Kommentar:

Traditionsbewußtsein

Es war Markttag, als am 26. April 1937 deutsche Flugzeuge über dem baskischen Städtchen Gernika auftauchten. Hunderte von Zivilisten starben, als die Maschinen der Legion Condor, die auf Seiten der spanischen Faschisten gegen die Republik kämpfte, ihre tödliche Fracht entluden und mit ihren Bordkanonen auf Menschenjagd gingen. Die sechzigste Wiederkehr dieses Datums ist für die konservativ-liberale Koalition in Bonn noch lange kein Anlaß, der Opfer zu gedenken. Am 24.4. weigerte sich der Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP „den Nachkommen der Opfer seine Trauer (zu) bekunden und sich für dieses Verbrechen (zu) entschuldigen“, wie in einem Antrag der Abgeordneten Vogt (SPD), Beck (Grüne) und Zwerenz (PDS) gefordert worden war. Wer sich an die Verbrechen der Nazis erinnern wolle, so die zynische Auskunft der Regierungsfraktionen, könne sich auf den 27. Januar konzentrieren. Durchaus konsequent, bekommen doch die Verbrecher von damals - wie übrigens auch Tausende ehemaliger SS-Leute - heute eine ansehnliche Rente, die man vielen Opfern der Nazis noch immer verweigert.

Zum Beispiel den Wehrmachts-Deserteuren: Seit Jahren fordern diejenigen, die sich unter Lebensgefahr dem Morden zu entziehen suchten, Rehabilitation und Wiedergutmachung. Am Mittwoch vergangener Woche einigten sich nun im Rechtsausschuß des Bundestages die Abgeordneten der Koalition und der sozialdemokratischen „Opposition“ darauf, daß diese Menschen nicht, wie gefordert, eine Rente, sondern nur eine einmalige Zahlung von 7.500 Mark erhalten sollen. Darüberhinaus brachte man es nicht fertig, sich zu einer eindeutigen Rehabilitation durchzuringen. Einige der den Verurteilungen zugrundeliegenden Handlungen seien auch nach rechtsstaatlichen Grundsätzen Unrecht. Die Wehrmacht, so die Botschaft, ist eben nicht von Anfang bis Ende eine Verbrecherorganisation gewesen.

Das neue Deutschland ist sich seiner Traditionen offensichtlich sehr bewußt. Daß in Madrid derzeit Francos modernisierte Erben regieren, die sich über die Vorstellung im Bundestag kaum aufregen werden, ist da nur Beiwerk. Von derart subalternen EU-Mitgliedern läßt man sich sowieso nichts sagen: „Wir werden euch das Rückgrad brechen.“ (Kinkel zu seinem spanischen Kollegen während der Verhandlungen um den Beitritt der skandinavischen Länder.) (wop)