„Einen Fuß in anderer Leute Tür stellen“

Dänen gegen Euro-Region

Entlang der deutsch-dänischen Grenze protestierten am 10.5. 2.000 bis 3.000 Menschen gegen den Wegfall der Grenzkontrollen mit dem Schengener Abkommen und die Einrichtung einer „Euroregion Schleswig“. In dieser sollen die beiden Landkreise Nordfriesland und Schleswig-Flensburg sowie die Stadt Flensburg mit dem dänischen Amtsbezirk Südjütland zusammengefaßt werden. Ein Regionalrat soll die Region nach außen vertreten und die grenzübergreifende Zusammenarbeit koordinieren.

Südjütland ist das Gebiet zwischen Grenze und Königsau, das 1920 nach einer Volksabstimmung wieder zu Dänemark kam und in Deutschland gewöhnlich Nordschleswig genannt wird. Manche Dänen fühlen sich daher mit der Namensgebung für die Euroregion an alte Deutsche Ansprüche erinnert.

Dichte Spaliers standen auf dänischer Seite entlang den Straßen an den Grenzübergängen, Danebrog schwenkend, während die deutsche Polizei schon einmal im Vorgriff auf Schengen und Europol das ganze filmte. Auf Transparenten war immer wieder das zentrale Motto zu lesen: „Es muß eine Grenze geben.“ Wenig abgewinnen konnten die Teilnehmer offensichtlich den Ambitionen deutscher Politiker, die Grenze zu überwinden.

Das letztlich weniger als erhofft gekommen waren, mag an der aufgeheizten Stimmung in Südjütland liegen. Beim Amtsbürgermeister Kresten Philips waren Morddrohungen einer obskuren „Widerstandsgruppe für ein freies Dänemark“ eingegangen, und einigen bürgerlichen Politikern waren die Autoreifen zerstochen worden. Taten, die man den Gegnern der Euroregion in die Schuhe zu schieben versucht. Hinzu kam der Nationalismus-Vorwurf an ihre Adresse. Auf beiden Seiten der Grenze ist man froh, das haßerfüllte Gegeneinander von Deutschen und Dänen überwunden zu haben. Da mag sich keiner so gerne den Schuh anziehen, ein antideutscher Nationalist zu sein.

Aber natürlich sind für viele Europa-Skeptiker nördlich der Grenze EU und Deutschland Synonyme. Daß es vor allem Bonn ist, das da mit dem Aufweichen der Grenzen „einen Fuß in anderer Leute Tür stellen“ will, wie es in einer Kundgebungsrede hieß, ist den meisten bewußt. Und was die versprochene wirtschaftliche Zusammenarbeit angeht, ist man wenig optimistisch. Schon jetzt, so berichten Kritiker, werden dänische Firmen südlich der Grenze geschnitten.

Die dänische Linke ist traditionell in der Bewegung gegen die EU verankert. Vor einigen Jahren haben sich verschiedene links-sozialistische und kommunistische Strömungen in der Rot-Grünen Einheitsliste zusammengefunden, die sich für ein neues Plebiszit über die Maastricht-Verträge stark macht.

LinX sprach am 10.5. am Rande der Proteste mit Baltser Andersen, der für die Einheitsliste im Amt Südjütland zu den letzten Wahlen zum Folketing, dem Kopenhagener Parlament, kandidert hatte. Die Fragen stellte wop.

LinX: Baltser, die Einheitsliste in Südjütland ist gegen die Euroregion.

Baltser Andersen (BA): Wir arbeiten für einen demokratischen Sozialismus, der international orientiert ist. Deshalb sind wir gegen die Maastricht-Verträge und gegen eine Entwicklung zu einem föderalistischen Europa. Wir sind für eine europäische Zusammenarbeit - die ist notwendig - aber wir wollen, daß die Nationalstaaten erhalten und das Selbstbestimmungsrecht der Völker anerkannt wird.

LinX: In Deutschland hat Föderalismus einen eher guten Klang.

BA: Ein Europäischer Föderalstaat würde einen Verlust an Demokratie bedeuten. Die ganze Eurobürokratie in Brüssel ist in keiner Weise demokratisch legitimiert. Im Hintergrund stehen stattdessen kapitalistische Interessen. Wir wollen, daß die Bevölkerung hier in Südjütland in ihren eigenen Fragen selbst bestimmen kann. Wenn man nun diese Euroregion einrichtet, passieren zwei Dinge:

1. Man baut die deutsch dänische Grenze ab, die eigentlich eine friedliche und freundliche Grenze ist. Wir wollen aber, daß diese Grenze erhalten bleibt, denn anders kann das Volk sein Selbstbestimmungsrecht nicht wahrnehmen. Man kann überhaupt nicht international auftreten, wenn man keine Nationen mehr hat.

2. Dieses Maastricht-Abkommen und das Edinburg-Abkommen, mit dem man das dänische „Nein“ vom Juni 1992 in ein „Ja“ im Mai 1993 umwandelte (gemeint sind zwei Referenden, die Red.), setzen voraus, daß die Nationalstaaten abgebaut werden. D.h. alle sozialen und anderen Standards müssen harmonisiert (was für uns in Dänemark in der Praxis Abbau heißt) und Europa regionalisiert werden. Euroregionen sind also notwendig für die Verwirklichung der Maastricht-Verträge und damit des europäischen Superstaats. Diesen Superstaat lehnen wir aber ab. Wir wollen ein Europa der Nationalstaaten.

