„Maritime Stadt statt Marinestadt“

Interview mit dem grünen OB-Kandidaten Lutz Oschmann

Auch die Grünen haben - nach anfänglichem Zögern - einen Kandidaten für die Direktwahl des Oberbürgermeisters am 25. Mai aufgestellt: den stellvertretenden Vorsitzenden der grünen Ratsfraktion, Lutz Oschmann. Oschmann ist durch seine langjährige Arbeit in und mit gewerkschaftlichen Gruppen, die die Konversion von Kieler Rüstungsbetrieben vorantreiben wollen, ein Fachmann auf diesem Gebiet. LinX sprach mit Oschmann über die Chancen einer grünen Kandidatur, die Rolle der Marine in Kiel aus grüner Sicht, über die Müllverbrennungsanlage und - aktuelles kommunalpolitisches Thema - über die Räumung des besetzten Hauses in Gaarden.

LinX: Ist eine grüne Kandidatur gegen den Lokalmatador Norbert Gansel auch als Druckmittel für die Durchsetzung grüner Programmpunkte in der rot-grünen Ratskoalition gedacht?

Lutz Oschmann (LO): Wir haben kandidiert, weil Wahlkämpfe immer auch Zeiten sind, in denen die Leute politisch aufmerksam sind, wo sie schauen, welche politischen Angebote es gibt. Der OB wird für sechs Jahre gewählt. Für uns ist das eine wichtige Periode der Entwicklung Kiels über die Jahrtausendwende hinaus. Da müssen wir mit einem grünen Programm dabei sein, auch um über ein neues Leitbild für Kiel mitzureden. Die Marinestadt Kiel muß abgelöst werden durch die maritime Stadt Kiel, eine zivile Handels- und Touristenstadt.

Natürlich setzen wir uns programmatisch von Gansel ab. Er hat ja erklärt, daß er kein rot-grüner Kandidat ist und auch nicht bereit ist, im Vorwege irgendetwas zu verhandeln. Daher müssen wir im ersten Wahlgang möglichst viele Stimmen aus dem rot-grünen Spektrum sammeln, um das grüne Gewicht in der Waagschale zu haben.

LinX: Ihr hofft also, daß Gansel nicht im ersten Wahlgang gewählt wird?

LO: Das ist richtig. Wenn schon klar wäre, daß Gansel gleich im ersten Wahlgang gewinnen würde, wäre es nicht sinnvoll, gegen ihn zu kandidieren. Wir wollen im ersten Wahlgang möglichst viele Stimmen sammeln. Gansel wiederum will die grünen Stimmen aus dem rot-grünen Lager mit Stimmen aus der bürgerlichen Mitte wettmachen. Kurzum: Ein Ziel der grünen Kandidatur ist, daß es einen zweiten Wahlgang gibt. Vor dem zweiten Wahlgang kann man dann ja mit den verbleibenden Kandidaten politisch reden, ob grüne Programmpunkte in dem jeweiligen OB-Programm mit umgesetzt werden können. Entsprechend kann man dann für den zweiten Wahlgang zur Unterstützung der einen oder der anderen Kandidatur aufrufen oder eben gar keine Wahlempfehlung aussprechen.

LinX: Du hast schon angedeutet, daß Gansel nicht gerade ein Grünen-Freund ist. Sollte er OB werden, wird das die rot-grüne Zusammenarbeit im Rat negativ beeinflussen?

LO: Ich denke, das muß man abwarten. Die nächste Kommunalwahl ist in 10 Monaten, insofern wird das eine Zeit des Wahlkampfes werden. Gansel wird sich hier erstmal einfinden müssen, er wird unter der nach wie vor schwierigen Finanzsituation der Stadt einen Haushalt vorlegen müssen. Dazu braucht er die Mehrheit im Rat und muß also mit uns rechnen. Und wir haben uns vorgenommen, die rot-grüne Kooperation bis zum Ende der Legislaturperiode fortzuführen. Je größer unser Gewicht bei der OB-Wahl ausfällt, umso selbstbewußter können wir dabei auftreten.

