„Wie ein Nachrichtendienst ...“

Datenschutzkontrolle in S.-H. ergibt: Besonders viele Verstöße bei Staatsschutz und Sozialämtern

„Ohne Kontrollen geht es nicht“, und „nach wie vor gibt es in den Führungsetagen der Behörden Verantwortliche, die den Datenschutz im Zweifel hintanstellen“, so das Fazit des Datenschutzbeauftragten des Landes, Dr. Helmut Bäumler, zu seinem 19. Tätigkeitsbericht, den er im März vorstellte. Besondere Mängel habe er diesmal bei der Datenspeicherung des polizeilichen Staatsschutzes festgestellt. Bereits vor 10 Jahren hätten dort im Konsens mit dem Innenministerium 200.000 Datensätze gelöscht werden müssen. Bei einer speziellen Nachkontrolle bei der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes habe man im vergangenen Jahr aber Zustände wie „anno dazumal“ vorgefunden. So habe man Datenspeicherungen entdeckt, die in dieser Form bei der „allgemeinen Polizei“ heute undenkbar wären. Neben konkreten Daten über Straftatverdächtige seien auch Informationen über „Szenen“ und „Gruppen“ vorhanden gewesen. In Teilen habe sich der polizeiliche Staatsschutz „wie ein Nachrichtendienst“ verhalten und damit nicht nur das verfassungskräftige Trennungsgebot verletzt, sondern auch Doppelarbeit neben dem Verfassungsschutz verrichtet.

Während der „Chaos-Tage“ 1995 auf Sylt seien sämtliche aus S.-H. stammenden Teilnehmer nicht nur erkennungsdienstlich behandelt worden, sondern ihre Daten wurden auch mit dem Vorwurf des Landfriedensbruchs gespeichert, obwohl der Tatverdacht nicht aufrechterhalten werden konnte.

In einem anderen Fall waren zu neun Personen in S.-H. Personenakten angelegt worden, weil gegen sie in einem anderen Bundesland wegen Verstosses gegen das Versammlungsgesetz ermittelt worden war. Dies, so Bäumler, gehöre zur sog. „Vorfeldarbeit“ des Verfassungsschutzes und nicht zur Arbeit des polizeilichen Staatsschutzes.

In einer weiteren Personenakte befand sich die Kopie des Personalausweises einer dritten Person. Sie hatte ihn vermutlich bei einer Gerichtsverhandlung gegen die Person, über die die Personenakte geführt wurde, verloren. „Diese Registrierung der Teilnahme an der Gerichtsverhandlung verstieß nicht nur gegen die Persönlichkeitsrechte der Besucher, sondern auch gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit des Strafverfahrens“, sagte der Landesdatenschutzbeauftragte. Ferner wurde als Staatsschutzdelikt gespeichert: der lautstarke Protest von sechs Jugendlichen vor der Filiale einer weltweit tätigen Imbißkette gegen deren Müllverursachung, ebenso das Anbringen von Aufklebern gegen Tierquälerei. Zu zwei Frauen sei in der Staatsschutzakte sogar „ergänzend“ erfaßt worden, daß sie lesbisch seien.

Als unzulässig kritisierte Bäumler auch die Speicherung persönlicher Briefe an Gefängnisinsassen: „U.a. fanden wir Briefe, in denen höchstpersönliche Angaben enthalten waren, beispielsweise einen 19seitigen Brief, der einen Abriß über die Kindheit des Absenders, seinen politischen Werdegang, aber auch seine sexuelle Orientierung wiedergab. Wir haben die Vernichtung der Briefe verlangt. Da ihnen Anhaltspunkte für Straftaten nicht zu entnehmen waren, stellte ihre Weitergabe und Speicherung in den polizeilichen Unterlagen nämlich einen unzulässigen, tiefen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Absenders dar.“

Daß Informationen, denen von Amts wegen Vertraulichkeit zugesichert wird, nicht immer vertraulich behandelt werden, mußte schmerzlich ein Vater erfahren, der in einem Fragebogen die Frage nach der Auswahl der Grundschule für sein Kind damit beantwortet hatte, daß ihm bekannt sei, daß in der eigentlich für sein Kind zuständigen Grundschule eine Lehrkraft die Kinder schlage. Die Amtsleitung informierte daraufhin ohne Wissen des Vaters die Schulleitung der genannten Schule, welche Anzeige wegen Verleumdung gegen den Vater erstattete. Die Kosten für das Verfahren mußte der Vater tragen.

