Kai-Uwe von Hassel - eine „ganz normale“ Politkarriere

Am 8. Mai ist Kai-Uwe von Hassel gestorben. Er war von 1954 bis 1962 Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein, 1963 löste er Franz-Josef Strauß als Bundesverteidigungsminister ab, 1966 wurde er „Vertriebenenminister“, von 1969 bis 1972 war er Präsident des Bundestages. Bis 1980 gehörte von Hassel dem Bundestag an, bis 1984 war er Europaabgeordneter der CDU. Von den PolitikerInnen auf Bundes- und Landesebene, von Helmut Kohl bis Heide Simonis werden von Hassels „Verdienste als aufrechter und engagierter Politiker“ gelobt.

Der SPD war nicht immer so freundlich zum ehemaligen Ministerpräsidenten: „Die in der Presse wiedergegebenen Äußerungen des Herrn von Hassel passen nach dem Einsatz von NPD-Schlägerkommandos in Frankfurt genau in die Landschaft“,  schrieb 1969 der SPD - Pressedienst. Weiter hieß es dort, von Hassel habe das Kunststück vollbracht, „den Neonazis in der Bundesrepublik jetzt schon einen Persilschein auszustellen.“ (Zitiert nach: Neue Züricher Zeitung vom 31.7.1969). Hintergrund dieser Einschätzung waren von Hassels damalige Äußerungen zu einem eventuellen NPD-Verbot: „Die eigentliche Gefahr kommt ... von den linken Radikalen. Von dort her wird die Autorität unseres Staates unterhölt“. Weiter ließ er verlauten, daß die NPD „keine neonazistische Partei“ sei. Viele WählerInnen der NPD seien besorgt über die „anti-parlamentarische Opposition“ in der Bundesrepublik. Andere würden diese Partei „aus Sympathie mit der Parole der NPD, für Recht und Ordnung zu sorgen“, wählen. (Welt am Sonntag vom 19. 1.69 und FAZ vom 30.7.69). Im August 1969 wurde von Hassel auf einer Wahlveranstaltung in Großenbrode/Ostholstein noch deutlicher. Auf die Frage, ob man beispielsweise dem zweiten NPD-Spitzenkandidaten für die anstehenden Bundestagswahlen, Kapitän zur See Thomsen, nicht „ehrenwerte Motive“ für seine Kandidatur unterstellen könne, antwortete von Hassel, „wenn sich der Offizier in Ruhe mit uns unterhalten hätte, hätten wir ihn wahrscheinlich davon überzeugen können, daß er seine Probleme und Vorstellungen besser bei uns hätte verwirklichen können“. (KN, 20.8.69)

Da hatte von Hassel gar nicht so unrecht! Mindestens zwei seiner Minister in der SH-Landesregierung waren hohe Nazifunktionäre gewesen (Lemke und Asbach), zwei weitere gehörten ehedem zum berüchtigten Stand der Marinerichter. Zum Amtschef der Landeskanzlei und damit zum höchsten Beamten des Landes machte von Hassel den ehemaligen Nazioberbürgermeister von Flensburg und SS-Offizier, Dr. Kracht. Der ehemalige SS-Offizier Fritz Völpel wurde Landtagsdirektor.

Wie seine CDU-Vorgänger mochte auch von Hassel als Ministerpräsident nicht auf die Unterstützung des „Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ verzichten, der im Landtag saß. Auch nicht, als 1958 der ehemalige SS-General Reinefahrt als Abgeordneter für den BHE in den Landtag einzog. Reinefahrt war verantwortlich für die Niederschlagung des Aufstandes im Warschauer Ghetto gewesen. Reinefahrt wurde übrigens später Bürgermeister auf Sylt. Bereits 1957 stellte der BHE die Forderung eines Deutschlands „von der Saar bis an die Memel“ unter Einschluß des Sudetenlandes an die Spitze seines Bundestagswahlkampfes. BHE-Landtagsabgeordneter Gille, natürlich auch Altnazi, forderte, „den Begriff Wiedervereinigung auf alle Gebiete auszudehnen, die nach geschriebenen und göttlichen Gesetzen zu Deutschland gehörten, wobei die Grenzen von 1937 keineswegs umfassend genug seien.“ Von Hassels Antwort: Er bekannte auf dem Landesparteitag der CDU 1960, der BHE verfolge die gleichen „national-politischen Ziele“ wie die CDU. Kritik an seiner allzu nazifreundlichen Personalpolitik wies er zurück: „Ich bekenne mich als Deutscher und bin stolz darauf, diesem Volk anzugehören. Akte der Selbstbespeiung haben wir zur Genüge erlebt.“

Im gleichen Jahr ließ von Hassel in Anspielung an Willy Brandts Emigration nach Norwegen während der Nazizeit verlautbaren: „Ich verleugne nicht meine Volks- und Staatszugehörigkeit um persönlicher und sonstiger Vorteile Willen. Ich kann diese Schicksalsgemeinschaft nicht verlassen, wenn es mir persönlich gefährlich erscheint, und ihr wieder beitreten, wenn das Risiko vorüber ist.“ (KN, 2.1.60). Tatsächlich war von Hassel 1940 aus Ostafrika zurück ins „Reich“ gekommen, um an Hitlers Angriffskrieg teilzunehmen.

Die zunehmende Kritik angesichts zahlreicher Naziskandale in Schleswig-Holstein wies von Hassel brüsk zurück: Neben der Abwehr der „5. Kolonne Moskaus durch die Organe des Staates“ müsse „auch die Demaskierung der 6. Kolonne“ treten. Von Hassel verstand darunter „jene gesinnungslosen Mitläufer, berufsmäßigen Nonkormisten und spießbürgerlichen Rückvericherer“, die sich „ein Alibi bei Ulbricht verschaffen zu können glauben oder sich vorsorglich ein privates Ausweichquartier im Tessin beschaffen“. Denn, die Welle „antideutscher Stimmung“ im Ausland sei in erster Linie eine Folge „geschickter kommunistischer Propaganda“. Den „Linken“ und „einigen superintelligenten Tagespublizisten“ mangele es an politischer Substanz ebenso „wie an jeder inneren Bindung an Volk und Nation“ (Kieler Volkszeitung, 27.1.62). Neben seiner Eingangs erwähnten Sympathie für die Positionen der NPD war von Hassel Ende der 60er Jahre selbstverständlich auch gegen die Aufhebung der Verjährungsfrist für Nazi-Verbrecher.

Auch im Alter blieb von Hassel sich treu: 1985 kritisierte das damalige Vorstandsmitglied der Konrad-Adenauer Stiftung bei einem Besuch Südafrikas die „vollkommen einseitige Orientierung der Evangelischen Kirche Deutschlands“, die sich für die Überwindung der Apartheid einsetzte.

International wurde von Hassel nur einmal politisch abgestraft. 1974 wies die sozialistische Regierung von Malta den damaligen Präsidenten der „Europäischen Union Christlicher Demokraten“ wegen einer früheren Kritik an der dortigen Regierung aus. Gleichwohl berief ihn der Europarat als einziges deutsches Mitglied in die „Kommission bedeutender Staatsmänner“. Bundespräsident Herzog ordnete ein Staatsbegräbnis und einen Staatsakt an. (usch)