LinX: Gansel ist nicht nur ein Marinefreund, er hat sich auch bei der faktischen Abschaffung des Asylrechts auf Bundesebene hervorgetan. Wie seht ihr auf diesem Gebiet die Zusammenarbeit mit ihm als möglichem zukünftigen OB?

LO: Ich glaube nicht, daß er in diesem Bereich eine Änderung der bisherigen Kieler Politik anstrebt, da würde er sonst sicher Ärger in der Ratsversammlung bekommen. Es würde mich wundern, wenn er auf diesem Gebiet einen Konflikt riskiert.

LinX: Thema Marine: War früher die militärisch-zivile Mischnutzung von Liegenschaften der Bundeswehr ein linkes Argument, sozusagen als erster Schritt zu einer umfassenderen Konversion, so schwenken inzwischen sogar die Konservativen auf diese Linie ein, allerdings um die Marine in jedem Falle hierzubehalten, sprich durch eine kostengünstigere Mischnutzung das Bleiben für die Marine attraktiv zu machen. In einer Resolution im Rat habt ihr euch auch in diese Richtung geäußert. Da heißt es: „Dadurch (durch eine Mischnutzung) kann der Arsenalbetrieb durch Senkung seiner flächenbezogenen Fixkosten betriebswirtschaftlich deutlich verbessert werden, und es können sich gleichzeitig neue zivile, hafennahe Wirtschaftsaktivitäten auf der attraktiven Liegenschaft entwickeln.“ Da steht nun nicht drin, daß ihr die militärische Nutzung explizit nicht wollt. Ist ein solches Statement taktisch zu verstehen im Sinne eines ersten Schritts zur Konversion, oder hat für euch die Marine doch noch einen Platz in Kiel?

LO: Die Marine wird weiter schrumpfen, viel schneller, als wir jetzt denken. Sogar in der FDP wird jetzt über eine Bundeswehrstärke von 250.000 Mann diskutiert. Eine solche Diskussion fällt ja nicht vom Himmel. Wenn die Krisenreaktionskräfte die Priorität haben, die ihnen die Bundesregierung zuspricht, dann wird sich die Marine auf die Nordsee konzentrieren, der Rest in der Ostsee geht nach Warnemünde oder Kappeln. Kiel wird ausgedünnt. Und wenn keine Schiffe mehr hier sind, wird‘s auch kein Arsenal mehr geben. Die anderen Parteien sehen das genauso, wollen es aber nicht wahrhaben. Die Schwierigkeit in der Diskussion ist, das Tabu aufzubrechen, daß man darüber reden kann.

Die Resolution, die du ansprichst, war ja eine Ergänzung zu der Resolution von SPD-CDU-SUK. Da nehmen die Positionen ein, die wir immer gefordert haben, nämlich eine zivil-militärische Mischnutzung. Früher hieß es immer, keine schlafenden Hunde wecken. Jetzt kommt die Marine selber und sagt, das müssen wir machen, um Geld zu sparen. Das ist genau das betriebswirtschaftliche Argument, das ich immer vertreten habe. Jetzt wird also offen über eine Mischnutzung nachgedacht, während es bisher immer hieß, die Grünen wollen das Arsenal dichtmachen. Aber so ist es ja gar nicht. Das Arsenal hat einfach ein wirtschaftliches Problem. Wie lange das Arsenal hierbleiben wird, das kann ich nicht bestimmen, das weiß ich auch nicht. Ich bin mir aber sicher, es wird irgendwann weg sein. Und dafür müssen wir so früh wie möglich mit einer zivilen Alternativnutzung der Liegenschaft beginnen, je eher und je mehr, desto besser.
Du hast natürlich aus der Sicht eines klaren Bundeswehrgegners recht, daß eine solche Mischnutzung den Rest der Bundeswehr wirtschaftlich stabilisiert. Es wird sich dann zeigen, ob eine betriebswirtschaftlichere Bundeswehr hier überlebensfähig ist. Das Schlimmste aber wäre, jetzt einfach alles so weiter laufen zu lassen: Die Marine wird immer unwirtschaftlicher, immer kleiner und ist dann plötzlich weg, ohne das wir irgendetwas Neues angefangen hätten.