Auch im sozialen Bereich wurden wieder erhebliche Datenschutzmängel festgestellt. So war es z.B. bei der Kontrolle eines Krankenhauses leicht möglich, sich in den Besitz von Patientenakten zu bringen. Bäumler zu diesem Fall: „Unser Prüfer hat sich über einen längeren Zeitraum unkontrolliert in einem Archivraum aufhalten können, während mehrere Personen das Archiv betraten und wieder verließen, zeitweilig hat er sich völlig allein im Archiv aufgehalten. Auch wenn das Archivpersonal anwesend war, konnte er das ’Kommen und Gehen’ wegen der Verteilung der Akten auf mehrere Räume nicht überwachen. Die gezielte unbefugte Entnahme von Akten, eine Auswertung außerhalb des Archivs und eine Rückführung nach mehreren Tagen wäre nicht aufgefallen. Teilweise wurden Akten auf dem Weg in den ärztlichen Bereich in sog. Postfächern zwischengelagert. Diese Fächer waren allgemein zugänglich.“

Der gesamte Datenbestand des Sozialamtes eines Kreises wurde zusammen mit einem defekten PC an ein Servicehaus übergeben, weil man wegen mangelhafter Organisation nicht selbst zur Fehlerbeseitigung in der Lage war. Bäumler dazu: „Sofern diese Firma die Daten noch nicht gelöscht hat, verfügt sie seitdem über den damals aktuellen Bestand an Sozialhilfedaten, Wohngelddaten und den Schriftverkehr des Sozialamtes, insgesamt einige tausend Datensätze. In einem anderen Sozialamt fehlten ausreichende und verschließbare Büroschränke, um die Akten sachgerecht zu lagern. Deshalb begann man, die Akten auf dem Fußboden zu stapeln. Als der Platz dort nicht mehr ausreichte, wurden die Fensterbänke belegt.“ Diese seien vom Bürgersteig aus jedem Passanten einsehbar gewesen.

Auf besonders eklatante Datenschlamperei traf der Datenschutzbeauftragte beim Sozialamt der Stadt Kiel: „Ein anonymer Besucher hatte es eilig und übergab uns ein großes Kuvert ohne Absender“, heißt es in Bäumlers Bericht. „Der Inhalt war brisant. Es fanden sich: die Kopie einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ein Nachweis über die Leistung gemeinnütziger Arbeit, die Mitteilung einer Krankenkasse über Leistungen der Pflegestufe 3, die Kopie eines Lohnstreifens und die Kopie einer Bescheinigung über Nebenverdienste. In einem Begleitbrief teilte der Unbekannte mit, die Unterlagen habe er einem Briefkasten des Sozialamtes der Stadt Kiel mühelos von außen entnehmen können. Bisherige Beschwerden bei den Verantwortlichen hätten nicht gefruchtet. Eine kurzfristig anberaumte Inaugenscheinnahme bestätigte den Sachverhalt. Auch unsere Prüfer konnten sich in dem Briefkasten ’bedienen’. Uns wurde eine umgehende bauliche Veränderung zugesagt und versichert, daß der Briefkasten bis dahin in kurzen Abständen geleert werde. Als wir bei einer Nachkontrolle feststellen mußten, daß der alte Briefkasten noch da war und offensichtlich nicht rechtzeitig geleert worden war, war es wieder möglich, Briefe zu entnehmen.“ (bam)