Dann gibt es da noch etwas anderes: Deutschland hat 80 Mio. Menschen, Dänemark nur 5 Mio. Es ist sehr schwer, sich vorzustellen, daß es unter diesen Bedingungen eine gleichberechtigte Zusammenarbeit geben kann.

LinX: Von deutscher Seite wurde der Euroregion der Name „Schleswig“ gegeben. Ich habe gehört, daß das nördlich der Grenze nicht so gerne gesehen wird.

BA: Das ist eine alte Frage. Die dänisch-orientierten Schleswiger bezeichnen sich lieber als Südjüten statt als Schleswiger. Das wird eher von der deutschen Minderheit benutzt. Aber das ist nur eine Frage von Worten. Südjütlands Amtsbürgermeister Kresten Philipsen glaubt, er muß nur den Namen ändern, und dann ist alles o.k. Aber so einfach ist das nicht. Es geht nicht um die Bezeichnung, sondern darum, daß diese Euroregion ein Teil vom Abbau des dänischen Nationalstaates ist.

LinX: An dieser Kundgebung nehmen auch dänische Rechtsextremisten teil. Habt ihr damit keine Schwierigkeiten?

BA: Das ist klar. Wir haben natürlich gesehen, daß die extrem rechte dänische Volkspartei, die Fortschrittspartei und auch andere rechtsextreme Gruppe hier gerne teilnehmen. Sie hoffen

- die Fortschrittspartei vielleicht nicht so sehr -, einen dänischen Chauvinismus entfachen zu können. Das ist für uns natürlich sehr unangenehm. Aber das ist nicht die Frage. Es geht darum, daß Selbstbestimmungsrecht zu verteidigen. Ich schließe mich da gerne dem an, was Karl Otto Meyer heute hier gesagt hat: Es geht nicht um Deutschfeindlichkeit, um Fremdenfeindlichkeit, sondern um das Recht, die nationale Grenze zu erhalten.

LinX: Hat die dänische Linke Angst vor einem großen Deutschland, vor deutscher Dominanz?

BA: Wenn man sieht, was in Europa vor sich geht, dann ist klar, daß Deutschland einen sehr großen Einfluß hat. Die deutschen Kapitalinteressen sind die stärksten, und die deutschen politischen Kräfte haben ganz natürlich mehr Durchsetzungskraft als die meisten anderen. Aus dieser Sicht kann man eine Art Furcht vor Deutschland haben. Aber für uns als Sozialisten und Internationalisten ist es eher wichtig zu unterstreichen, daß wir hier heute nicht demonstrieren, weil wir gegen Deutschland wären, sondern um mit der deutschen Bevölkerung gemeinsam uns gegen eine Entwicklung zu wehren, die sehr gefährlich sein könnte. Eine Entwicklung, die langfristig eine Entwicklung zu einer Supermacht ist, die nationale und andere Minderheiten unterdrücken und in Deutschland und auch in anderen Ländern eine neue Art Nationalchauvinismus hervorbringen wird. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, daß das deutsche Innenministerium viele Millionen für sogenannte autochtone Minderheiten in vielen europäischen Ländern ausgibt. Wir meinen jedoch, daß diese Minderheiten nicht die einzigen in Europa sind. Es gibt viele ethnische Minoritäten, es gibt viele Flüchtlinge, Gastarbeiter usw., Leute, denen man die Bürgerrechte nicht geben will, die aber die gleichen Rechte wie alle Menschen haben müssen. Uns geht es also wirklich nicht um Deutschenfeindlichkeit, sondern nur darum, daß wenn man von internationaler Zusammenarbeit spricht, man eine Nationalstaat haben muß, in dem man die eigene Demokratie entwickeln kann.

LinX: Was genau kritisiert ihr an den Aktivitäten des deutschen Innenministers?

BA: Ich finde es merkwürdig, daß man sich mit Geld in die innerstaatlichen Beziehungen anderer Länder einmischt. Wir haben hier das Problem nicht, aber in anderen in Ländern Osteuropas gibt es viele Probleme. Die Staaten haben es nach der Wende sehr schwer, und da kommt dann die deutsche Regierung und steckt viel Geld in sogenannte autochtone Minderheitengruppen. Zusammen mit der Definition deutscher Volksgruppen in ganz Europa gibt das meiner Meinung nach diesem Ausspruch Hans-Dietrich Genschers eine ganz besondere Perspektive. Der hat einmal gesagt: „Wir wollen kein deutsches Europa, sondern ein europäisches Deutschland.“ Wenn man Unklarheiten über die deutschen Grenzen hat, klingt das nicht mehr ganz so gut. Aber es ist wichtig für mich zu unterstreichen, daß es uns hier heute nicht um Deutschtum oder Dänisch-Sein geht, sondern um das Recht einer jeden Bevölkerung geht, seine Grenze zu behalten.

LinX: Schönen Dank für das Gespräch.