LinX: Habt ihr denn bei all diesen Überlegungen das Fernziel, Kiel waffenfrei zu machen, oder wartet ihr einfach nur darauf, daß die Bundeswehr irgendwann von selber geht?

LO: Im Landtagswahlprogramm der Grünen steht, daß wir ein bundeswehrfreies Schleswig-Holstein wollen. Mein Fernziel ist schon, daß hier irgendwann keine Bundeswehr mehr stationiert ist. Die Mischnutzung ist dazu der erste wichtige Schritt.

LinX: Kiel ist nicht nur Marinestadt, sondern auch Rüstungsstadt. Z.B. sollen die neuen U-Boote des Typs 212 möglicherweise in Kiel gebaut werden. Was gedenkt ihr dagegen zu tun?

LO: Wenn die Bundeswehr Aufträge nach Kiel, an HDW vergibt, dann vergibt sie die. Wir haben auf Bundesebene versucht, daß diese Gelder nicht in den Rüstungsetat eingestellt werden. Die Mehrheiten waren anders, der Auftrag ist vergeben. Und wir können nicht in die Geschäftspolitik von HDW eingreifen. Bei U-Booten für den Export ist das etwas anderes. Wir haben uns ja dagegen ausgesprochen, daß bei HDW wieder fit gemachte U-Boote nach Indonesien verkauft werden. Das ist für mich kein Regime, an das man Waffen verkaufen kann.

LinX: An wen darf man denn Waffen verkaufen?

LO: Das regeln die Waffenexportrichtlinien der Bundesregierung. An NATO-Staaten und an denen gleichgestellte Staaten darf geliefert werden. Das ist so. Aber klar, wenn ich langfristig keine Bundeswehr mehr haben will, dann will ich langfristig auch keine Rüstungsproduktion mehr haben. Konversionsimpulse müssen aber aus den Betrieben selber kommen. Wir können doch von städtischer Seite nicht vorschreiben, wie ein Betrieb sich auf zivile Produktion umzustellen hat, welche neuen zivilen Märkte er erschließen kann. Wir können höchstens Bestrebungen in den Betrieben, z.B. vom Betriebsrat, in diese Richtung positiv begleiten, und das tun wir seit langem.

LinX: Thema Müllverbrennungsanlage: Wie wollt ihr da weitermachen?

LO: Wir haben im Rat durchgesetzt, daß für den 3. Kessel eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt werden muß, daß also die Umweltverbände nochmal angehört werden müssen. Das wird natürlich auch Geld kosten. Da hat die SPD intern gejubelt, weil sie uns jetzt für diese Mehrkosten verantwortlich machen kann.

Als weiteren Hebel gibt es noch den Vertrag mit dem Kirchenkreis (der strikte Auflagen über die Nutzung des MVA-Geländes, das der Kirche gehört, enthält - d. Red.). Diesbezüglich gab es bei den Diskussionen mit den OB-Kandidaten eine ganz interessante Entwicklung. Arne Wulff (CDU) hat gesagt, man könne nicht einfach über diesen Vertrag hinweggehen, schon gar nicht als christliche Partei. Er hoffe auf einen Kompromiß zwischen Kirchenkreis und MVA. Den Kompromiß sehe ich nicht, es kann ja keinen halben Kessel geben. Ich habe daraufhin nochmal mit dem Kirchenkreis gesprochen. Da sagte man, es habe ein Gespräch mit der MVA stattgefunden, aber ohne Ergebnis und ohne Vereinbarung weiterer Gespräche. Die Kieler Synode hat sich mit 85% Mehrheit gegen den 3. Kessel ausgesprochen. Das heißt für mich - das muß politisch entschieden werden. Und wenn alle sagen, der Vertrag ist etwas wert, dann müßten wir alle in der Ratsversammlung sagen: Gut, es gibt keinen 3. Kessel. Dann können wir uns sowohl die UVP wie auch die Konservierung des 3. Kessels sparen - 2 Mio. gespart. Das will ich auf Parlamentsebene nochmal versuchen. Da sehe ich Chancen, denn auch Gansel hat gesagt, daß er es nicht auf ein Gerichtsverfahren um den Vertrag des Kirchenkreises ankommen lassen würde. Diese Aussage werte ich als Zeichen, daß sich da auch in der SPD noch etwas bewegen könnte.

