Bundesanwaltschaft bildet Banden

Die Bundesanwaltschaft verfährt im Moment nach dem Motto: Wo ’radikal’ draufsteht - muß auch ’radikal’ drin sein.

Wir sind gespannt, ob die Bundesanwaltschaft auch diesen Kreis der Herausgeberinnen und Herausgeber zu einer kriminellen Vereinigung erklären wird“, heißt es im Vorwort einer Dokumentation kriminalisierter Texte, die im Frühjahr 97 erscheint.

 Das Geräusch der schallenden Ohrfeige in Richtung Bundesanwaltschaft (BAW) durch das Oberlandesgericht Koblenz, welches die Eröffnung des Hauptverfahrens (’radikal’-Prozeß) am 5.3.97 ablehnte, ist noch immer zu hören, als diese wohl eher rhetorisch gestellte Frage in den frühen Morgenstunden des 22.3.97 von der Bundesanwaltschaft beantwortet wird.

Werner (einer der Hauptbeschuldigten im ’radikal’-Verfahren) sowie eine weitere Person werden auf Antrag der Bundesanwaltschaft am 22.3. um 3 Uhr 10 in Münster festgenommen. Am 22.3. nachmittags werden dann die Wohnungen der beiden und das Antirepressionsbüro in den Räumlichkeiten der PDS-Kreuzberg durchsucht. Die Ermittler beschlagnahmen Computer und in einem pawlovschen Reflex viereckige Gegenstände - nach dem Motto: vier Ecken - ergo: Diskette - ergo: beschlagnahmen.

Die Verhaftung und die Durchsuchungen werden von der Bundesanwaltschaft damit begründet, daß sich in dem Fahrzeug, das Werner bei der Polizeikontrolle fuhr, 680 Exemplare der „radikal-Ausgabe Frühjahr 1997“ befunden haben sollen.

Was bei dieser von der Bundesanwaltschaft inszenierten Aktion als „radikal-Ausgabe“ deklariert wird, ist jedoch eine Dokumentation schon einmal veröffentlichter ’radikal’-Artikel, in denen, wie sollte es auch anders sein, laut BAW für terroristische Vereinigungen geworben wird.

Was die Bundesanwaltschaft aber scheinbar „übersehen“ hat, ist das Impressum dieser Dokumentation. In diesem erklären 60 Einzelpersonen und politische Organisationen, vom Politologen Elmar Altvater über den Chefredakteur der ’jungen Welt’, Klaus Behnken, vom Bundesvorstand der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen bis zur Antirassistischen Initiative Berlin: „Die Bundesanwaltschaft hat am 13.6.1995 mittels mehrerer Hundertschaften Polizei die Wohnungen und Räume von mehr als 50 Personen und Institutionen im gesamten Bundesgebiet durchsucht. Ziel der Razzia waren die unbekannten HerausgeberInnen der Zeitschrift ’radikal’, deren weiteres Erscheinen verhindert werden soll. Wir wehren uns gegen diese Form staatlicher Zensur per Polizeiknüppel. Unabhängig davon, ob wir den Inhalt der Zeitschrift gutheißen oder ablehnen, wenden wir uns entschieden gegen den - wiederholten - Versuch, eine mißliebige Publikation zum Schweigen zu bringen. (...) Wir geben diese Dokumentation bereits veröffentlichter und nun verfolgter ’radikal’-Beiträge heraus, um damit eine kritische Auseinandersetzung jenseits von Polizeirazzien und Anklageschriften zu fördern und gleichzeitig zu dokumentieren, wie in diesem Staat mittels des Staatsschutzes Politik betrieben wird.“

Am 23.3. um 12 Uhr wurde durch die Bundesanwaltschaft die sofortige Freilassung der beiden Inhaftierten und die Herausgabe des beschlagnahmten PKWs angeordnet. Der Behörde schien mittlerweile klargeworden zu sein, daß die Zeit, eine HerausgeberInnenschaft wie diese als kriminelle Vereinigung zu verfolgen, trotz der militant repressiven Art, mit welcher die Bundesanwaltschaft jenseits von Wahrheit versucht, Fakten zu schaffen, „noch“ nicht reif ist.

Die Frage, wie weit die Bundesanwaltschaft in ihrem Verfolgungswahn die Situation eskaliert hätte, hätte nicht dieser Kreis von HerausgeberInnen für die Dokumentation verantwortlich gezeichnet, soll jede/jeder für sich selbst beantworten.

Obwohl hier im Moment der Eindruck entstehen mag, die Aktionen der Bundesanwaltschaft sind so bescheuert, „die würden sogar eine Briefmarke auf ein FAX kleben“, darf dies nicht über die tatsächliche Intention, mit der diese Behörde arbeitet, hinwegtäuschen und die Funktion der obersten Verfolgungsbehörde verharmlosen. Es wäre geradezu naiv, anzunehmen, die Bundesanwälte wüßten nicht selbst um die „Unschuld“ ihrer Opfer:

- Im Fall Christoph Seidler wird die Aussage des VS-Spitzels Siegfried Nonne benutzt, um aus Seidler einen „Top-Terroristen“ zu basteln. Obwohl der VS-Spitzel kurze Zeit später seine Aussage selbst öffentlich als „Quatsch“ bezeichnet, taucht Christoph Seidler auf jedem aktualisierten Fahndungsplakat des Bundeskriminalamtes immer wieder als einer der „meistgesuchten Top-Terroristen“ auf.

- Im Verfahren gegen Monika Haas wurden der sogenannten Kronzeugin Souhaila Andrawes die belastenden Aussagen, die sie machte, von den Bundesanwälten in den Mund gelegt und als sie diese zurückzieht, zaubert die Bundesanwaltschaft einen ominösen libanesischen Zeugen aus dem Hut. Doch auch dieser kann anscheinend nicht überzeugen, und so bleiben nur noch die vom ’Spiegel’ in Szene gesetzten MfS-Akten nach dem Muster: „Ich habe gehört, daß jemand gesagt haben soll, daß die Haas ...“. Dies ist selbst für einen Strafsenat zu wenig, der Birgit Hogefeld in einem reinen Indizienprozeß zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilte. Er hebt den Haftbefehl gegen Monika Haas auf, und sie wird am 19.3.97, nach 2 1/2-jähriger Untersuchungshaft, entlassen.

- Im Verfahren gegen die kriminalisierte Zeitschrift ’radikal’ ermittelt die Behörde unermüdlich weiter, obwohl das Koblenzer Oberlandesgericht im Herstellen von Lesestoff beim besten Willen nicht die Tätigkeit einer kriminellen Vereinigung erkennt.

Die Konstruktion „terroristischer Gewalttäter“ ist ständige Option der Bundesanwaltschaft. Wie weit das gehen kann, hat der Generalbundesanwalt Kurt Rebmann bereits 1977 klargemacht: Mit den von ihm angeordneten Terror-Maßnahmen gegen die Linke im „Deutschen Herbst“ wurde jene Stimmung geschaffen, in der die polizeiliche Kill-Fahndung - bei welcher 1979 Willy Peter Stoll, Michael Knoll und Elisabeth van Dyke erschossen wurden - und der immer noch unaufgeklärte Tod dreier RAF-Gefangener im Stammheimer Knast allgemein mit Wohlwollen aufgenommen wurde. (aus dem Internet)