-Dannenberg war. Daß Großprojekte gegen zum Teil massiven Widerstand von Teilen der örtlichen Bevölkerung notfalls mit nackter Gewalt durchgesetzt werden, ist nicht unbedingt etwas Neues, sondern gehört zur Geschichte der Anti-AKW-Bewegung. Neu ist allerdings, daß der Widerstand auch in den lokalen Organen eine breite Mehrheit hat, und diese die Zusammenarbeit mit der Staatsmacht aufkündigen.

Alle Gemeinderäte entlang der Transportstrecke haben - zumeist auch mit den Stimmen der CDU - Bundes- und Landesregierung aufgefordert, den Transport zu stoppen. Ebenso der Kreistag. Die bunten Anti-AKW-Mehrheiten aus Grünen, Freien Wählern und SPD (hier und da auch FDP) haben zudem die Gemeindegrundstücke, Turnhallen und ähnliches für die Polizei gesperrt. Selten ist die demokratische Legitimation staatlichen Handelns in Deutschland derart in Frage gestellt worden.

In Bonn und Hannover bewirkte das allerdings eher ein „Jetzt erst recht!“ Von Gerichten ließ man sich im Eilverfahren bestätigen, daß man dann eben beschlagnahmen werde. Die Turnhallen wurden den Schülern mit polizeilicher Gewalt genommen.

Den Widerstandswillen der Wendländer kann so etwas zum Glück genauso wenig brechen, wie die vielen Hausdurchsuchungen im Vorfeld, z.B. wegen eines Aufrufs zu einer Kaffeetafel oder der vom sozialdemokratischen Innenminister persönlich sanktionierte blinde Vandalismus seiner Rambos an den Treckern in Splietau. Das alles ruft eher Trotz hervor und erzeugt das Bewußtsein, daß zur Durchsetzung der Interessen der Atomindustrie jedes Mittel recht und der Rechtsstaat im Zweifelsfall eine bloße Farce ist.

Ein besonderes Trauerspiel gibt in diesem Zusammenhang die parlamentarische „Opposition“ ab, der es gar nicht einzufallen scheint, sich über den partiellen Ausnahmezustand aufzuregen: Keine „rot“-grüne Landesregierung verweigerte Truppen für dieses Bürgerkriegsszenario. Die sachsen-anhaltinischen gehörten gar zur übelsten Sorte. (Man darf gespannt sein, was die in Magdeburg tolerierende PDS dazu zu sagen hat.) In Bonn loben stattdessen SPD-Abgeordnete den besonnenen Einsatz der Polizisten, und grüne Landtagsabgeordnete besuchen die Eutiner Einheiten nach einer nächtlichen Prügelorgie und finden es toll, daß sie sich an ihre Deeskalierungs-Forderung halten. Preußen 1997. (wop)