LinX: Thema Hausbesetzung in Gaarden: Nach der Räumung und dem Vorfall im Rathaus - ein Pförtner sei von einigen der BesetzerInnen gewürgt worden, hieß es - wurden die Verhandlungen abgebrochen, von sämtlichen Ratsfraktionen, also auch von euch. Wie soll es jetzt mit dem selbstverwalteten Jugendzentrum weitergehen?

LO: Edina Dickhoff hat am Tag der Räumung zwischen Polizei und BesetzerInnen vermittelt und damit eine gute Arbeit geleistet. Die Verhandlungen mit der Stadt waren recht erfolgreich. Dem Fördehauszusammenhang sollte die Kästner-Schule angeboten werden, die infolge der Zusammenlegung von Grundschulen ab August zur Verfügung steht. Dafür war selbst Hans Mehrens vom Liegenschaftsamt. Zwar besteht in der Kästner-Schule Sanierungsbedarf, aber sie gehört schon der Stadt. Zum Zeitpunkt der Prügelei wurde ein Stockwerk höher bei der Sozialdezernentin Frau Bommelmann konstruktiv verhandelt. Ich glaube den Schilderungen von Frau Bommelmann, die sagt, durch diesen Vorfall sind Verhandlungen unmöglich geworden, bevor die Betreffenden sich nicht dafür entschuldigen. Das wäre ihre Chance. Stattdessen drehen die das jetzt um und sagen, sie seien von dem Pförtner angegriffen worden. Das wird im Rathaus allgemein als sehr dumm angesehen. Es gab in unserer Fraktion zwar auch Stimmen, daß man die Jugendlichen mit dem Verhandlungsabbruch nun bestrafe. Aber man muß doch mal sehen, daß wir mit den Leuten positiv umgegangen sind und eine konstruktive Lösung versucht haben. Daß wir das Haus nicht kaufen können, das ist einfach klar. Wir können nicht mal eben eine Million locker machen. Das könntest du auch anderen Initiativen gegenüber nicht rechtfertigen. Aber wir haben mit der Kästner-Schule ja eine Alternative, sogar in Gaarden, wo die Jugendlichen ja hinwollen. Da ist es einfach blöde, sich durch so rabaukenhaftes Benehmen die Chancen zu vergeben. Und die Gruppe selbst sollte dann diese drei, vier Wildgewordenen wieder einfangen.

LinX: Aber sollte man den Jugendlichen nicht einfach mal einen solchen Fehler zugestehen und trotzdem weiterverhandeln, statt jetzt eine weitere Eskalation durch den Verhandlungsabbruch zu provozieren? Schließlich ist jetzt genau das passiert, was die BesetzerInnen befürchtet haben. Sobald das Haus nicht mehr besetzt ist, ist Schluß mit Verhandlungen.

LO: Die Verhandlungen waren auf einem positiven Wege. Jetzt müssen sich die Jugendlichen für den Vorfall entschuldigen. Ich würde sie wirklich bitten, sich zu entschuldigen und zu sagen, jawoll, wir haben da einen Fehler gemacht. Je schneller, desto besser.

LinX: Dann wird weiterverhandelt?

LO: Ja. Die Kästner-Schule scheint geeignet zu sein. Das ist das, was man jetzt seitens der Stadt anbieten kann. Chancen wie diese muß die Gruppe nutzen.

LinX: Vielen Dank für das Gespräch.