Verbunkerte Infografie

Hubertus v. Amelunxen über Bunkerarchäologie

Im Rahmen der „Kilian“-Ausstellung im Schloß hielt der Kunstprofessor Hubertus v. Amelunxen am 25.3. in der Muthesius-Hochschule einen Vortrag zu Paul Virilios „Bunkerarchäologie“. Ausgangspunkt der Betrachtungen war Virilios Atlantikwall-Projekt. Zwischen 1958 und 1965 hatte der Kunstphilosoph und Architekt einen großen Teil der von den Deutschen im 2. Weltkrieg errichteten Bunkeranlagen an der französichen Atlantikküste auf über 10.000 Fotografien festgehalten. Virilio interessierte sich dabei vor allem für den symbolischen Gehalt der Bunker und die Ästhetisierung einer martialischen Machtdemonstration und eines Totenkults. Darüberhinaus ging es ihm um die Dokumentation einer allgemeinen „Bunkermentalität“ im „Zeitalter der Geschwindigkeit“.

Dies ist der Anknüpfungspunkt für Amelunxens Betrachtungen, auch im Hinblick auf die Ruine des U-Boot-Bunkers „Kilian“. Amelunxen geht es um die „wahrnehmbaren Fixpunkte historischer Topographie“, um die Funktion von Denk- und Mahnmalen überhaupt, dies in einer Welt der zunehmenden „musealen Simulation“. Wenn z.B. der „Kilian“ abgerissen und durch eine Mahntafel oder eine Skulptur ersetzt werde, so liege dies ganz im Trend der Zeit, Erinnerung in Museen einzusargen und damit dem Alltag zu entziehen. Das Museum werde zum „Kunst-Bunker“. Das Kunstwerk oder Denk-/Mahnmal als Geschichtszeugnis wird seiner örtlichen Verhaftung beraubt und im Museum ausgestellt, bzw. durch eine Simulation/Reproduktion seiner selbst im Museum ersetzt. Der amerikanische Schriftsteller Oliver Wendell Holmes hatte schon 1859 das „Zeitalter des Immateriellen“ ausgerufen, in dem die Realität nur noch als Vorlage für Reproduktionen diene, die die eigentliche Wirklichkeit immer mehr ersetzten. Theodor W. Adorno hatte in einem ähnlichen Ansatz vom „Museum-Mausoleum“ gesprochen und das Museum als „Naturalienkabinett des Geistigen“ bezeichnet. Virilio wiederum kritisierte in zahlreichen Schriften das Informationszeitalter. Der immer rasendere Austausch von Informationen absorbiere die Aufmerksamkeit in der Gegenwart und bewirke eine „Verachtung des Historischen“, ja führe letztlich zum Ende der Geschichtlichkeit, des historischen Bewußtseins.

Solche Tendenzen macht Amelunxen auch heute aus. Die Informationsflut der Medien führe dazu, daß Orte als Fixpunkte der Erinnerung durch Ereignisse ersetzt werden. Was keinen Ereignischarakter habe, könne dem von Virilio konstatierten „rasenden Stillstand“ nicht standhalten. Von der Kritik der Musealisierung und damit Wirkungslosigkeit des mahnenden Erinnerns schlug Amelunxen hier den Bogen zu einer allgemeinen Kritik der „Infografie“, wie er analog zur Fotografie die neuen Medien (z.B. Internet) nennt. Heute beruhe die Macht der „Infografen“ nicht mehr auf der Verschleierung und Vorenthaltung von Informationen, sondern darin, das Bewußtsein mit einer riesigen Flut von Informationen, deren Wichtig- oder Unwichtigkeit ununterscheidbar werde, quasi lahmzulegen. Der  heutige Mensch lasse sich zwar nicht mehr täuschen, sei aber häufig genug ent-täuscht von der Irrelevanz der Informationen, die auf ihn einstürmen. Eine Erkenntnis, die nachvollziehbare Bildlichkeit in den Werbe-„Pausen“ in TV-Spielfilmen gewinnt. Wer in der Informationsflut nicht untergehen wolle, müsse eine „alltägliche Armatur der Sinne“ üben, sich sozusagen einbunkern, die Sinne entschärfen.

Eine Versinnbildlichung dieser Bunkermentalität stelle auch der vom Architekten Unger entworfene und jüngst eingeweihte Bau der „Galerie der Gegenwart“ in Hamburg dar. Schon äußerlich verhehle dieses Museum gegenwärtiger Kunst, ein Widerspruch in sich, die Verbunkerung nicht und reproduziere die Ästhetik der Bunkerbauten auf erschreckende Weise. Kunst werde in einem solchen Bau ihrer Möglichkeit des auch politischen Eingreifens vollständig beraubt. Amelunxen setzte dagegen ein Plädoyer für die erneute „Politisierung der Ästhetik“ und forderte eine „Ökologie der Medien“.

Wenn Amelunxen sich in seinem Vortrag auch auf klassische, neo-aufklärerische Positionen der Medien- und Kulturkritik stützt, die aus den 60er Jahren stammen, so überzeugt seine Analyse dennoch und dringt zu den Wurzeln des Problems vor: der Verbannung von Geschichtlichkeit aus der Alltagswahrnehmung. Diese zeigte sich bereits bei den Feierlichkeiten zur 50. Wiederkehr des 8. Mai 1945 und nicht zuletzt in der Ablehnung des „Kilians“ durch eine Politik, deren wahres Ziel nicht die Arbeitsplätze sind, denen das Mahnmal angeblich im Wege steht, sondern die Tilgung eines bestimmten Teils der deutschen Geschichte. Jenes Teils, der erneuten Großmachtambitionen und der Rückkehr zu einer „ganz normalen Nation im Europäischen Haus“ mahnend entgegensteht.

Die Ausstellung „Stolperstein der Geschichte“ des Mahnmal Kilian e.V. und der Landesbibliothek wurde übrigens um eine Woche verlängert. Sie kann noch bis zum 6.4. besucht werden. Schulklassen oder andere interessierte Gruppen erhalten noch bis zum 11.4. eine Führung durch die Ausstellung. Um Anmeldung wird unter der Telefonnumer 9067-165 oder 93609 gebeten. (jm)